Heutiges Judotraining und Moral

Hier geht es um die Trainingsgestaltung,-methodik,-formen.
CasimirC
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Re: Heutiges Judotraining und Moral

Beitrag von CasimirC »

Das geht aber doch meines Wissens, zumindest in Deutschland, an der Realität vorbei, wenn man mal von den Anfänger-Turnieren absieht.
Theorie: Wenn alle wissen, wie es geht, und es geht nicht.
Praxis: Wenn es geht, und keiner weiß, warum.
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Fritz
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Re: Heutiges Judotraining und Moral

Beitrag von Fritz »

CasimirC hat geschrieben:Das geht aber doch meines Wissens, zumindest in Deutschland, an der Realität vorbei, wenn man mal von den Anfänger-Turnieren absieht.
Die Frage ist doch, warum das so ist. Letztendlich ist es doch unsere Aufgabe als Trainer,
die entsprechende Aussage Kanos unseren Üblingen zu vermitteln.
Mit freundlichem Gruß

Fritz
Jupp
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Re: Heutiges Judotraining und Moral

Beitrag von Jupp »

Moral entwickelt sich durch Regeln und dadurch gelerntes Verhalten.
Im Judo haben wir - je nach Dojo und Judolehrer - unterschiedliche Regeln, mit denen wir unseren Unterricht steuern.

Im Folgenden möchte ich die Regeln (hier Hinweise genannt), die meinen Unterricht leiten (und die ich in jeder ersten Judostunde an die neuen Schüler schriftlich ausgebe) kurz vorstellen und den jeweiligen Sinn aus meiner Sicht kurz erläutern.

Im Anschluss daran stelle ich zehn Fragebereiche, die ich mir immer wieder stelle, um zu überprüfen, ob ich (immer noch) als Vor-Bild für meine Schüler hinreichend geeignet bin.

Zehn Hinweise für Judoschüler

Was die Judoschüler in der ersten Judostunde kennenlernen, nehmen sie für ihr ganzes Judo-Leben mit. Die folgenden Hinweise erleichtern das Zusammenleben auf der Judomatte. Es sind vor allem pädagogische Orientierungen.

1. Judoka (so heißen diejenigen, die Judo üben) sind höflich und hilfsbereit zueinander. (Sinn: Das Dojo soll ein Ort sein, in dem mitmenschlicher Umgang eingeübt wird!)
2. Daher muß jeder mit jedem üben!!! Auch Große mit Kleinen und Jungen mit Mädchen bzw. umgekehrt!!! (Sinn: von Anfang an soll es keine Außenseiter in der Gruppe geben, vor allem nicht auf Grund von körperlichen Besonderheiten wie Größe, Gewicht, Geschlecht...)
Allerdings darf niemand gezwungen werden mit einem bestimmten Partner zu üben. Jeder kann “Nein!“ sagen. Vor allem gilt dies für das Üben von Mädchen und Jungen, was gerade in der Anfangsphase manchmal sehr sensibel gehandhabt werden muss. Doch: die Übungsgruppe muss gewährleisten, dass bei ungeraden Zahlen niemand mehr als einmal zuschauen muss, beim nächsten Partnerwechsel muss der „Zuschauer“ mit eingebaut werden.
3. Alle müssen sich beim Üben so verhalten, daß beide Partner etwas lernen können. Deswegen helfen sich Judoka gegenseitig! (Sinn: nur wenn der Partner sich lernfördernd verhält, können neue Bewegungen geübt und verstanden werden)
4. Judoka üben immer abwechselnd, d.h. zunächst der eine, dann der andere - so lange, bis der Trainer "Stop!" sagt. (Sinn: beide Partner sollen gleich lange Übungszeiten erhalten; Schutz für weniger durchsetzungsstarke Kinder-Persönlichkeiten)
5. Alle Judotechniken werden von Anfang an sowohl zur rechten als auch zur linken Seite hin geübt. So lernt man schneller! (Sinn: jedes Kind soll seine Lieblingsseite entdecken können; gleichmäßige körperliche Belastung; von Anfang an auch rechts gegen links bzw. links gegen rechts; keine Vorgaben!)
6. Auf der Matte kann gesprochen werden und man kann Spaß und Freude haben. Wenn der Trainer jedoch in die Hände klatscht, muß man das Reden unterbrechen und zuhören. (Sinn: klare Unterscheidung von Übungs- und Demonstrationsphasen; herstellen einer Lernatmosphäre)
7. Wenn der Trainer etwas vormacht, sitzen die Judoka auf den roten Matten (in einer Reihe nebeneinander, im Halbkreis...) und schauen aufmerksam zu, damit sie die Judotechniken verstehen. (Sinn: Aufbau eines ersten inneren Bildes der Bewegung)
8. Die Judoka wissen, daß Judotechniken gefährlich sein können, wenn man sie grob und unaufmerksam anwendet. (Sinn: alle Judoka müssen sich für das Wohlbefinden ihres Partners verantwortlich fühlen und überlegt handeln)
9. Die Judoka erscheinen pünktlich und verlassen die Matte nur am Ende des Unterrichts oder wenn sie sich vorher beim Trainer abgemeldet haben. (Sinn: Aufsichtspflicht des Trainers; geordneter Trainingsbetrieb)
10. Die Judoka nehmen regelmäßig am Judo-Unterricht teil. (Sinn: die einzelnen Stunden bauen aufeinander auf und sind jede ein wichtiger Teil der Ausbildung zum Judoka)


Zehn Fragen an Judotrainer/Judolehrer

Wenn Du als Lehrer/Trainer im Judo die folgenden zehn Fragenbereiche für Dich selber beantwortest, wirst Du Dich und die Sorgen/Schwierigkeiten Deiner Schüler im Judo vielleicht ein wenig besser verstehen.

