Nage-no-Kata Anfang 20. Jahrh. und heute - ein Vergleich

Nage-no-Kata, Katame-no-Kata, Gonosen-no-Kata und verwandte Kata
tutor!
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Nage-no-Kata Anfang 20. Jahrh. und heute - ein Vergleich

Beitrag von tutor! »

Es gibt immer wieder ungläubiges Staunen, wenn ich die These vertrete, dass sich die Nage-no-Kata seit ihrer Festlegung 1906 in Kyoto nicht grundsätzlich geändert hat. Dies überrascht vor allem all jene, die sich regelmäßig über ständige „Änderungen“ in jüngster Zeit ärgern.

Also dachte ich mir, gehen wir die Aufnahmen (vermutlich) aus den Jahren 1911/12 von Y. Yamashita (später 10. Dan und Vertreter des Kodokan beim Meeting 1906) und mutmaßlich H. Isogai (ebenfalls später 10. Dan und auch Teilnehmer des Meetings) Technik für Technik durch und vergleichen sie mit heutigen Ausführungen.

Hier erst einmal der Link zur Demonstration:
http://www.judo-educazione.it/video/kata_yamashita.html

Raumaufteilung, Positionen, „Zeremoniell“

Schaut man sich die alte Demonstration – und übrigens auch spätere z.B. von Nagaoka (auch 10. Dan und ebenfalls Vertreter des Kodokan beim Meeting in Kyoto) – an, stellt man fest, dass die Positionen auf der Matte nicht festgelegt waren. Auch unterschied sich das An- und Abgrüßen deutlich von der heutigen Praxis. Sind das nun Änderungen an der Nage-no-Kata?

Zur Klärung dieser Frage muss man eigentlich nur zurückgehen auf das, was Kata ist und heißt. Eine „kata“ beschreibt im Judo eine (Grund-)Technik, bei der die Rollen von Uke und Tori, also Angriff und Verteidigung, festgelegt sind. Die Nage-no-Kata beschreiben Techniken, bei denen die Rollen definiert sind. Standardisiert wurden also Techniken und kein „Zeremoniell“ um die Vorführung herum.

Die standardisierten Techniken beinhalteten den Kern der Wurftechniken des Kodokan Judo, einen Kern, der damals für ganz Japan als verbindlich festgelegt wurde. Das Üben dieser Kata war nichts anderes als das Üben von Grundtechniken und dafür brauchte man keine Vorschriften über Raumaufteilung, Positionen, „Zeremoniell“ o.ä. Im Gegenteil, es wäre sogar hinderlich, weil überall andere Platzverhältnisse herrschten. Wer Kanos Gedanken zur Leibeserziehung kennt, weiß übrigens auch, wie viel wert er stets darauf gelegt hat, dass alle Übungen mit geringstmöglichen Voraussetzungen geübt werden können.

Das „Zeremoniell“ kam erst dann ins Spiel, wenn Kata bei Feierlichkeiten oder anderen offiziellen Anlässen vor einem Publikum demonstriert werden sollte. Diese wurde der Bedeutung des Anlasses entsprechend angepasst. Erst nach dem WW2 wurde der zeremonielle Rahmen definiert. Dieser unterliegt streng genommen jedem Ausführenden selbst, so lange die Etikette des Anlasses nicht verletzt wird. Da diese Dinge aber nicht von Kano stammen, sind Variationen grundsätzlich erlaubt, weshalb der Kodokan sie auch vorgenommen hat.

Was von Kano selbst stammt, wird grundsätzlich nicht verändert, jedoch hat Kano irgendwo sinngemäß hinterlassen, dass eine Ausführung, die im Sinne der ursprünglichen Idee besser geeignet ist, diese umzusetzen, die bisherige Form ersetzen darf. Damit legitimiert Kano die technische Weiterentwicklung der Kata, beschränkt diese aber auf die Umsetzung der ursprünglichen Idee.

Die Techniken im Einzelnen

Wichtig: Y. Yamashita ist eine der bedeutendsten Persönlichkeiten der Judogeschichte. Wenn ich nun im folgenden einige Anmerkungen zu seinen Technikausführungen mache, möchte ich sein Können und seine Bedeutung in keiner Weise schmälern, sondern lediglich den historischen Stand der Judotechnik von vor 100 Jahren beschreiben. Nach Yamashita sind weitere bedeutende Judoka gekommen, die von Yamashitas (und anderen) Können profitiert haben und es weiterentwickeln konnten. Zu diesen Judoka gehörten z.B. Mifune, Kudo, Kotani und viele andere mehr. Und natürlich hat sich sicher auch Yamashita selbst weiterentwickelt.

Außerdem ist die Bildqualität äußerst bescheiden, so dass Details gar nicht erkannt werden können. Dort wo es Veränderungen gab, beschreibe ich den aktuellen Stand am Kodokan und dessen Unterschiede zu dieser Demonstration, soweit man sie erkennen kann. Ich möchte dabei keinerlei eigene Wertung vornehmen und meine Bemerkungen auch nicht als solche verstanden wissen.

Uki-otoshi

Y. dreht ein wenig aus der Wurfachse heraus und macht auch nur einen relativ kleinen Schritt nach hinten zum Wurf. Mit einem größeren Schritt kann das Gleichgewicht besser gebrochen werden, weshalb diese heute auch so gemacht wird.

Seoi-nage
Aus heutiger Sicht würden viele sagen, Y. könnte tiefer in die Knie gehen. Seoi-nage heißt aber sinngemäß etwas „auf den Rücken nehmen und werfen“. Heutige Ausführungen von Seoi-nage werden diesem Gedanken wieder etwas besser gerecht als dies in den letzten Jahren und Jahrzehnten (in Deutschland) üblich geworden war. Die aktuelle Kodokan.DVD zeigt dies auch deutlich

Kata-guruma
Y. hat den Nacken vorgeneigt, was ihm zwar eine flüssige Bewegung ermöglicht, aber auch Nachteile hat. Da er nicht wirklich unter Ukes Schwerpunkt kommt. Beim Kata-guruma, der den ursprünglichen Sukui-nage ersetzt hat, soll gelernt werden, wie man unter den Schwerpunkt geht und den Partner mit geradem Rücken aus Beinen und Hüfte heraus aushebt. Von daher ist kommt die heutige Form der ursprünglichen Intention näher. Es gibt Aufnahmen von 1964 (Eröffnungsfeier der OS Tokyo) von Daigo (heute 10. Dan), der ein Schüler von dem oben angesprochenen Nagaoka ist, wo er den Kata-guruma bereits in der heutigen Form demonstriert.

