Da das Buch (noch) nicht im freien Handel ist, mache ich mich einmal daran, das Kapitel zu übersetzen. Es handelt sich übrigens um die englische Übersetzung eines Teils der Kano-Biografie aus dem Jahr 1964.
Atemi-Waza aus Alex Bennet: "Jigoro Kano and the Kodokan"
Kodokan-Judo wurde großteils auf den nage-waza der Kito-ryu und den katame- und atemi-waza der Tenjin-shinyo-ryu aufgebaut. Der technische Lehrplan wurde in die Gruppen nage-, katame- und atemi-waza unterteilt als der Kodokan gegründet wurde. Das Training beinhaltete Randori und Kata, das (jeweils) funktionale Elemente des Kampfes enthielt. Kano erklärt, was Kampf meint („object of combat“):
„... dem Gegner Schmerzen zufügen, ihn zeitweise zu betäuben oder ihn zu töten indem man Vitalpunkte seines Körpers mit den Gliedmaßen oder dem Kopf drückt, stößt oder schlägt. Es gibt viele Möglichkeiten dies zu tun, aber die häufigsten sind das Schlagen in den Bereich zwischen den Augen des Gegners, das Schlagen gegen seine Brust oder seine Magengegend knapp unterhalb des Brustbeins oder ihn in die Genitalien zu treten.“
(Anmerkung: diese Passage schient aus dem Vortrag von 1889 zu stammen, ist bei Bennet aber – und das ist leider eine Schwachstelle des Buches - nicht angegeben)
In den Jahren 1924 und 1926 sprach Kano detaillierter über Judo als Kriegskunst ("bujutsu“):
"Respekt vor dem Leben ist absolut ("universal“). Wenn das eigene Leben in Gefahr ist, ist es statthaft ("justifiable“) jedes Mittel zu ergreifen, das zur Verfügung steht, um die Gefahr abzuwenden. Aber auch wenn das eigene Leben nicht in Gefahr ist, gibt die Fähigkeit eine Gefahr abwenden zu können Selbstvertrauen. In einer Gesellschaft, in der die Menschen nach Recht und Gesetz leben, können unerwartete Gefahren in Form von Unfällen, durch die Hand von Kriminellen oder von überraschenden Dingen wie wilden, streunenden Hunden kommen. Jedes Individuum benötigt deshalb grundlegende Fähigkeiten, sich verteidigen zu können und derjenige, der systematisch die Techniken von Angriff und Verteidigung trainiert hat, kann seine eigene Sicherheit gewährleisten. Die Bedeutung von Atemi-waza in diesem Zusammenhang ist offensichtlich.
Wenigstens rudimentäre Fähigkeiten in der Selbstverteidigung zu haben sollte Grundsatz jeder normalen Erziehung sein. Wir wissen nie, wann wir in Gefahr sein werden. Wir können aufgrund einer Verwechslung angegriffen werden, oder von einem Dieb oder einem gewalttätigen Menschen bedroht werden. Wir können sogar von einem wilden Tier oder einem tollwütigen Hund angegriffen werden, oder wir sind in einem umkippenden Wagen oder fallen aus großer Höhe herunter.
In derartigen Situationen können diejenigen, die in den Techniken von Angriff und Verteidigung geübt sind, effektiv reagieren und ihr eigenes Wohlergehen sichern. Das ist der Grund, warum ich der Überzeugung bin, dass Menschen Kampfkünste in privaten Dojo lernen sollten. Der Kodokan wurde auch zu diesem Zweck gegründet.“
Japanische Kampfkünste bilden die Basis des Kodokan-Lehrplans, aber auch den Kampftechniken verschiedener anderer Länder wird Beachtung geschenkt. Wir praktizieren diese Techniken täglich, fördern die Moral und die Einstellung unser Land zu verteidigen, Gerechtigkeit zu erhalten und Böswilligkeit aus unserer Gesellschaft zu verbannen. Wenn der Ruf ertönt, erwarten wir von den Menschen eine gemeinsame Entschlossenheit mit Leib und Seele der Nation zu dienen.