1. Bist Du geduldig? Denkst Du immer daran, dass Du Kinder vor Dir hast, die gerade erst mit dem Judo begonnen haben? Ist Dir bewußt, dass solche Kinder oft ungeschickt, lernunwillig, frustriert, schlecht gelaunt, übermütig, laut und frech sein können, wenn sie nach der Schule zum Judo kommen? Erklärst Du immer wieder geduldig, was sie benötigen, um im Judo besser zu werden?
2. Bist Du gerecht? Kennst Du Deine Vorurteile? Behandelst Du alle Kinder gleich? Bist Du immer freundlich zu allen Kindern, auch zu denen, die nicht so schnell lernen? Kannst Du Vorfälle vergessen oder „kartest“ Du ständig nach?
3. Bist Du selbstkritisch? Suchst Du Fehler auch einmal bei Dir? Gestehst Du vor den Kindern ein, etwas falsch gemacht zu haben? Kannst Du Dich für Fehler bei den Kindern entschuldigen?
4. Bist Du ein Vorbild? Stellst Du an Dich die gleichen Anforderungen wie an die Kinder? Bist Du freundlich und höflich und hilfsbereit?
5. Kann man sich auf Dich verlassen? Weißt Du, warum Du als Judotrainer arbeitest? Bist Du Dir über Deine wirklichen Motive im Klaren? Kennen Deine Kameraden im Verein Deine Motive?
6. Kannst Du loben? Ist Dir bewußt, wie sehr Kinder auf die lobende Zusprache von Erwachsenen angewiesen sind, wenn sie lernen? Lobst Du auch diejenigen, die nicht so schnell Fortschritte machen?
7. Hast Du selber noch Freude am Judo üben? Macht Dir die kämpferische Auseinandersetzung mit einem Partner noch Freude? Schwitzt Du gerne mit anderen auf der Judomatte? Bist Du vom Judo immer noch begeistert?
8. Lernst Du noch? Bildest Du Dich regelmäßig weiter? Liest Du Fachzeitschriften und neue Bücher? Gehst Du zu Lehrgängen? Besuchst Du Judomeisterschaften? Schaust Du Dir „Deine“ Kinder bei ihren Wettkämpfen an?
9. Beinflußt Judo Dein übriges Leben positiv? Hast Du Freude am und Freunde im Judo? Bist Du noch gut in Form?
10. Bist Du engagiert? Arbeitest Du über Deine Lehrtätigkeit hinaus in anderen Bereichen des Vereins oder Deiner Umgebung? Bist Du Kampfrichter, Prüfer, Jugendleiter oder Trainer-Ausbilder? Bist Du politisch engagiert? Mischst Du Dich ein?

Wohl kaum ein Judolehrer/Trainer wird alle die nachfolgenden Fragen immer mit „Ja!“ beantworten können. Dies ist auch nicht der Sinn dieser Fragenbereiche. Mir geht es vielmehr darum, aufzuzeigen, wie umfassend, anspruchsvoll und vor allen Dingen „selbst-erzieherisch“ die Arbeit auf der Judomatte mit den uns anvertrauten Kindern und Jugendlichen sein kann.

Ich habe diese Fragen (für die Klaus Kessler, Dozent für Judo an der Sporthochschule Köln, 1993 die Anregungen lieferte) im Anschluss an unseren Kongress „Judo & Pädagogik“ im September 1999 neu formuliert und inhaltlich überarbeitet.

Jupp
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Makikomi Kid
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Re: Heutiges Judotraining und Moral

Beitrag von Makikomi Kid »

@Jupp:
Das sind doch Regeln die eher an ein kindliches Publikum gerichtet sind. Mir drängt sich hier beinahe schon wieder die Idee mit Handpuppen und/oder einem Kasperletheater mit entsprechenden Puppen auf.

Ich nehm mir mal die Freiheit, deine Regeln etwas meiner Idee anzupassen.

1) Judoka trainieren miteinander und arbeiten gemeinsam daran, im Judo besser zu werden. Das Dojo soll ein Ort sein, an dem Judo geübt wird.
2) Daher muss jeder mit jedem üben. Sinn: Gewichtsklassen sind BS, und jeder kann von jedem lernen, bzw. je nach Partner andere Schwerpunkte setzen.
3) Alle Judoka bewegen sich der Bewegungsaufgabe entsprechend. Es wird nicht mitgesprungen. Bei Hebeln und Würgern wird abgeklopft, sobald das gestellte Ziel erreicht ist. Es wird weder abgeklopft, wenn eine Technik nicht kommt, noch wird nicht abgeklopft, wenn eine Technik kommt.
4) (Ist doch eher je nach gestellter Aufgabe... und der Trainer sollte doch eher "Stopp!" sagen)
5) Man übt immer beide Seiten, damit, wenn sich die Gelegenheit ergibt, auch die passende Technik machen kann. Lieblingsseiten sind genauso wie Lieblingstechniken beim Erlernen der Grundlagen (bis zum ersten Dan) nicht zu unterstützen.
6) Weniger schwatzen, mehr schwitzen
7) Wenn der Trainer demonstriert, dann wird das Gezeigte aufmerksam betrachtet. Hierzu wird eine passende Position eingenommen. (Dies sollte bei Erwachsenen aber auch nicht gesagt werden müssen)
8) Auf die Wirkungen von Judotechniken wird hingewiesen, entsprechende Hinweise werden vom Trainer beim Erklären neuer Konzepte, oder bei Anwesenheit neuer Schüler gegeben.
9 und 10 sind für mich Teil von 1)
"Es gibt auf Dan Prüfungen zu höheren Stufen noch Dan-Träger, die noch nicht richtig fallen können" - Judoka50
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Fritz
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Re: Heutiges Judotraining und Moral

Beitrag von Fritz »

Jupp hat geschrieben: Wenn Du als Lehrer/Trainer im Judo die folgenden zehn Fragenbereiche für Dich selber beantwortest, wirst Du Dich und die Sorgen/Schwierigkeiten Deiner Schüler im Judo vielleicht ein wenig besser verstehen.