Uki-goshi
...wird glücklicherweise heute wieder so ausgeführt, wie damals....

Harai-goshi
Bei Y. fällt auf, dass das Gleichgewicht etwas weiter gebrochen sein könnte und auch dass er das Wurfbein im Knie beugt und auch relativ weit nach außen zeigt. Beides ist nicht optimal und kann besser gemacht werden. Auf der anderen Seite ist sehr schön zu erkennen, dass er einen festen Kontakt zwischen seiner Hüfte und dem Unterbauch von Uke herstellt. Genau auf diesen Kontakt weist der Kodokan auch in der aktuellen DVD besonders hin. Bei vielen Kata-Demonstrationen in Deutschland mangelt es allerdings daran.

Tsuri-komi-goshi
Der Kontaktpunkt bei Tsuri-komi-goshi ist im Verhältnis zum Harai-goshi deutlich tiefer, nämlich mit dem unteren Rücken gegen die vorderen Oberschenkel. Bei der noch bis in die 80er Jahre in Deutschland oft gesehen Variante, die auch Y. zeigt, wurde erst „hoch“ angesetzt und dann heruntergerutscht. Dieser erste hohe Ansatz wurde gemacht, um Uke zu einem Block zu verleiten. Diese Reaktion kann aber auch alleine durch Zug also ohne die Hfte „hoch“ an Uke zu bringen erreicht werden, weshalb auf den hohen Hüftkontakt später verzichtet wurde. Am Tsuri-komi-goshi selbst wurde selbstverständlich nichts geändert.

Die Genese von Uki-goshi -> Harai-goshi -> Tsuri-komi-goshi ist ebenfalls eine Betrachtung wert, aber das muss ich verschieben, weil es den Umfang dieses Beitrags deutlich sprengen würde.

Okuri-ashi-barei
... wird immer noch so gemacht wie damals

Sasae-tsuri-komi-ashi
An der Technikausführung hat sich nichts geändert, lediglich zum Sichern von Uke dreht sich Tori heute nach dem Wurf etwas weiter.

Uchi-mata
Etwas schwer zu erkennen! Y. dreht noch sehr stark auf dem vorderen Fuß. Etwas günstiger ist es, um sein eigenes Zentrum zu drehen, was man dadurch erreicht, dass jeweils ein kleiner Schritt mit links nach vorne gemacht wird.

Tomoe-nage
Die ursprüngliche von Y. gemachte Variante geht mit nur einem Schritt, um den Gegendruck aufzubauen. Hieraus wurden später drei Schritte, was aber nichts an der Grundidee der Technik und der Situation ändert, sondern lediglich eine Angleichung an den üblichen Dreierrhythmus darstellt.

Ura-nage
Y. Ura-nage wirkt ein wenig abgebrochen. Er landet auf Gesäß und und Rücken. Um das Ausheben aus dem Beinen und aus dem Bauch effektiver einsetzen zu können, landet Tori heutzutage auf den Schultern in einer Brücke.

Sumi-gaeshi
Beide stehen etwas vorgeneigt in einer Art Ringerstellung. Heute steht man – dem ideal einer aufrechten Körperhaltung eher entsprechend – mit aufrechtem Oberkörper.

Yoko-gake
Die Wurfrichtung ist heutzutage etwas direkter zur Seite, wodurch eine bessere Kontrolle und ein härterer Wurf erreicht wird.

Yoko-guruma
... wird grundsätzlich noch genauso gemacht

Uki-waza
... siehe Sumi-gaeshi

Was sonst noch auffällt:

Die Angriffe mit den Atemi wirken etwas „halbherzig“ und ohne definierte Abstände.
Tori sichert in der Regel nur mit einer Hand, was man natürlich optimieren kann.

Vieles kann aber auch aufgrund der schlechten Bildqualität ungünstiger aussehen, als es tatsächlich war. Auch dies kann man den Vorführenden nicht anlasten.

Jedoch hoffe ich, dass deutlich geworden ist, dass sich an der Nage-no-Kata (besser den Nage-no-Kata) grundsätzlich nichts geändert hat, sondern dass es lediglich technische Optimierungen im Sinne der ursprünglichen Idee gegeben hat.

Solche Optimierungen verlaufen natürlich nicht synchron und was der eine für eine Optimierung hält, entpuppt sich bei der Analyse durch andere vielleicht als Rückschritt. In diesem Sinn muss die Entwicklung von Zeit zu Zeit konsolidiert werden.

Allerdings erfordert das Verständnis dieser Prozesse eine intensive – aber auch interessante – Auseinandersetzung mit den Inhalten. Ansonsten bleibt nur die Klage über ständige Änderungen, die weil man sie nicht versteht.
Zuletzt geändert von tutor! am 18.06.2009, 07:07, insgesamt 1-mal geändert.
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Fritz
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Re: Nage-no-Kata Anfang 20. Jahrh. und heute - ein Vergleich

Beitrag von Fritz »

In dem Zusammenhang, empfehle ich das Don F. Draeger / Otaki - Buch über
die Randori-No-Kata (irgendwo hier im Forum haben wir die genauen Buchdaten)
Da stehen vor jeder Technik zur Einführung immer ein, zwei Sätze, wie die jeweilige Technik
zur Zeit des Gründers ausgeführt wurde im Vergleich zur im Buch dargestellten Form.

Ansonsten zeigt das Video einen Kata-Guruma, der den Namen "Kuruma" noch verdient ;-)

Der Ura-Nage entspricht in etwa der Ura-Nage-Version,
welche von Frank Thiele/Tom Herold & Gefolgschaft bevorzugt wird.

Selbstversuche mit den eigenen Bandscheiben lassen mich sehr zur Annahme tendieren,
daß diese Version einfach die gesundheitlich unbedenklichere ist im Vergleich zum
heutigen "Ausheben" ;-)
tutor! hat geschrieben:Was von Kano selbst stammt, wird grundsätzlich nicht verändert, jedoch hat Kano irgendwo sinngemäß hinterlassen, dass eine Ausführung, die im Sinne der ursprünglichen Idee besser geeignet ist, diese umzusetzen, die bisherige Form ersetzen darf. Damit legitimiert Kano die technische Weiterentwicklung der Kata, beschränkt diese aber auf die Umsetzung der ursprünglichen Idee.
Hast Du dafür noch eine Textstelle zur Hand?
Mit freundlichem Gruß

Fritz
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Re: Nage-no-Kata Anfang 20. Jahrh. und heute - ein Vergleich

Beitrag von tutor! »

Fritz hat geschrieben:
tutor! hat geschrieben:Was von Kano selbst stammt, wird grundsätzlich nicht verändert, jedoch hat Kano irgendwo sinngemäß hinterlassen, dass eine Ausführung, die im Sinne der ursprünglichen Idee besser geeignet ist, diese umzusetzen, die bisherige Form ersetzen darf. Damit legitimiert Kano die technische Weiterentwicklung der Kata, beschränkt diese aber auf die Umsetzung der ursprünglichen Idee.
Hast Du dafür noch eine Textstelle zur Hand?
Ein japanischer Judo-Historiker hat mir dies so geschrieben. Ich werde ihn bitten, mir die entsprechende Quelle zu nennen. Ich fürchte aber, es wird eine japanische sein.

