Warum verändern sich Judo Techniken.

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judoka50
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Warum verändern sich Judo Techniken.

Beitrag von judoka50 »

Aufgrund der ins Forum gesetzten Links zu den Videos von Hirano tauchen nun in vielen Bereichen Fragen auf, weil einige Dinge anders aussehen, als Tom Herold sie beschrieben hat.
Am Beispiel Kawaishi-Eingang sogar ist es so extrem - dass es als falsch dargestellt wurde.
Eine Bitte - belaßt es einfach so und akzeptiert es als - Judo - Alles was von mir und Tom veröffentlicht wurde, ist richtig.
Ich habe in einigen Bereichen schon etwas dazu geschrieben und möchte hier versuchen eine andere Sichtweise der Veränderung der Techniken zur Debatte stellen.

Judo lebt von der Weitergabe des Meisters an seine Schüler.
Dies darf auf keinen Fall geschehen wie die "Stille Post" bei Gruppenspielen in einer Jugendgruppe. Alle sitzen im Kreis und geben unauffällig eine Info an den Nachbarn. Was dieser verstanden hat, gibt er weiter und am Ende kommt etwas ganz anderes heraus. Dies sollten wir im Judo vermeiden.
Wer das Grundprinzip einer Technik verstanden hat, paßt sie seinem Stil, seiner Technik, seiner Bewegung gepaart mit Erfolgserlebnissen an.
Dies um so mehr, je älter und erfahrener man wird. Tom hat sofort insofern auch schon Unterschiede in den Versionen Hiranos von 1966 und aus der späteren Zeit mit Frank erkennen können.
Liegen die nur am Alter oder an der damit veränderten Bewegungsform?
Liegt es daran, dass Hirano sich gedanklich damit weiter beschäftigt und die Bewegung verfeinert hat?
Liegt es daran, dass er durch die vielen Lehrgänge, Dinge, die für ihn selbstverständlich sind,
gar nicht mehr so richtig erläutert hat?
Liegt es daran, dass er bei der einen oder anderen Eingangsbewegung kürzere Wege entdeckte?
Liegt es daran, dass er die eine oder andere Griffart effektiver fand?
Liegt es daran, dass er bei der einen oder anderen Version weniger Kraft benötigte?

Ich behaupte einfach, dass dies alles zutrifft und behaupte einfach, dass ist heute, genau wir vor Jahrzehnten das Recht eines jeden hohen Dan-Trägers, der sich bereit erklärt seine Erfahrung und sein Wissen an die "Jungen" weiter zu geben. Dafür muss man nicht unbedingt wie Ohgo, Kawaeshi, Geesink, Hirano und viele andere Bücher schreiben. Das kann man genauso gut mit "Herzblut" fürs Judo in seinem Rahmen auf der Matte.
Wenn man betrachtet wie "vernarrt" und das ist in diesem Fall von mir aus positiv betrachtet, Tom die Lehren seines Meisters Frank und die Linie zu Hirano vertritt - dies ist ebenfalls genau so zu betrachten, wie meine obigen Gedanken. Und wenn Tom Franks Nachfolge antritt, dann wird auch er im Laufe der Jahre aus seinen Erfahrungen "seine Versionen" entwickeln und weitergeben.
Dies kann man natürlich nur dann, wenn man durch jahrelange Erfahrungen und Vergleiche mit den Lehrmethoden anderer Meister die Unterschiede in der Wurfvorbereitung, damit verbundene Finten, Wurfeingänge, Kombinationen, Faßarten usw. - die zum immer gleichbleibenden eigentlichen technischen Prinzip des Wurfes führten.
Und dieses uns überlieferte technische Prinzip "darf" nicht verändert werden.
Betrachtet man darauf hin einmal die Bücher, die Videos, so wird man immer ab einem bestimmten Punkt, ich nenne ihn mal den Punkt kurz bevor Uke sein Gleichgewicht aufgeben muss, immer die gleiche Technik sehen. Das ist ungefähr der Punkt in der Mitte des Kuzushi.

Diese verschiedenen Varianten haben auch im Wettkampfbereich dazu geführt, dass die erfahrenen Trainer die Techniken für Ihre Wettkämpfer Erfolg versprechend angepasst haben.
Auch diese Anpassung ist keine negative Veränderung des Judo, sondern nur aus einer anderen Sichtweise, bzw. Zielsetzung entstanden. Ähnlich einer "Lehrmethode im kleinen Rahmen" da sie oft nur auf ein Kämpferprofil abgestimmt ist.
Da ist es dann auch vollkommen natürlich, wenn in den Verbandszeitungen, bei der Vorstellung einer Technik durch einen erfolgreichen Wettkampfjudoka, plötzlich die von mir erwähnten Änderungen im Wurfeingang, Faßart usw. auftauchen, wobei für einen Anfänger die Unterschiede schwer erkennbar sind.