1. Bist Du geduldig? Denkst Du immer daran, dass Du Kinder vor Dir hast, die gerade erst mit dem Judo begonnen haben? Ist Dir bewußt, dass solche Kinder oft ungeschickt, lernunwillig, frustriert, schlecht gelaunt, übermütig, laut und frech sein können, wenn sie nach der Schule zum Judo kommen? Erklärst Du immer wieder geduldig, was sie benötigen, um im Judo besser zu werden?
2. Bist Du gerecht? Kennst Du Deine Vorurteile? Behandelst Du alle Kinder gleich? Bist Du immer freundlich zu allen Kindern, auch zu denen, die nicht so schnell lernen? Kannst Du Vorfälle vergessen oder „kartest“ Du ständig nach?
3. Bist Du selbstkritisch? Suchst Du Fehler auch einmal bei Dir? Gestehst Du vor den Kindern ein, etwas falsch gemacht zu haben? Kannst Du Dich für Fehler bei den Kindern entschuldigen?
4. Bist Du ein Vorbild? Stellst Du an Dich die gleichen Anforderungen wie an die Kinder? Bist Du freundlich und höflich und hilfsbereit?
5. Kann man sich auf Dich verlassen? Weißt Du, warum Du als Judotrainer arbeitest? Bist Du Dir über Deine wirklichen Motive im Klaren? Kennen Deine Kameraden im Verein Deine Motive?
6. Kannst Du loben? Ist Dir bewußt, wie sehr Kinder auf die lobende Zusprache von Erwachsenen angewiesen sind, wenn sie lernen? Lobst Du auch diejenigen, die nicht so schnell Fortschritte machen?
7. Hast Du selber noch Freude am Judo üben? Macht Dir die kämpferische Auseinandersetzung mit einem Partner noch Freude? Schwitzt Du gerne mit anderen auf der Judomatte? Bist Du vom Judo immer noch begeistert?
8. Lernst Du noch? Bildest Du Dich regelmäßig weiter? Liest Du Fachzeitschriften und neue Bücher? Gehst Du zu Lehrgängen? Besuchst Du Judomeisterschaften? Schaust Du Dir „Deine“ Kinder bei ihren Wettkämpfen an?
9. Beinflußt Judo Dein übriges Leben positiv? Hast Du Freude am und Freunde im Judo? Bist Du noch gut in Form?
10. Bist Du engagiert? Arbeitest Du über Deine Lehrtätigkeit hinaus in anderen Bereichen des Vereins oder Deiner Umgebung? Bist Du Kampfrichter, Prüfer, Jugendleiter oder Trainer-Ausbilder? Bist Du politisch engagiert? Mischst Du Dich ein?
Vorweg: Die folgenden Ergänzungen enthalten durchaus auch sarkastisch gemeinte Elemente,
wer nicht mehr in der Lage ist, diese ohne Grinslinge zu erkennen,sollte hier aufhören zu lesen..


1b) Bist Du ehrlich? Zeigst Du den Trainingsteilnehmern auch gelegentlich, daß Du auch nur ein Mensch bist - ein Mensch, der durchaus mal genervt, enttäuscht, beleidigt, zornig usw. sein kann? Gibst Du gerade auch Kinder Gelegenheit zu spüren, daß ihr Verhalten auch bei Dir zu menschlichen Reaktionen über die komplette Spannweite führen kann?
2b) Zeigst Du den Kinder, daß Du sie als Individuen wahrnimmst? Bereitest Du sie dahingehend aufs Leben vor, daß Du ihnen verdeutlichst, daß sie - wenn sie als
Individuen wahrgenommen werden wollen, auch akzeptieren müssen, daß sie individuell unterschiedlich behandelt werden? Zeigst Du Ihnen auch die Nachteile von totaler Gleichbehandlung?
3b) Machst Du den Kinder klar, daß bei aller Fehlerzugeberei, dennoch Unterschiede zwischen Lehrendem und Lernendem bestehen..?
4b) Zeigst Du den Kindern, daß auch Du ein Mensch mit Fehlern bist? Ersparst Du ihnen die Enttäuschung, mit steigender Lebenserfahrung _plötzlich_
erkennen zu müssen, daß ihr "Vorbild" keinesfalls die "leuchtende Idealperson" ist, wie sie immer dachten... daß eigentlich niemand so eine Person ist..?
5b) Führst Du den Trainingsteilnehmern und Vereins-Funktionären gelegentlich vor Augen, daß (Deine) Zuverlässigkeit heutzutage alles andere als
eine Selbstverständlichkeit ist? Forderst Du diese Zuverlässigkeit auch konsequent von den anderen ein?
6b) Kannst Du tadeln oder scheust Du Dich davor, ein Kind, welches sozusagen vor der Gruppe ein Fehlverhalten aufzeigt, vor eben dieser Gruppe
auf das Fehlverhalten so hinzuweisen, daß auch der Rest der Gruppe merkt, daß das solch Verhalten bemerkt, verurteilt und geahndet wird?
Vermeidest Du, "Schein-Erfolgserlebnisse" zu schaffen? Nichts ist schlimmer für einen Lernenden, mit dem (falschen) Gefühl irgendetwas gut zu können / gelernt zu haben,
sich dann anderswo unsterblich zu blamieren bzw. zu versagen...
7b) (bzw. Hinweis 6b) Machst Du überdeutlich, daß Judotraining unbedingt Spaß machen soll, also erklärst Du den Trainingsteilnehmer genau,
wann und wie genau _Dir_ Training Freude macht? Weist Du regelmäßig darauf hin, daß alles "freiwillig" ist beim Judo-Training?
Zeigst Du den Üblingen freiwillige einfache Alternativen (Liegestütze, an die Seite auf die Bank setzen o.ä.) auf zu Dingen,
die sie unspaßig oder langweilig finden (z.B. langweiliges Üben der Würfe oder Randori oder die gerade
angesagte Übung) oder wo sie sich tagesformbedingt überfordert fühlen? Zeigst Du ihnen einfache Möglichkeiten auf, wie sie dem Wunsch
die Alternative zu wählen Ausdruck verleihen können - z.B. in dem sie sich durch laute Geräusche, Rufe o.ä. bemerkbar machen, oder halt
einfach nur durch bewegungslos/gelangweilt herumstehen?
8b) Liest Du _alte_ Bücher? Regst Du die Trainingsteilnehmer an, über die reine Trainingszeit hinaus, sich mit Judo zu beschäftigen?
9b) siehe 7b
10b) Stehst Du zu Deinen Überzeugungen? Oder beugst Du Dich devot jeder noch so unsinnigen "Idee" des Verbandes, der politischen Korrektheit, des Zeitgeistes usw.usf.?
Erziehst Du Deine Üblinge dazu, Sachverhalte auch aus mehreren Blickwinkel (insbesonders dem des Gegenüber) zu betrachten?
Mit freundlichem Gruß