Dieser Historiker war übrigens ein Vereinskollege von jenem bekannten Judoka, dessen Kata an diese Stelle eigentlich perfekt passt:


Ich kommentiere die Techniken jetzt nicht einzeln, auch weil der Uke sichtlich überfordert war.....

eine weitere nette (historische) Nage-no-Kata ist (ab 14:20):
http://video.aol.com/video-detail/the-e ... 1675721929
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Ronin
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Re: Nage-no-Kata Anfang 20. Jahrh. und heute - ein Vergleich

Beitrag von Ronin »

was die Techniken angeht finde ich mich ganz überwiegend wieder in der Urform, die ich einmal gelernt habe - außer dem Kata Guruma.

Ich frage mich nur gerade, woher die übertriebene (vermutlich deutsche) Zeremonialisierung überhaupt herkommt. OK eine gewisse Form macht ja Sinn, aber wir sind ja eigentlich bei Schritt für Schritt auswendig lernen, das isses ja eigentlich nicht.

Weiß da einer was?
tutor!
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Re: Nage-no-Kata Anfang 20. Jahrh. und heute - ein Vergleich

Beitrag von tutor! »

Ronin hat geschrieben:was die Techniken angeht finde ich mich ganz überwiegend wieder in der Urform, die ich einmal gelernt habe - ausser dem Kata Guruma.

Ich frage mich nur gerade, woher die übertriebene (vermutlich deutsche) Zeremonialisierung überhaupt herkommt. OK eine gewisse Form macht ja Sinn, aber wir sind ja eigentlich bei Schritt für Schritt auswendiglernen, das isses ja eigentlich nicht.

Weiss da einer was?
Es ist eine Frage der Schwerpunkte und der Betrachtungsweise. Schauen wir mal einige heutige Top-Demonstrationen an.

Surla/Fleisz bei ihrem Weltcup-Sieg in Paris 2008:
http://video.aol.com/video-detail/final ... /306122622
Die beiden sind auch die Europameister 2008 und 2009 und habe noch nie nicht gewonnen.

Oder mal wieder zwei Japaner aus dem Kodokan:
http://video.aol.com/video-detail/nage- ... 3062893785 (Teil 1)
http://video.aol.com/video-detail/nage- ... 2601582369 (Teil 2)

Oder Japaner beim 1. internationalen Kodokan Turnier 2007
http://video.aol.com/video-detail/nage- ... 3074697241

Wo sind jetzt bei diesen Demonstrationen übertriebene zeremonielle "Einlagen"? ich sehe jedenfalls keine.....

Auf der akutellen Nage-no-Kata DVD des Kodokan scheint mir die Demonstration wieder etwas dynamischer als bei den Links oben. Aber YouTube-Videos können sehr täuschen....

Das Ziel meines Beitrags ist ja, deutlich zu machen, dass die Nage-no-Kata seit 1906 nicht grundsätzlich geändert wurde, wie dies ja immer wieder behauptet und beanstandet wird. Es handelt sich lediglich um einige kleinere Entwicklungen, die wir aus Vergleichen erkennen können.

Aber gehen wir noch einmal zurück und vergleichen Yamashitas Techniken in der Nage-no-Kata mit denen von Tokyo Hirano:
(Hirano)
http://www.judo-educazione.it/video/kata_yamashita.html (Yamashita)

Sehr schön zu erkennen ist, dass Hirano beim Uki-otoshi aus dem ganzen Körper heraus mit einem deutlich größeren Schritt nach hinten arbeitet als dies Yamashita zumindest in diesem Video tut. Beim Kata-guruma hebt er auch deutlich aus und er setzt beim Harai-goshi das Schwungbein sehr schön ein, nachdem er das Gleichgewicht sichtlich gebrochen hat.

An diesen drei Beispielen lässt sich im Vergleich der hervorragendsten Techniker ihrer jeweiligen Zeit die Weiterentwicklung im Detail - aber eben nicht im Grundsätzlichen, die gab es nämlich nicht - ablesen.

Per PN bin ich darauf aufmerksam gemacht worden, dass folgendes Zitat schwer verständlich sei:
Eine „kata“ beschreibt im Judo eine (Grund-)Technik, bei der die Rollen von Uke und Tori, also Angriff und Verteidigung, festgelegt sind. Die Nage-no-Kata beschreiben Techniken, bei denen die Rollen definiert sind.
Also noch einmal präziser.
Der Begriff "Kata" ist mehrdeutig. Er kann bezeichnen:
  • eine einzelne festgelegte Technik (Kata als Standard, Modell)
  • eine Gruppe/Sammlung/Abfolge von festgelegten Techniken
  • die das Üben einer Technik oder einer Abfolge von Techniken (Kata als Übungsform)
In der japanischen Sprache gibt es im allgemeinen keinen Unterschied zwischen Singular und Plural. Daher kann man auch zum Beispiel Nage-no-Kata mit Formen des Werfens übersetzen (siehe deutsche Ausgabe von Kodokan Judo). Deshalb habe ich auch oben den Plural verwendet ("Nage-no-Kata beschreiben Techniken").

Die "großen Kata" - also diejenigen, die in Deutschland und Europa im allgemeinen gemeint sind, wenn man über Kata spricht (Nage-no-Kata, Katame-no-Kata, Ju-no-Kata) stellen einen kodifizierten Kern dar. Von den zur Jahrhundertwende 42 Wurftechniken der Gokyo sind z.B. nur 15 Techniken in die Nage-no-Kata aufgenommen worden. Die zu Grunde gelegten Kriterien stehen bei Otaki/Draeger ausführlich beschrieben (exemplarisch, repräsentativ usw.)

Diese "großen Kata" sind unglaublich durchdacht, aber das führt jetzt weit vom eigentlichen Thema weg. Hier geht es ja darum, ob und inwieweit die Nage-no-Kata verändert und nicht darum, wie sie konstruiert wurde. Und verändert wurde sie eben nicht - entwickelt hat sich lediglich die ein oder andere Technikausführung....