Als eine Kampfkunst steht Judo neben ("judo naturally falls alongside“) anderen waffenlosen Kampfkünsten genauso wie neben kenjutsu, bojutsu, sojutsu, kyujutsu, and der naginata, die vom Standpunkt der Leibeserziehung aus gesehen ähnlichen Wert haben. Der Kodokan wird die Erforschung des Wertes anderer Kampfkünste fortsetzen, aber unser Schwerpunkt wird die Fortsetzung auf dem Feld des unbewaffneten Kampfes sein, mit Hinzufügen von kenjutsu und bojutsu zu gegebener Zeit.“
Atemi-waza besitzen eine nicht zu verleugnende Bedeutung im waffenlosen Kampf. Kano entwickelte ("created“) zehn shinken-shobu-no-kata (Anmerkung: gemeint sind 10 einzelnen Techniken), die später zunächst auf 13 und dann noch einmal auf 20 erweitert und in Kime-no-Kata umbenannt wurden. Kano führt aus, dass die atemi-waza dazu gedacht sind, dem Gegner Schmerzen zuzufügen, ihn außer Gefecht zu setzen oder zu töten indem Vitalpunkte angegriffen werden. Die Techniken können in ude-ate (Hand-/Arm-Techniken) und ashi-ate (Fuß-/Beintechniken) unterteilt werden.
Ude-ate:
- Yubisake-ate (Fingerspitzen): tsuki-dashi, ryogan-tsuki
- Kobushi-ate (Faust): nanamae-ate, yoko-ate, ue-ate, tsuki-age, shita-tsuki, ushiro-tsuki, ushirosumi-tsuki, tsukkake, yoko-uchi, ushiro-ushi, uchi-oroshi
- Hiji-ate (Ellbogen): ushiro-ate
- Hizagashira-ate (Knie): me-ate
- Sekito-ate (Fußballen): naname-geri, mae-geri, taka-geri
- Kakato-ate (Ferse): ushiro-geri, yoko-geri
Er hat in Erwägung gezogen, ein System von Randori und Wettkampf zu schaffen, das Atemi-waza einschloss, aber er hat es nie umgesetzt. Im Jahr 1927 antwortete Kano auf die Frage eines Studenten nach dem Wert von Atemi-waza:
"Ich glaube nicht, dass es unmöglich ist, einen Weg zu finden, Randori und Wettkämpfe durchzuführen, die Atemei-waza einschließen, so lange es schrittweise passiert und intensiver Forschung folgt. Allerdings ist es schwieriger, den Wert ("merits“) von Atemi-waza im Vergleich zum Werfen oder Niederhalten eines Gegners zu bestimmen.“
Letztendlich wurden Atemi-waza nur in Kata geübt. Ein ähnlicher Gedankengang wurde bei der Dai-Nippon-Butokukei verfolgt. Auf Anfrage der Butokukai wurde Kano als Vorsitzender eines Komitees berufen, das 1906 eine neue Gruppe ("a new set“) von Kata erarbeiten sollte. Er ergänzte die existierende shinken-shobu-no-kata des Kodokan um weitere 7 Techniken und legte einen Entwurf mit 20 Techniken (8 idori=knieend und 12 tachiai=stehend) vor. Nach einigen Modifikationen wurden diese im folgenden Jahr übernommen. Anschließend wurden die Fertigkeiten ("skills") und die Theorie der atemi-waza durch diese Kata gelehrt, die heute Kime-no-Kata heißt.
In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts stieg das Interesse der Kodokan-Schüler am Wettkampf im Randori (Anmerkung: Shiai wurde als Form des Randori betrachtet. Daher die "merkwürdige“ Formulierung). In der Konsequenz tendierten sie dazu, das Kata-Training zu vernachlässigen und demzufolge ließ das Studium der Atemi-waza nach. Um diesem Trend entgegen zu wirken, entwickelte Kano die seiryoku-zenyo-kokumin-taiiku-no-kata im Jahr 1924. Der Name drückt aus, dass die Kata auf dem Prinzip seiryoku-zenyo basiert und sie war entworfen, um atemi-waza zu lehren.
(.....) Der Rest hat nichts mehr mit Atemi-waza oder SV zu tun, so dass ich mir die Übersetzung spare.