Fritz
Kumamoto
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Re: Heutiges Judotraining und Moral

Beitrag von Kumamoto »

Jeder Trainer/ Übungsleiter hat/ lebt seinen eigenen Stil, den er auch in seine Gruppe einbringt.
In den vorangegangenen Beiträgen kommen für mich zwei verschiedene Positionen zum Ausdruck:
1. der Trainer als Idealbild
und
2. der Trainer als menschliches Wesen, als "Primus inter parens", Erstem unter gleichen.
Beide Vorstellungen haben ihre interessanten Seiten und sind überlegenswert.
Was Jupp eingebracht hat, ist ein weiterer wichtiger Punkt, der einen Menschen voranbringen kann: Die Fähigkeit zur Selbstreflexion. Man muss sich selbst auch einmal hinterfragen, sich selbst zurücknehmen, sich selbst relativieren.
Dadurch erkennt man, dass man selbst nicht perfekt ist und man "die Weisheit nicht mit Löffeln gefressen hat", selbst noch lernt.
Betrachtet man das so, sind die beiden Positionen nicht allzu weit auseinander und vereinbar.
Meiner Meinung nach muss man vorbildlich handeln (oder wenigstens versuchen so zu handeln) und sich dabei auf ein Niveau/ eine Ebene begeben, die ebenbürtig ist (nicht auf dem hohen Roß sitzen bleiben)
CasimirC
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Re: Heutiges Judotraining und Moral

Beitrag von CasimirC »

Ich freue mich darüber, dass die Diskussion bislang wirklich sehr ergiebige, gute Beiträge gebracht hat. Ich werde nachher noch einen Teil ergänzen, wie ich Wertevermittlung auf der Matte betreibe (oder mir einbilde, sie zu betreiben ;) ).

Ein Punkt, den ich hier aber schnell noch in den Raum werfen möchte, ist folgender: Man ist nicht nur im Dojo Judoka, sondern auch im Alltag. Das ist ein Punkt, auf den ich besonderen Wert lege, denn nur wenn ich sehe, dass Judoka die Werte, die ihnen während des Trainings vermittelt und die sie dort einüben können, auch auf dem Schulhof, auf der Arbeit, in der Familie oder im öffentlichen Leben anwenden (ja, gar "ausleben"), dann merke ich, dass sie verstanden haben, um was es geht.

Dazu gehört auch (ich spreche das an, weil das Thema "Lehrender - Lernender" gerade auch von Fritz thematisiert wurde), dass ich auch außerhalb der Matte von anderen Judoka als ihr "Trainer" wahrgenommen werde (sprich: als Ansprechpartner, Ratgeber, Helfer gerade auch in Fällen, in denen Schüler Rat/ Beistand bei Nicht-Judo-Themen wünschen), aber dass ich auch zeige, dass ich abseits des Trainingsbetriebs auch kein Problem damit habe, mich selber unterzuordnen und anderen eine Führungsrolle zuzugestehen, weil ich eben nur "Einer unter Gleichen" bin.
Theorie: Wenn alle wissen, wie es geht, und es geht nicht.
Praxis: Wenn es geht, und keiner weiß, warum.
Jupp
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Re: Heutiges Judotraining und Moral

Beitrag von Jupp »

Ich kann mich CasimirC voll inhaltlich anschließen, wenn er schreibt:
"Ich freue mich darüber, dass die Diskussion bislang wirklich sehr ergiebige, gute Beiträge gebracht hat."

Dies sehe ich ganz genau so!

Ich finde mich durchaus in den Stellungnahmen von ihm und von Fritz wieder, die meine "Regeln" und Fragen um eigene Stellungnahmen ergänzt haben.

Jupp

P.S.: So stelle ich mir Diskussionen hier im Judoforum vor: sachgerecht, individuell, persönlich und informativ!
Kumamoto
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Re: Heutiges Judotraining und Moral

Beitrag von Kumamoto »

(Judo-)Werte zieht man genausowenig mit dem Judo-Gi aus, wie man sie anlegt, wenn man ihn anzieht. Werte sind universell (gültig). Wenn ich auf der Matte andere Werte habe/ lebe/ lehre/ predige/... spiele ich eine Rolle - entweder im Dojo oder im Leben.
Ich habe - persönlich - ein Problem mit dem Begriff "Judo-Werte". Wenn es JUDO- Werte gibt, gibt es dann auch FUSSBALL-Werte, RUGBY-Werte, etc.?
Ist ein Mensch, nur weil er Judo betreibt, wert(e)voller, moralischer? Wohl kaum. Es kommt immer auf den Menschen an, nicht auf das Sportgerät oder das Trikot.
Ich denke, es gibt gar keine Sportvereine, sondern nur Sozialvereine. Der Sport, egal welcher, ist nur Mittel der Sozialisierung. Im Grunde ist die Sportart austauschbar. Individuellen Wert haben die einzelnen Sportarten nur in der Ausbildung und Schulung von speziellen Fertigkeiten. Eine moralische Ebene besitzen entweder alle oder keine.
So wie Nathan der Weise glaubt, "dass alle Länder gute Menschen tragen", glaube ich, dass alle Sportarten gute, ehrliche Menschen hervorbringen können.
caesar
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Re: Heutiges Judotraining und Moral

Beitrag von caesar »