Bedauerlicher Weise verstehen aber viele nicht, dass mit "Kata" - wie oben dargelegt - auch etwas anderes als die "großen Kata" gemeint sein kann. Ob nun der Anfänger einen o-goshi aus dem Stand nach genauen Vorgaben des Trainers übt oder ob der Fortgeschrittene Nage-no-Kata macht: in beiden Fällen ist die Übungsform "Kata". Das wäre alles nicht so schlimm, wenn diese Leute lernbereit, besser noch lernfähig, wären.

Wer übrigens noch tiefer in die Vergangenheit eindringen möchte. Hier ist ein Bilderalbum von Y. Yamashita aus dem Jahr 1904 (also vor dem Kyoto Meeting):
http://www.library.umass.edu/spcoll/ead/muph006.htm
Was fält auf? Sukui-nage, statt Kata-guruma und eine Technik namens Tsuri-otoshi statt Sumi-gaeshi.
Diese beiden Änderungen gab es nämlich auf dem Kyoto-Meeting zwei Jahre später. Und Uki-otoshi und Harai-goshi sehen besser aus als auf dem alten Video :D

Gerade bin ich noch auf ein nettes Bild gestoßen, das zum Thema passt:
http://www.library.umass.edu/spcoll/ead/muph006.htm

Es stammt aus einem Beitrag aus dem englischen Forum, in dem einmal mehr das Schlagen in der Nage-no-Kata diskutiert wird. Der Beitrag mit noch mehr Illustrationen ist hier: http://JudoForum.com/index.php?s=&showt ... t&p=485356
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yag

Re: Nage-no-Kata Anfang 20. Jahrh. und heute - ein Vergleich

Beitrag von yag »

Wo ist das Nagaoka-Video zur Nage-No-Kata geblieben?

In meinem Kopf spukt seit einigen Stunden eine Frage: Existieren überhaupt im Judo Ausheber oder besser Techniken bei denen ausgehoben wird? Ist es nicht vielmehr besser und gesünder, nur zu kippen? Ich frage mich dieses, weil ich persönlich immer schon Schwierigkeiten hatte andere, kräftigere Sportskanonen - derart zu werfen.

Meister Kano soll der Legende nach, einen Schwergewichtsringer, auf irgend einem Schiff oder Reise, mit O-Goshi
besiegt haben.
Siehe Wolfgang Hofmann, glaube ich.
Wie konnte der "kleine Mann", den "großen Mann" mit einer Eindrehtechnik ausheben?

Ansonsten sind die obigen Videos ja alle recht hübsch anzusehen.
Zuletzt geändert von yag am 17.06.2009, 22:49, insgesamt 1-mal geändert.
tutor!
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Re: Nage-no-Kata Anfang 20. Jahrh. und heute - ein Vergleich

Beitrag von tutor! »

yag hat geschrieben:Wo ist das Nagaoka-Video zur Nage-No-Kata geblieben?
hier:
yag hat geschrieben:In meinem Kopf spukt seit einigen Stunden eine Frage: Existieren überhaupt im Judo Ausheber oder besser Techniken bei denen ausgehoben wird? Ist es nicht vielmehr besser und gesünder, nur zu kippen? Ich frage mich dieses, weil ich persönlich immer schon Schwierigkeiten hatte andere, kräftigere Sportskanonen - derart zu werfen.
Ja, natürlich gibt es diese Techniken, z.B. einen Utsuri-goshi. Es kommt aber auch immer darauf an, wie man aushebt. Auf der anderen Seite wird häufig das Gleichgewicht zu wenig gebrochen, so dass unnötig viel (aus-)gehoben werden muss, was a) unökonomisch und damit technisch ungünstig ist und b) u.U. auch für den Bewegungsapparat belastend sein kann. Insofern hast du nicht unrecht: kippen ist in vielen Fällen günstiger.
yag hat geschrieben:Meister Kano soll der Legende nach, einen Schwergewichtsringer, auf irgend einem Schiff oder Reise, mit O-Goshi
besiegt haben. Siehe Wolfgang Hofmann, glaube ich. Wie konnte der "kleine Mann", den "großen Mann" mit einer Eindrehtechnik ausheben?
Wie Du schreibst - der Legende nach....
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Fritz
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Re: Nage-no-Kata Anfang 20. Jahrh. und heute - ein Vergleich

Beitrag von Fritz »

Also ich hab bei den Thema mit den Kata-Änderungen ein ungutes Gefühl,
laut Otaki/Draeger gab es Änderungen, die sicherlich mit der Absicht geschehen sind,
etwas zu "verbessern"... Und irgendwie werd ich den Eindruck nicht los, daß so langsam
im Kodokan versucht wird, wieder an den ursprüngliche Ausführung ranzukommen.
Das resultiert natürlich wieder in "Änderungen" aus Sicht der Leute, die halt "später" gelernt
haben...
Ist nur ein Gefühl, ich werd mir wohl über kurz oder lang die neueste Kodokan-DVD bestellen müssen.

Persönlich gefallen mir jedenfalls die alten Aufnahmen irgendwie besser als die neuen...
Diese "großen Kata" sind unglaublich durchdacht, aber das führt jetzt weit vom eigentlichen Thema weg. Hier geht es ja darum, ob und inwieweit die Nage-no-Kata verändert und nicht darum, wie sie konstruiert wurde. Und verändert wurde sie eben nicht - entwickelt hat sich lediglich die ein oder andere Technikausführung....
Naja, aber das ist doch genau der spannende Punkt, der Schlüssel zum Verständnis?
Warum ist was in der Kata wie "konstruiert"?
Wie sollen wir sonst zwischen wesentlich und unwesentlich unterscheiden?
Ist die Schrittzahl beim Tomoe-Nage wesentlich oder nicht?
Ist der Drehwinkel beim Uki-Goshi wesentlich oder nicht?
Ist die Schrittlänge beim Uki-Otoshi wesentlich oder nicht?
Ist es wesentlich ob beim Tsuri-Komi-Goshi vorher ein Hüftwurfansatz gemacht wird,
der eine "Versteifungs- u. Nachhintenlehn"-Reaktion beim Uke provoziert oder nicht?

Und wenn etwas unwesentlich ist - warum geht es dann in die Bewertung bei
Kata-"Wettbewerben" mit ein? Es gibt wohl Punkt-Abzüge,
wenn der Gürtel sich am Rücken kreuzt, fürs Judo an sich eine komplett unwesentliche Sache...
Wo liegen die Freiheitsgrade, wo nicht?