@Jupp:
Ich lese in deinen "Fragen an einen Trainer" nur etwas von Kindern. Es ist schön, wenn wir den Kindern etwas beibringen und sie im Menschwerden begleiten, aber ist das Problem des DJB doch nicht, dass es zu wenig Kinder gibt, die mit Judo anfangen, sondern zu wenig die dabeibleiben. Jeder Trainer wird darauf vorbereitet, das erste Jahr mit den Kindern umgehen zu können, und dann? Als ich mit 8 Jahren mit Judo anfing, waren wir 30 Kinder. Als ich 16 war, war ich der einzige aus dieser und auch noch einer weiteren Gruppe, der noch Judo betrieb. Eventuell sollte man sich mehr darauf konzentrieren, wie man die Menschen beim Judo hält, wenn man sie Heranwachsende nennt. Denn über moralische Werte hält man niemanden beim Judo, zumal diese Grundsätze bei einem Training in einer Gruppe eigentlich von allein erzogen werden. Aus meiner persönlichen Sicht, wird sich aktuell zu sehr darum gekümmert, wie man den Kinder und vor Misserfolgen schützt und ihnen Werte beibringen will, die früher auch von alleine kamen und es werden sich viel zu wenig Gedanken gemacht, wie man denn die Kinder beim Judo hält, damit sie überhaupt erstmal Judo erlernen. Es kann nicht jeder Weltmeister werden und irgendwann macht vielen der Wettkampf keinen Spaß mehr. Man sollte sich mehr konzentrieren, wie man diesen dann Judo beibringt, abseits des Wettkampfsports. MMA und BJJ Buden verlange horrende Preise und können sich über zu wenig erwachsene Teilnehmer nicht beschweren.

Auf einen Punkt möchte ich noch eingehen:
Jupp hat geschrieben:Liest Du Fachzeitschriften und neue Bücher?
Fritz hat geschrieben:Liest Du _alte_ Bücher?
Da würde ich doch viel lieber auch bei deinen offiziell verbreiteten "Fragen an einen Judotrainer" "Fritz" seinen Grundsatz lesen. Was aktuell in den(der) deutschen Fachzeitschrift steht und in neuen deutschen Judobüchern ist aus meiner Sicht nicht das tolle Judo. Zumal gibt es zu wenig Judoka die auch nur einen einzigen Text von Kano gelesen haben und anscheinend noch weniger die diese verstanden haben. In alten Judobüchern findet man häufig die besten Technikbeschreibung und an diesen sollte man sich doch orientieren, wenn man gutes Judo lernen möchte, oder?
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Re: Heutiges Judotraining und Moral

Beitrag von kastow »

caesar hat geschrieben:Es kann nicht jeder Weltmeister werden und irgendwann macht vielen der Wettkampf keinen Spaß mehr. Man sollte sich mehr konzentrieren, wie man diesen dann Judo beibringt, abseits des Wettkampfsports. MMA und BJJ Buden verlange horrende Preise und können sich über zu wenig erwachsene Teilnehmer nicht beschweren.
Aber MMA und BJJ sind doch auch Wettkampfsportarten - an diesem Punkt kann ich deiner Argumentation nicht folgen :dontknow
Herzliche Grüße,

kastow

Since the establishment of Kôdôkan jûdô, jûdô has become something that should be studied not only as a method of self-defence but also as a way of training the body and cultivating the mind. (Jigorô Kanô: MIND OVER MUSCLE)
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Re: Heutiges Judotraining und Moral

Beitrag von Kumamoto »

Ich weiss von Jupp, dass er sich mit genau dieser Problematik beschäftigt hat und beschäftigt. Vielleicht kann Jupp uns ja seine "neuesten Zahlen" bzw. Erfolge mitteilen. Er betreibt eine Art von Judo, bei der "alle mitmachen können" http://www.judo-club-ford-saarlouis.de/NewsBlog/?p=957 Ein grossartiges Konzept!
Leider gibt es die Schriften Kanos -noch- nicht im Original auf deutsch. Das schreckt viele ab, näher in die Materie einzutauchen- sie paddeln weiter im seichten/ leichten Bereich herum. Aber ich kann aus eigener Erfahrung sagen, dass es sich lohnt. Aber ich muss zugeben, dass ich erst am Anfang bin zu verstehen...
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Re: Heutiges Judotraining und Moral

Beitrag von CasimirC »

Eigentlich wollte ich ja auch eine Zusammenfassung von Regeln aufschreiben, die ich für essenziell halte, aber im Prinzip kann ich mich den genannten vollständig anschließen, auch mit den sarkastischen(?) Ergänzungen von Fritz, wobei viele dieser Regeln eher auf einen technischen Verhaltenskodex denn auf einen moralischen hinarbeiten.

Die Richtlinien, die ich hier nun aufgeschrieben habe, zeigen hoffentlich recht deutlich, dass durch Judo-Praxis sehr viele gesellschaftliche Werte vermittelt werden können, ohne dass man unbedingt Verhaltensrichtlinien aufstellen muss.

Die oberste Prämisse beim Judo ist für mich, dass es mir Spaß machen muss, dass es aber auch (und das ist fast vorrangig) allen anderen Spaß machen muss. Vermittlung von Spaß am Judo und Spaß an der Bewegung steht für mich an erster Stelle. Einschränkend muss man an dieser Stelle natürlich sagen, dass nicht Jedem jede Übung/ Technik/ Trainingseinheit gleich viel Spaß macht, aber insgesamt muss die Beschäftigung mit Judo jedem Einzelnen so viel Spaß machen, dass er ohne Widerwillen auch "unsympathische" Teile bewältigen möchte.

Hinzu kommt, dass man in jeder Situation Rücksicht aufeinander nehmen sollte. Das beginnt beim Üben mit dem Partner oder in der Gruppe, geht über gegenseitige Hilfestellung und Unterstützung bei Problemsituationen (auch über das Judotraining als vereinsinterne Veranstaltung hinaus) und schließt für mich auch mit ein, dass der Übungsleiter auf die Interessen der Schüler eingeht und die Lerneinheiten am Leistungsvermögen und an den Interessen der Schüler weitestgehend ausrichtet und mit seinen Erwartung in Einklang bringt. Rücksichtnahme bedeutet jedoch nicht dieses "Mitspringen" oder frühes Abschlagen oder ähnliches, sondern dass man bspw. im Randori als erfahrener Judoka einen weniger erfahrenen nicht ständig wirft, sondern diesem auch Situationen anbietet, die er erkennen soll und in denen er seine Kenntnisse anwenden soll.