Zum Thema Ausheben und Kippen: Ich habe meine Bandscheiben gespürt, als
ich mal Ura-Nage beim Wurf-Training an einem größeren und deutlich schwereren Uke
geübt habe. Ich wurde auch schon mal als Uke beim Ura-Nage mit deutlichem Ausheben
auf den Kopf gestellt - so daß mir die Sache mit der Endlichkeit des Seins sehr deutlich
wurde ;-) Sicherlich kann man "ausheben", wird man wahrscheinlich
auch zwangsläufig, wenn Uke leicht (und groß) genug ist.
Aber in den anderen Fällen sollte man auch zu recht kommen. Früher gab es im Judo
keine Gewichtsklassen, der übliche Spruch ist ja, daß der körperlich
Schwächere schon den Stärkeren werfen können sollte...
Bei all diesen neuen Katavideos sehe ich aber immer nur Paare, wo Uke und Tori
körperlich "passen" - also in etwas gleich groß, gleich schwer sind...
Mit freundlichem Gruß

Fritz
tutor!
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Re: Nage-no-Kata Anfang 20. Jahrh. und heute - ein Vergleich

Beitrag von tutor! »

Beim erneuten Lesen ist mir noch eine Kleinigkeit aufgefallen. Ich habe kleine Unterschiede zwischen früheren und heutigen Demonstrationen beschrieben und geschrieben, dass die häufig im Westen kolportierten "Änderungen" lediglich kleinere technische Optimierungen seien - schließlich haben ja auch noch zahlreiche weitere Judoka ihre Techniken entwickelt. Die "Hochblüte" der Judotechniken stand ja noch bevor (Mifune und andere).

Ich habe lediglich hier die sichtbaren Unterschiede beschrieben - vor allem um deutlich zu machen, dass sie nur eher marginal sind, und auch um deutlich zu machen, dass der Kodokan einen größeren individuellen Spielraum lässt, als das die meisten "Westler" vermuten würden.

Ich wüsste übrigens niemanden, der dieses besser könnte als Daigo, der ja ein direkter Schüler von Nagaoka war, der ja seinerseits selbst noch am Meeting in Tokyo teilgenommen hatte.
Fritz hat geschrieben:Das resultiert natürlich wieder in "Änderungen" aus Sicht der Leute, die halt "später" gelernt
haben...
Anders ist immer auch eine Änderung....... natürlich wird das so empfunden, aber wir müssen deutlich machen, dass diese Kleinigkeiten nicht der Kern der Sache sind.
Fritz hat geschrieben:Naja, aber das ist doch genau der spannende Punkt, der Schlüssel zum Verständnis?
Warum ist was in der Kata wie "konstruiert"?
Wie sollen wir sonst zwischen wesentlich und unwesentlich unterscheiden?
Das sind doch genau die Punkte, auf die der Blick versperrt ist, wenn man sich mit Debatten über den zeremoniellen Rahmen aufhält. Es geht um die Auswahl der Techniken, die Auswahl der Situationen, aus denen die Techniken gemacht werden, das Exemplarische an Situation und Technik (ich vermeide jetzt bewusst den Begriff Prinzip, weil er so oft benutzt wird, dass sich jeder wieder was anderes darunter vorstellt). Aber das ist eine vollkommen separate Diskussion.
Fritz hat geschrieben:Und wenn etwas unwesentlich ist - warum geht es dann in die Bewertung bei Kata-"Wettbewerben" mit ein? Es gibt wohl Punkt-Abzüge, wenn der Gürtel sich am Rücken kreuzt, fürs Judo an sich eine komplett unwesentliche Sache... Wo liegen die Freiheitsgrade, wo nicht?
Bewertungen bei Kata-Meisterschaften sind natürlich ein Punkt für sich, aber Du sprichst die wichtigen Punkte hier an.
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Re: Nage-no-Kata Anfang 20. Jahrh. und heute - ein Vergleich

Beitrag von tutor! »

Fritz hat geschrieben:Zum Thema Ausheben und Kippen: Ich habe meine Bandscheiben gespürt, als
ich mal Ura-Nage beim Wurf-Training an einem größeren und deutlich schwereren Uke
geübt habe. Ich wurde auch schon mal als Uke beim Ura-Nage mit deutlichem Ausheben
auf den Kopf gestellt - so daß mir die Sache mit der Endlichkeit des Seins sehr deutlich
wurde ;-) Sicherlich kann man "ausheben", wird man wahrscheinlich
auch zwangsläufig, wenn Uke leicht (und groß) genug ist.
Aber in den anderen Fällen sollte man auch zu recht kommen. Früher gab es im Judo
keine Gewichtsklassen, der übliche Spruch ist ja, daß der körperlich
Schwächere schon den Stärkeren werfen können sollte...
Bei all diesen neuen Katavideos sehe ich aber immer nur Paare, wo Uke und Tori
körperlich "passen" - also in etwas gleich groß, gleich schwer sind...
Ausheben - im Sinne von Anheben - wirst Du wohl in jedem Fall. Ich denke, Du meinst das "sich ins Hohlkreuz nach hinten fallen lassen". Das wird mittlerweile vom Kodokan so gelehrt und praktiziert, aber die Frage ist doch auch: "Ist das andere deswegen falsch, nur weil es gerade so vom Kodokan gelehrt wird?" Der Kodokan selbst würde wahrscheinlich sagen, dass es nicht falsch sei, nur eben nicht mehr in dieser Form praktiziert wird.

Otaki/Draeger beschreiben ja auch die kleineren Modfikationen, die der Kodokan vorgenommen hat. Ich wüsste keine einzige, bei der es wirklich an das Grundsätzliche gehen würde. Es sind schlicht - mit Sicherheit begründbare - Kleinigkeiten.
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Re: Nage-no-Kata Anfang 20. Jahrh. und heute - ein Vergleich

Beitrag von tutor! »

Fritz hat geschrieben:Also ich hab bei den Thema mit den Kata-Änderungen ein ungutes Gefühl,
laut Otaki/Draeger gab es Änderungen, die sicherlich mit der Absicht geschehen sind,
etwas zu "verbessern"... Und irgendwie werd ich den Eindruck nicht los, daß so langsam
im Kodokan versucht wird, wieder an den ursprüngliche Ausführung ranzukommen.
Du näherst Dich dem Kern meiner Aussagen - oder zumindest dem, was ich sagen will.

Ich spreche nur von den "Änderungen" des Kodokan und sage eben, dass sie sich auf Ausführungsdetails bei einzelnen Techniken beschränken. Diese Details sind aber weitaus weniger als das, was immer wieder an "Änderungen" behauptet wird und zwar von jenen, die immer den "neuesten Stand" kennen (wollen) und jenen, die kritisieren, dass es überhaupt immer einen "neuesten Stand" gibt.

Die Frage ist letztendlich auch wer am Kodokan diese geringen Modifikationen vornimmt. In Frage kommen eigentlich bis zum Erschienen der ersten Auflage von Otaki/Draeger nur:
  • Kano selbst bis zu seinem Tod (vgl. z.B dieses Bild - http://judoinfo.com/images/kano/kano7.jpg - mit Mifune mit der früher üblichen Stellung bei Sumi-gaeshi und Uki-Waza)
  • Nagaoka
  • Mifune
  • Kotani
  • und nach Erscheinen von Otaki/Draeger nur noch Daigo
Bis Kotani einschließlich waren es alles noch Schüler von Kano. Daigo war ein Schüler von Nagaoka und am Kodokan natürlich auch von Mifune und Kotani.

Von "ständigen" Änderungen der Nage-no-Kata durch den Kodokan kann also überhaupt keine Rede sein. Es sind eben das, was ich geschrieben habe: vorsichtige Optimierungen - und jetzt Achtung - der Art und Weise, die die Techniken der Kata im Allgemeinen vermittelt werden. Individuelle Ausführungsspielräume bleiben selbstverständlich erhalten. Da sind die Japaner deutlich entspannter als "Westler", die bei jedem anders sofort "falsch" rufen.

Vielleicht ist das auch weiter oben missverständlich ausgedrückt (dem langen Beitrag sei es geschuldet). Man konnte es - obwohl ich eigentlich klar geschrieben habe, dass es so nicht gemeint war - den Gedanken entwickeln als würde ich Yamashitas Technik anhand dieser uralt-Aufnahmen mit ihren bildtechnischen Einschränkungen kritisieren. Das ist vollkommener Unsinn.

Gemeint ist und war, dass Yamashitas Ausführungen aus den oben genannten Gründen nicht in jedem Detail als "Blaupause" für einen Lehrstandard dient, sondern dass hierfür bestimmte Aspekte deutlicher vermittelt werden, als dies auf den alten Aufnahmen zu erkennen ist..

Wenn ich die Zeit dazu finde, gehe ich die einzelnen Techniken noch einmal anhand von Otaki/Draeger und deren Beschreibungen der "Änderungen" durch - ich denke, dass dann vieles noch klarer wird.

@Fritz: kann man die themenfremden Beiträge zu Kanos Liebingstechnik nicht in einen eigenen Faden verschieden (Geschichte -> Kanos Lieblingstechnik)


[Fritz: Ist hiermit geschehen: http://www.dasjudoforum.de/forum/viewto ... =20&t=4157 ]
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Techniques are only the words of the language judo (Cichorei Kano, 24.12.2008)
yag

Re: Nage-no-Kata Anfang 20. Jahrh. und heute - ein Vergleich

Beitrag von yag »

Tutor hat geschrieben:Die Genese von Uki-goshi -> Harai-goshi -> Tsuri-komi-goshi ist ebenfalls eine Betrachtung wert, aber das muss ich verschieben, weil es den Umfang dieses Beitrags deutlich sprengen würde.
Lieber Tutor (und Du bist Doch ein Experte),
nimm Dir bitte die Zeit und erläutere mir die besagte Genese. Ich bin mir völlig im Unklaren darüber, ob ich Meister Kanos Judo verstanden habe.

Von den Herren Otaki und Dräger habe ich noch nie gehört, meine Kenntnisse über die Nage-No-Kata beziehen sich alleine auf
Volker Goertz.

:danke

Entwicklungen und Erweiterungen sind Änderungen, ich vermute vieles wurde auch dem Zeitgeist angepasst. Vielleicht ist es ein Machtmittel, vielleicht muß jede Institution permanent sich selbst neu erfinden?

Mich interessiert noch, ob an den anderen Katas auch Veränderungen vorgenommen wurden? Und wenn ja, welche?

Ein offenes Wort möchte ich noch zu diesem Forum äußern: "Mir gefällt gar nicht, wie sich der User Reaktivator verhält, so etwas gehört sich nicht. Möglich ist derlei Gebaren nur im Versteck, hinter der Anonymität. Ich nenne das mangelnde Courage. Einem Jungspunt mag man es verzeihen, einem gestandenen Judo-Schwarzgurt eher nicht. Alfred Rhode sagte schon, Dan sein heißt Vorbild sein (oder so ähnlich). Auch ist mir aufgefallen, dass nur sehr wenige Mitglieder Fragen anderer Mitglieder beantworten. Du lieber Reaktivator beantwortest keine Fragen zu unserem Sport, offensichtlich kannst Du nur überheblich spotten und mit deinen Japanischkenntnissen angeben. Du bist ein klassischer Möchtegernbesserwisser, manchmal ist das ja jeder von uns Menschen, doch bei Dir bemerke ich dieses leider in jedem Beitrag, den ich bisher gelesen habe. Auch verstehe ich das Getöne des Users Tutor nicht, immer sehr konziliant, manchmal scharf und beleidigt, aber beherrscht. Bedanken möchte ich mich beim User Ronin, er arbeitet offensichtlich sehr gut an der Basis, ist noch jung und flexibel, gute Beiträge, nette Antworten usw. auch der Moderator Fritz gefällt mir mit seiner Art sehr gut."

Denkt mal darüber nach. Muß jetzt zum Bibelkreis, vielleicht melde ich mich später nochmal zu diesem Thema.
Zuletzt geändert von Fritz am 17.08.2009, 14:29, insgesamt 3-mal geändert.
Grund: 2 Beiträge vereint
katana
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Re: Nage-no-Kata Anfang 20. Jahrh. und heute - ein Vergleich

Beitrag von katana »

Da wir nun scheinbar wieder auf Themenkurs sind , möchte ich etwas zu einigen
sehr entscheidenden Fragen beitragen, die Fritz zur Diskussion gestellt hat.
Wie sollen wir sonst zwischen wesentlich und unwesentlich unterscheiden?
Ist die Schrittzahl beim Tomoe-Nage wesentlich oder nicht?
Ist der Drehwinkel beim Uki-Goshi wesentlich oder nicht?
Ist die Schrittlänge beim Uki-Otoshi wesentlich oder nicht?
Ist es wesentlich ob beim Tsuri-Komi-Goshi vorher ein Hüftwurfansatz gemacht wird,
der eine "Versteifungs- u. Nachhintenlehn"-Reaktion beim Uke provoziert oder nicht?
Das mit der Schritt-"Zahl" ist exemplarisch einer dieser Formalismen, mit denen Anfänger oft verwirrt werden.
Viel wichtiger ist der Zweck der "Schritte" (und Handlungen), also die dadurch entstehende Situation, die dann durch die folgende Technik gelöst wird.
Daß sich dadurch eine Schrittzahl ergibt, will man nicht zu lange spazierengehen, ist eher eine
zwangsläufige Folge, als eine Grundvorgabe.