Zur moralischen oder "Werte"-Erziehung gehört für mich auch die Vermittlung von sozialer Teilhabe und von Gemeinschaft, schließlich können gesellschaftliche Werte nur in Gesellschaft eingeübt, erlebt und genossen werden. Dazu gehört, dass möglichst viele Übungen in Gruppen absolviert werden, bei denen erfahrenere Schüler die unerfahrenen beaufsichtigen und sie unterstützen, und dass immer mal wieder Schüler mit der Rolle eines "Co-Trainers" betraut werden, um ihnen ein Gefühl für Authorität und Wissensvermittlung zu geben. Dass regelmäßig Trainingspartner gewechselt werden, ist natürlich eine Selbstverständlichkeit. Eine ganz große Rolle spielen auch trainingsexterne Elemente wie Ausflüge, gemeinsame Feiern oder anlassbezogene Treffs, wo die Leute sich auch einmal außerhalb der Matte erleben und gemeinschaftliches Miteinander erfahren können (dazu gehört auch ein gemütliches Beisammensein nach der Trainingseinheit). Man lernt, dass jeder Mensch seine Fehler hat und auch einmal vom Idealbild abweicht, dass man aber auch zu seinen Fehlern stehen soll und sich bei Bedarf auch dafür entschuldigen sollte (z.B. entschuldige ich mich als Trainer auch schon einmal bei meinen Schülern dafür, wenn ich im Affekt ein wenig übertrieben reagiert habe, auch mit dem Hintergrund ihnen zu zeigen, dass auch ich ihnen verzeihen kann, wenn sie einmal über die Stränge schlagen und sich dafür entschuldigen).

Ein ganz wichtiger Punkt ist auch, dass man insgesamt offen für Neues oder Anderes ist, dass man Toleranz zeigt, was durchaus auch den Punkt "Weiterbildung" einschließt. Ich versuche durch Gespräche, durch Literatur, der Fortbildungen,...usw. möglichst viel Input zu erhalten und möglichst viele unterschiedliche Sichtweisen aufzunehmen, um meine eigene Meinung weiter auszuformen oder gegebenenfalls zu korrigieren. Das beginnt bei ganz theoretischen Dingen wie "Was ist Judo überhaupt?" und endet bei der praktischen Umsetzung von Lehr- und Lerninhalten auf der Matte, aber auch außerhalb. Trainingseinheiten sollten abwechslungsreich gestaltet sein und immer mal wieder neue Elemente bieten, neben den ebenso wichtigen Routineelementen. Dies erwarte ich jedoch im Gegenzug auch in gewisser Weise von allen Trainingsteilnehmern, zumindest die Offenheit gegenüber neuen Elementen. Diese Toleranz lässt sich, einmal erlernt, großartig auch auf die gemeinschaftliche/ gesellschaftliche Ebene übertragen.

Ein letzter Punkt, den ich noch thematisieren möchte, ich der Punkt der Kritikfähigkeit. Ein Judoka sollte in der Lage sein, sich eine eigene Meinung anzueignen und diese zu begründen, er sollte jedoch auch in der Lage sein, Kritik von anderen anzunehmen. Kritik durch den Übungsleiter/ Trainer kennt jeder und ist daher auch von jedem nachvollziehbar, aber diese Kritik muss ich als Trainer auch so begründen können, dass mein Gegenüber etwas damit anfangen kann. Gleichzeitig bin ich als Trainer jedoch, bei aller Autorität, von Kritik nicht ausgenommen und muss mir auch, in entsprechendem Rahmen, Rückmeldung von Schüler gefallen lassen und diese auch für mich nutzen. Für unsere Erwachsenengruppe habe ich zum Ende letzten Jahres bspw. Rückmeldebogen ausgeteilt, auf denen sie meine Trainingsleitung beurteilen und Vorschläge für Verbesserungen mitteilen konnten (der schriftliche Weg ist halt meistens einfacher als der mündliche). Nach einem ersten Schock ("Oh Gott, wieso denn das? Ehrlich? Ich soll mir Gedanken zum Training machen?) wurde diese Rückmeldung aber sehr gut genutzt und ich konnte daraus gute Rückschlüsse über meine Trainingsleitung ziehen.

Hinzu kommen natürlich auch Werte wie "Ernsthaftigkeit", "Höflichkeit", "Ehrlichkeit", "Bescheidenheit", "Mut" und "Selbstbeherrschung", wie sich im Kinder-Werte-Kodex des DJB aufgelistet sind. Wenn ich dazu auch etwas schreiben würde, würde das diesen Rahmen sprengen, doch darf man diese Werte keinesfalls außer acht lassen!

Es bleibt jedoch festzuhalten, dass es sich bei allem eben nicht um "Judo-Werte" handelt, sondern um gesellschaftliche Werte.
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Ronin
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Re: Heutiges Judotraining und Moral

Beitrag von Ronin »

Ohne jetzt beleidigend werden zu wollen, möchte ich doch etwas provokant einmal fragen (und das frage ich mich nicht erst seit dem letzten Post)

Spass
Rücksicht
Gemeinschaft
Toleranz
Kritikfähigkeit
...

Wenn ich mir jetzt ein Tütü anziehe dann kann man es ja auch Ballet nennen.

Aber die Intention war ja über heutiges JUDOtraining und Moral - oder besser der dem Judotrainig innewohnende Moral zu diskutieren. Damit doch sicherlich auch, was uns denn dann eben von Ballet unterscheidet (es wird sich hoffentlich nicht nur in der bequemeren Kleidung erschöpfen). Das ist übrigens auch der Grund, warum ich die DJB Werte ein Stück weit ablehne. Sie beschreiben eigentlich nur das, was wir allgemein als gute Erziehung oder auch Kinderstube bezeichnen. Damit sollte sich der JUDOverband nicht beschäftigen müssen. Das ist Sache der Pädagogen und Eltern.

Nochmal provokant: wenn ich nur mit weit genug Abstand eine Sache beschreibe, wird aus jeder Selbstverständlichkeit eine wissenschaftliche These...

Werte, Moral sind alles sehr abstrakte Formulierungen für Zielsetzungen. Ich dachte immer dass Kano uns mit Judo eine Methode (und eben kein Ziel)an die Hand gegeben hat. Ich glaube, wir sollten uns weniger über Ziele sondern mehr über die Methode und das richtige Anwenden derselben unterhalten.

Ich hege die zarte Hoffnung, dass jetzt hinter den Provokationen nicht der Sinn meines Beitrages verschwindet, aber ich bin eben weniger ein Meister des Wortes sondern des Kampfes.....
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Re: Heutiges Judotraining und Moral

Beitrag von CasimirC »

Eine kleine Anmerkung zu den Ausführungen von mir 2 Postings weiter oben: Ich stimme ausdrücklich den zuvor genannten "Wertesetzungen" zu, ebenso wie ich die DJB-Werte sinnvoll finde. Ich habe lediglich weitere, mir wichtige Werte ergänzt, die bisher nicht genannt wurden.

Ja, Ronin, das geht wieder auf die schon mehrfach durchgedrungene Frage zurück: Sollte sich der JUDOverband damit nicht beschäftigen müssen, oder MUSS er sich ganz genau DAMIT beschäftigen (schließlich war Judo für Kano wohl mehr als nur Selbstverteidigung und dergleichen, sondern auch Mittel zum Zweck der Erziehung)?

Ich bin ebendrum durchaus auch der Meinung, dass in diesem Sinne Judo vereinfacht nur als Mittel zum Zweck gedacht war, aber muss man sich, wenn man sich über eine Methode unterhält, nicht zuerst einmal die Zielsetzung definieren? Es passiert ja eigentlich nie, dass man sagt: "Ich erfinde jetzt ma irgendwas, und dann schaue ich, wofür ich es nutzen kann", sondern man legt prinzipiell erst ein Ziel fest, auf welches man anschließend hinarbeitet.

Und hieraus schließt sich wieder der Kreis zur Ausgangsfrage: In wie weit KANN Judo denn in der Praxis, in der Vereinsarbeit, im Breiten- und im Leistungssport,...in den viele Sparten, die allesamt zum heutigen Judo zählen, überhaupt noch eine moralische Erziehung/ eine Wertevermittlung leisten? Muss man vielleicht sogar eine Binnendifferenzierung treffen?

Meines Erachtens klappt eine umfassende Wertevermittlung nur in der Gesamtheit "Judo". Im Judo-Leistungssport beispielsweise werden andere Ziele gesetzt und andere Maßstäbe gelegt als im Breitensport. Folglich ist auch die Wertesetzung und Wertevermittlung eine andere, bzw. es werden andere Schwerpunkte gesetzt (z.B. "Wehrhaftigkeit", "Durchsetzungsvermögen", "Anstand" im Vergleich zu "Gemeinschaft", "Rücksichtnahme", "Toleranz").

Aber okay, vielleicht wäre es ja wirklich interessant zu klären, ob es explizite JUDO-WERTE gibt. Hat da jemand einen Vorschlag?
Theorie: Wenn alle wissen, wie es geht, und es geht nicht.
Praxis: Wenn es geht, und keiner weiß, warum.
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Re: Heutiges Judotraining und Moral

Beitrag von Ronin »

die Zieldefinition von Judo möchte ich mir nicht anmassen. Kano hat sich her schon sehr eindeutig und (meiner Meinung nach) zeitlos geäussert.

Deswegen glaube ich eben, dass wir an der Methode arbeiten müssen und nicht an den Zielen. Die sind definiert. Ich habe eher den Eindruck dass es immer wieder den versuch gibt, die Ziele umzudefinieren, weil es vielen (nicht nur aber vorallem Funktionären) klar wird, dass das was gerade passiert eben nichts mehr mit den Zielen zu tun hat. Und nun versuchen sie das IST zum SOLL zu machen.
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Re: Heutiges Judotraining und Moral

Beitrag von Makikomi Kid »

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Re: Heutiges Judotraining und Moral

Beitrag von Fritz »

kastow hat geschrieben:
caesar hat geschrieben:Es kann nicht jeder Weltmeister werden und irgendwann macht vielen der Wettkampf keinen Spaß mehr. Man sollte sich mehr konzentrieren, wie man diesen dann Judo beibringt, abseits des Wettkampfsports. MMA und BJJ Buden verlange horrende Preise und können sich über zu wenig erwachsene Teilnehmer nicht beschweren.
Aber MMA und BJJ sind doch auch Wettkampfsportarten - an diesem Punkt kann ich deiner Argumentation nicht folgen :dontknow
Nun ja, die sind zur Zeit halt große Mode... Sicherlich spielt da auch die
Vorstellung mit hinein, daß es ja auch noch toll für die SV wäre... Und das versportlichte BJJ lebt sicherlich
auch von davon, daß sich da vielleicht auch Leute sammeln, die nicht so gern fallen, wer weiß...
Und irgendwie lebt dann doch dort auch der "Traditions-Linien"-Gedanke weiter, vielleicht gibt es ja auch genug
Leute (neben den oben genannten), welche von tollen Erfolgen träumen und von daher willig ihr Geld in
die "Buden" von MMA/BJJ-Lehrern tragen, die bereits Erfolge hatten bzw. in der Traditionslinie von irgendeinem der
"Gracie"s oder ähnlichem stehen...
Beim Judo ist dafür das Verhältnis richtig guter Leute zur Gesamtzahl der Judosportler, wohl eher nicht so prickelnd...

Nebenbei, wir können bei uns im Verein eigentlich auch nicht über zu wenig erwachsene Teilnehmer klagen, gut - es
könnten natürlich noch ein paar mehr sein... Bei einer benachbarten Sportschule ist meines Wissens auch
die Matte in diesem Bereich gut ausgelastet...
Die sind allerdings extrem wettkampflastig, aber der Gemeinschaftssinn stimmt dort wohl auch...
Mit freundlichem Gruß

Fritz
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Re: Heutiges Judotraining und Moral

Beitrag von kastow »

Fritz hat geschrieben:Beim Judo ist dafür das Verhältnis richtig guter Leute zur Gesamtzahl der Judosportler, wohl eher nicht so prickelnd...
Wobei ich denke, dass in vielen kleinen J*-j*tsu-Verbänden dieses Verhältnis noch schlechter als im Jûdô ist. Das Problem - auch im Jûdô - ist wohl, dass zu viele Breitensport als Ausrede für mangelnden eigenen Einsatz nutzen :( Dabei sind gerade Breitensport-Übungsleitungen vielfältig und anspruchsvoll gefordert, um die vielen verschiedenen Interessen befriedigen zu können. Und so werden individuell einige Felder eben etwas vernachlässigt. Bei einigen - um zum Ausgangsthema zurückzukehren - wird dann leider die erzieherische Seite des Jûdô hinten an gestellt.
Herzliche Grüße,

kastow

Since the establishment of Kôdôkan jûdô, jûdô has become something that should be studied not only as a method of self-defence but also as a way of training the body and cultivating the mind. (Jigorô Kanô: MIND OVER MUSCLE)
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Re: Heutiges Judotraining und Moral

Beitrag von CasimirC »

Ich bin zwar mit dem Zwischenstand der Diskussion durchaus zufrieden, aber dem Ende sind wir ja noch lange nicht, denn einige gestellte Fragen, sind noch nicht beantwortet worden.