Der Drehwinkel beim Uki-Goshi ergibt sich zwangsläufig aus der optimalen Kontaktfläche zu Uke, sowie der korrekten Ausführung. (Zur Ausführung gibt es ja schon einen Faden.) Auch hier ist der Winkel (zur Wurfachse, wenn ich dich
richtig verstanden habe) das zwangsläufige Ergebnis, nicht das von vornherein anzustrebende Ziel.

Bei der Schrittlänge von Uki-Otoshi hat uns Tutor eine Kleinigkeit unterschlagen ;-) .
Die Ausführung in dem "alten" Video zeigt, daß Tori dem Vorwärtsstreben von Uke durch eine ca.45°-Drehung aus der Kata-Achse ausweichend nachgibt und Uke zudem nach unten zieht.
In der "modernen Version" bleibt Tori auf der Kata-Achse und muß einen größeren Schritt machen, um Uke nach vorne über sein Standbein zu ziehen. (Ich würde sogar sagen, ein ganz anderes Wurfprinzip)

Was den Tsuri-Komi-Goshi betrifft, ist auch hier ein wesentlicher Unterschied.
Denn es gibt zwei Gedankenansätze.
Tsuri-Komi-Goshi aus der "Pulling Out"-Bewegung, bei der Uke (so die Lehrmeinung) gar nicht blocken kann.
Und aus sog."Kodokan rückwärts" Bewegung, bei der Uke durch Block auf einen vermeintlichen
Harai-Goshi-Ansatz
von Tori reagiert. (Was sich aus der Entwicklungsfolge der von J.Kano praktizierten Randoritechniken/Kombinationen
Uki-Goshi, Uke will ausweichen==> Harai Goshi ==> Uke will blocken==> Tsuri-Komi-Goshi ergibt)
Und hier tauchen wir dann erstmalig tief in den eigentlichen Bereich "Randori-No-Kata" ein.
Aber das würde hier zu weit führen.
(ich möchte auch Tutor nicht vorgreifen, der ja diesbezgl. schon etwas angekündigt hat)
Soviel soll aber gesagt sein, daß ähnliche Komplexe in der gesamten Nage-No-Kata versteckt sind,
die aber nur der entdecken kann, wer sich nicht überwiegend mit dem Zeremoniell und dem "Schrittzählen" beschäftigt.

Vielleicht können wir hier die von Fritz angeregten Themenfragen wieder aufnehmen.

KK
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Re: Nage-no-Kata Anfang 20. Jahrh. und heute - ein Vergleich

Beitrag von Fritz »

katana hat geschrieben:In der "modernen Version" bleibt Tori auf der Kata-Achse und muß einen größeren Schritt machen, um Uke nach vorne über sein Standbein zu ziehen. (Ich würde sogar sagen, ein ganz anderes Wurfprinzip)
Dann haben wir hier offenbar eine recht wesentliche Änderung in der Ausführung, oder nicht?
Daraus stellt sich sofort die Frage: Was wurde mit dieser Änderung bezweckt?
Mit freundlichem Gruß

Fritz
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Re: Nage-no-Kata Anfang 20. Jahrh. und heute - ein Vergleich

Beitrag von kastow »

yag Verfasst: 18.06.2009, 10:04 hat geschrieben:Von den Herren Otaki und Dräger habe ich noch nie gehört, meine Kenntnisse über die Nage-No-Kata beziehen sich alleine auf Volker Goertz.
Und was ist mit dem Weinmann, aus dem du bereits zitiert hast? :eusa_think
Herzliche Grüße,

kastow

Since the establishment of Kôdôkan jûdô, jûdô has become something that should be studied not only as a method of self-defence but also as a way of training the body and cultivating the mind. (Jigorô Kanô: MIND OVER MUSCLE)
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Re: Nage-no-Kata Anfang 20. Jahrh. und heute - ein Vergleich

Beitrag von tutor! »

Fritz hat geschrieben:
katana hat geschrieben:In der "modernen Version" bleibt Tori auf der Kata-Achse und muß einen größeren Schritt machen, um Uke nach vorne über sein Standbein zu ziehen. (Ich würde sogar sagen, ein ganz anderes Wurfprinzip)
Dann haben wir hier offenbar eine recht wesentliche Änderung in der Ausführung, oder nicht?
Daraus stellt sich sofort die Frage: Was wurde mit dieser Änderung bezweckt?
Die Diskussion kommt in der Tat auf Kurs - erfreulich! Ich habe gestern noch einmal alle Vorbemerkungen bei Otaki/Draeger nachgelesen.

Sinngemäß und aus dem Kopf:
  • die Technik demonstriert/schult die Kraftübertragung aus dem ganzen Körper über die Hände
  • die ursprüngliche Form von Kano wurde nicht verändert
  • die Technik darf nicht mit anderen aus dem Jujutsu stammenden Techniken verwechselt werden, bei den Uke rechtwinklig aus der Achse herausdreht.
Yamashita dreht definitiv nicht rechtwinklig heraus, aber eben etwas. Dies ist ja keineswegs "falsch", aber ich kann mir gut vorstellen, dass im Sinne von Punkt 1 der geradere Schritt bevorzugt wird, um im Sinne von Punkt 3 erst gar nicht die Gefahr einer Verwechslung aufkommen zu lassen.
katana hat geschrieben:Viel wichtiger ist der Zweck der "Schritte" (und Handlungen), also die dadurch entstehende Situation, die dann durch die folgende Technik gelöst wird.
Daß sich dadurch eine Schrittzahl ergibt, will man nicht zu lange spazierengehen, ist eher eine
zwangsläufige Folge, als eine Grundvorgabe.
So zum Beispiel bei tomoe-nage. Otaki/Draeger schreiben, dass die Zahl der Schritte früher nicht vorgegeben war....
katana hat geschrieben:Der Drehwinkel beim Uki-Goshi ergibt sich zwangsläufig aus der optimalen Kontaktfläche zu Uke, sowie der korrekten Ausführung. (Zur Ausführung gibt es ja schon einen Faden.) Auch hier ist der Winkel (zur Wurfachse, wenn ich dich
richtig verstanden habe) das zwangsläufige Ergebnis, nicht das von vornherein anzustrebende Ziel.
Genau.... Und der wiederum ist von anderen Faktoren abhängig, z. B. von der Schrittlänge von Ukes Schlag und der wiederum vom Abstand....