Der Text von Kano, Danke an Makikomi Kid, ist zwar durchaus ein guter Hinweis, aber er dient meiner Meinung nach nur ganz grob als richtungsweisend. Er ist, immerhin handelt es sich nur um einen kurzen Redebeitrag, nicht wirklich ausführlich und reißt das hier Thematisierte nur ansatzweise an.

Sätze wie
"Thus the teaching of Judo may be said to lean a man from the depths of disappointment and lethargy to a state of vigorous activity with a bright hope for the future"
oder
"Thus the teaching of Judo is, in a variety of ways, serviceable to the promotion of moral conduct"
sind zwar durchaus schön zu lesen und irgendwo zumindest nachempfindbar, werden aber weder empirisch noch faktisch belegt und geben keinen Hinweis darauf, auf welche moralischen Werte die Erziehung durch Judo abzielt (das ist schließlich auch nicht Inhalt der Rede, wenn ich sie richtig verstanden habe).
Zusätzlich dazu (bitte keine Grundsatzdiskussion zu dieser Bemerkung ;) ) möchte ich dazu erwähnen, dass der Text vor 80 Jahren geschrieben/ gesprochen wurde, der gesellschaftliche Kontext ein ganz anderer war und der Inhalt daher grundsätzlich nur schwer auf die heutige Situation anwendbar ist.

Ich fasse noch einmal kurz zusammen:

Unabhängig aller "Glaubensrichtungen" ;) der vertretenen Mitdiskutanten hier scheint ja ein breiter Konsens darin zu bestehen, dass die Werteerziehung ein wichtiger Faktor des Judo ist, dass sie jedoch hintergründig passiert, sprich: durch Vorleben und Handeln vermittelt wird. Es gibt zudem eine spezielle Judo-Etikette, gerade im Dojo und auf der Matte, die sich in allen Vereinen weitestgehend ähnelt und nur in Detailfragen vielleicht ein wenig abweichen kann.

Darüber hinaus gibt es durchaus kritische Stimmen, die die Vermittlung allgemeingültiger gesellschaftlicher Werte im Judo durchaus positiv erwähnen, sie jedoch nicht als vornehmliche Besonderheit des Judo ansehen (ich verweise auf Ronins Beitrag vom 09.05., 14:15, dem ich ausdrücklich nicht widersprechen möchte).

Es stellt sich daher die Frage, ob es besondere Judo-Werte gibt, die durch Judo vermittelt werden. Das Werteschaubild des DJB scheint demzufolge zwar für Kinder ganz anschaulich, wenn es um Kindespädagogik geht, aber um den erzieherischen Inhalt von Judo insgesamt darzustellen völlig ungeeignet (vgl. Werte wie Ehrlichkeit, Respekt usw.) zu sein.

Daher bleibt immer noch die Frage im Raum, ob durch Judo besondere Werte, abseits dieser gesellschaftlichen Etikette, vermittelt werden.

In einem ähnlichen Zusammenhang fiel einmal der Begriff der "Wehrhaftigkeit". Unabhängig davon, dass es sich hierbei meiner Meinung nach eher nicht um einen Wert oder gar eine moralische Größe, sondern um eine Fähigkeit handelt: Gibt es vielleicht Werte, die in diese Richtung gehen, die im Vergleich zu anderen Sportarten zumindest kampfkunst-/ kampfsportspezifisch sind? Mir fielen an dieser Stelle Begriffe wie "Mut" oder "Selbstvertrauen" ein, aber auch wiederum "Respekt", nämlich Respekt im Sinne von "Selbsteinschätzung", "Achtung vor den eigenen Fähigkeiten", "Achtung vor dem Gegenüber" und so weiter. An dieser Stelle muss ich dann jedoch wieder auf das DJB-Schaubild verweisen, in welchem die Begriffe "Mut" und "Respekt" kurz erläutert werden, und auch der Begriff der "Selbstbeherrschung" thematisiert wird.
Wenn schon das DJB-Bild als 'nicht ausreichend' beurteilt wird, gibt es dann prägnantere Begriffe oder Beispiele für besondere "Judo-Werte"? Vielleicht passt auch "Durchsetzungsfähigkeit" gut hierzu (wobei hier [leider?] sogar wortwörtlich der Begriff der "Fähigkeit" enthalten ist)?

Ich möchte an dieser Stelle zusätzlich erwähnen, dass ich dem Begriff "Wehrhaftigkeit" durchaus auch mit anderen Sportarten wie Boxen in Verbindung bringe. Das würde ja wiederum dafür sprechen, dass sämtliche in diesem Zusammenhang genannten Begriffe gar nicht judospezifisch sein können.

Also gibt es wirklich Judo-Werte? Ist denn ausschließlich die Kombination aus perfekter Förderung für Körper und Geist die moralische/ wertespezifische Komponente im Judo (Verweis auf die Kano-Rede)? Handelt es sich wirklich um eine moralische Erziehung, wenn ich überspitzt (Vorsicht: Ketzer ;) ) sage: "Durch Judo wird alles gut"?

Da bislang keine Gegenargumente zu meiner Differenzierung bzgl. Wertevermittlung in Breitensport und Leistungssport gefallen sind, gehe ich davon aus, dass dem grundsätzlich zugestimmt werden kann?
Theorie: Wenn alle wissen, wie es geht, und es geht nicht.
Praxis: Wenn es geht, und keiner weiß, warum.
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