Mehr kann ich erst später schreiben - die Arbeit winkt.
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Re: Nage-no-Kata Anfang 20. Jahrh. und heute - ein Vergleich

Beitrag von Reaktivator »

Ein offenes Wort möchte ich noch zu diesem Forum äußern: "Mir gefällt gar nicht, wie sich der User Reaktivator verhält, so etwas gehört sich nicht. Möglich ist derlei Gebaren nur im Versteck, hinter der Anonymität. Ich nenne das mangelnde Courage. Einem Jungspunt mag man es verzeihen, einem gestandenen Judo-Schwarzgurt eher nicht. (...) Du lieber Reaktivator beantwortest keine Fragen zu unserem Sport, offensichtlich kannst Du nur überheblich spotten und mit deinen Japanischkenntnissen angeben. Du bist ein klassischer Möchtegernbesserwisser, manchmal ist das ja jeder von uns Menschen, doch bei Dir bemerke ich dieses leider in jedem Beitrag, den ich bisher gelesen habe. Auch verstehe ich das Getöne des Users Tutor nicht, immer sehr konziliant, manchmal scharf und beleidigt, aber beherrscht.
Lieber "XYZ": Kommst Du Dir nicht selbst ziemlich albern vor? Soll das jetzt wieder auf die Ebene "ad hominem" abgleiten?
Bleib doch lieber bei Herbert & Hilde. Ihr paßt gut zusammen.


Zurück zum eigentlichen Thema:

Da oben die "Genese von Uki-goshi -> Harai-goshi -> Tsuri-komi-goshi" erwähnt wurde, dazu noch ein kleiner Hinweis:

Es gibt u.a. schon aus dem Jahr 1901 einen Artikel von Kano, in dem er sich selbst schriftlich zu Tsurikomi-goshi äußert:
Dort beschreibt er die Entwicklung, die vom Uki-goshi zum Harai-goshi und schließlich weiter zum Tsurikomi-goshi geführt hat - und liefert damit die bis heute im Zusammenhang mit der Nage-no-kata vermittelte Begründung für die Reihenfolge dieser drei Würfe.
(KANŌ, Jigorō: »Kōdōkan Jūdō Kōgi« (»Vorlesung zum Kōdōkan Jūdō«); in: »Kokushi«, herausgegeben von der »Zōshikai«, Ausgabe November 1901)

Bei der offiziellen Festlegung der Nage-no-kata im Jahr 1906 durch die "Dai Nippon Butokukai" wurden diese drei Würfe dann ja auch als Gruppe der Koshi-waza in die Nage-no-kata aufgenommen....
....bzw. genau genommen "beibehalten", denn es gibt Dokumente, aus denen hervorgeht, daß 1906 von den bis dahin 15 in der Nage-no-kata des Kodokan enthaltenen Würfen nur zwei ausgetauscht wurden (Kata-guruma statt Sukui-nage sowie Sumi-gaeshi statt Tsuri-otoshi) - und alle anderen beibehalten wurden.
Ob Tsurikomi-goshi indes auch schon in der ersten, aus 10 Würfen bestehenden Version der Nage-no-kata enthalten war, ist ebenso unklar wie der genaue Zeitpunkt, ab dem am Kodokan die 10-Würfe-Version in die 15-Würfe-Version geändert wurde.
Ein Forenmitglied ohne Signatur ist wie ein Forenmitglied ohne Namen.
(Alte Internet-Weisheit, frei nach "Reaktivator")
tutor!
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Re: Nage-no-Kata Anfang 20. Jahrh. und heute - ein Vergleich

Beitrag von tutor! »

yag hat geschrieben:Lieber Tutor (und Du bist Doch ein Experte),
nimm Dir bitte die Zeit und erläutere mir die besagte Genese. Ich bin mir völlig im Unklaren darüber ob ich Meister Kanos Judo verstanden habe.

Von den Herren Otaki und Dräger habe ich noch nie gehört, meine Kenntnisse über die Nage-No-Kata beziehen sich alleine auf
Volker Goertz.
Das haben ja jetzt andere (Katana, Reaktivator) dankenswerter Weise schon getan, so dass dieser Punkt eigentlich klar sein dürfte. Alles, was über diese Erklärungen hinaus geht, sollte man eher auf der Matte machen. Aber Du hast Dich ja zum Forumstreffen angemeldet. Von Fritz weiß ich, dass er diese Dinge beherrscht und sie Dir sicherlich gerne zeigen wird.

Otaki/Daeger: "Judo Formal Techniques". Gibt es bei Amazon und sollte jeder ernsthafte Judoka besitzen.
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Re: Nage-no-Kata Anfang 20. Jahrh. und heute - ein Vergleich

Beitrag von yag »

tutor! hat geschrieben:Das haben ja jetzt andere (Katana, Reaktivator) schon getan, so dass dieser Punkt eigentlich klar sein dürfte. Alles, was über diese Erklärungen hinaus geht, sollte man eher auf der Matte machen. Aber Du hast Dich ja zum Forumstreffen angemeldet. Von Fritz weiß ich, dass er diese Dinge beherrscht und sie Dir sicherlich gerne zeigen wird.
Otaki/Daeger: "Judo Formal Techniques". Gibt es bei Amazon und sollte jeder ernsthafte Judoka besitzen.
Aus Reaktivators Beitrag kann leider niemand die Genese ableiten. Ich werde Fritz fragen, wenn er das Thema aufgreifen möchte, gut!

Dieter.
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Re: Nage-no-Kata Anfang 20. Jahrh. und heute - ein Vergleich

Beitrag von Fritz »

Reaktivator hat geschrieben:Dort beschreibt er die Entwicklung, die vom Uki-goshi zum Harai-goshi und schließlich weiter zum Tsurikomi-goshi geführt hat - und liefert damit die bis heute im Zusammenhang mit der Nage-no-kata vermittelte Begründung für die Reihenfolge dieser drei Würfe.
(KANŌ, Jigorō: »Kōdōkan Jūdō Kōgi« (»Vorlesung zum Kōdōkan Jūdō«); in: »Kokushi«, herausgegeben von der »Zōshikai«, Ausgabe November 1901)
@Reaktivator: Hast Du eine Übersetzung davon parat?
Die würde nicht nur mich, denke ich, sehr interessieren...

@Tutor!: Stell mich bitte nicht als "Experten" bzgl. Nage-No-Kata hin, denn das bin ich nicht,
obwohl ich Kata schon irgendwie mag... ;-)
Mit freundlichem Gruß

Fritz
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