Aber dies sind dann "seine Erfolgstechniken" und sollten keinesfalls blind als Grundlage für die Ausbildung übernommen werden.
Leider läuft man natürlich Gefahr, dass Anfänger dies, wenn sie die Zeitung in die Hand bekommen, als die einzig richtige, weil erfolgreiche Technik ansehen.
Aber wenn die dabei bleiben, lernen sie auch das richtige Judo - genau wie wir es auch gelernt haben.
Leider sind auch zeitweise einige dieser "abgewandelten Techniken" dann als "Neuerungen" so verbreitet worden.
"Neuerungen" ????? Es gibt im Judo nichts neues - sondern nur neue bzw. andere Sichtweisen.

Zum Schluß noch einmal ein Beispiel:

Hirano hat von ......... gelernt,
ist aber nicht diese Person und gibt das von ihm gelernte als seine Version (nicht abwertend) weiter an Frank Thiele weiter.
Frank Thiele hat von Hirano gelernt,
ist aber nicht Hirano und gibt das von ihm gelernte als seine Version (nicht abwertend) weiter an Tom Herold weiter.
Tom Herold hat von Frank Thiele gelernt,
ist aber nicht Frank Thiele und gibt das von ihm gelernte als seine Version (nicht abwertend) weiter an euch weiter.
So entstehen dann durch die Überlieferung immer wieder "neue Systeme".
Und genau so werdet ihr dann irgendwann in dieser Reihe auftauchen -
Wichtig ist dabei einfach nur,
wie ich es am Anfang schrieb,
wir vertreten alle im Grunde das gleiche technische Prinzip des Judo.......................
Viele Grüße
U d o
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kastow
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Re: Warum verändern sich Judo Techniken.

Beitrag von kastow »

Kleiner Nachtrag zu dem tollen Beitrag: Tokio Hiranos Lehrer war Wushijima.
Herzliche Grüße,

kastow

Since the establishment of Kôdôkan jûdô, jûdô has become something that should be studied not only as a method of self-defence but also as a way of training the body and cultivating the mind. (Jigorô Kanô: MIND OVER MUSCLE)
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Fritz
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Re: Warum verändern sich Judo Techniken.

Beitrag von Fritz »

Leider muß man auch die zweite Seite der Medaille sehen.
Bei jeder Weitergabe entsteht ein Verlust (weil der Lehrer zu zeitig
stirbt oder erkrankt, weils der Schüler vergißt oder nicht begreift usw. usf.)
Selbst aufgezeichnetes Wissen (schriftlich und filmisch) ist
davor nicht gefeit, Sprache ändert sich, der Platz ist begrenzt usw...

Welche Lösungen gibt es für diese Mißlichkeit?

Der traditionelle japanische Ansatz sind die Kata, allerdings stößt es einem dann immer bitter auf,
wenn man so nebenbei hört, wie Kata auch bewußt geändert werden... (Donn F Draeger beschreibt
in seinem Buch über die Randori-No-Kata wenigstens noch kurz die Original-Form)
Aber selbstverständlich ist die Wissenserosion auch bei "ungeänderter" Kata-Weitergabe vorhanden,
vielleicht nur nicht so stark wie beim Rest...

Die andere Ansatz (und das ist letztendlich das, was judoka50 anspricht) ist natürlich, daß die
Schüler die fehlende Puzzleteile ersetzen durch eigenen Überlegungen - um dies zu können, braucht
der Schüler allerdings bereit einen gehörigen Erfahrungsschatz und die eine gewisse geistige Beweglichkeit...

Und einen weiteren Gesichtspunkt möchte ich im Fall des Judo ins Feld führen:
Ein (in meinen Augen gewaltiger) Vorteil, den wir haben, ist, daß im Gegensatz zu den "geschlossenen" Koryu-Stilen
durch die Weitergabe von Wissen in der Breite (Lehrgänge, Seminare, ÜL-Ausbildung usw.)
der eine die Teile an Wissen bewahrt, die der andere nicht aufnehmen konnte...
D.h. in der Gesamtheit ist das Wissen noch vorhanden und wächst evt. sogar noch, auch wenn
niemand mehr _alles_ weiß ;-)
Mit freundlichem Gruß

Fritz
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Speedy
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Re: Warum verändern sich Judo Techniken.

Beitrag von Speedy »

@Fritz: Du möchtest nicht wissen, wieviele Änderungen in der Nage no Kata ich in den letzten 11 Jahren gelernt habe und aktuell lerne! Klaus kommt in einer Woche aus Japan zurück und ich bekomme jetzt schon graue Haare, was sich noch alles "ändert", so kurz vor der EM.
Grüßle
Speedy :dancing
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Fritz
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Re: Warum verändern sich Judo Techniken.

Beitrag von Fritz »

@speedy: Genau das meine ich... Das dürfte eigentlich bei einer traditionellen Kata nicht sein...
Klar ist, daß man sicherlich seine Ausführung ändert, je weiter man in die Materie
eindringt, aber die Änderungen, die Du meinst, gehen ja sicherlich darauf zurück,
daß Klaus bestimmte Dinge noch nicht verinnerlicht hatte, sondern auf
Kodokan-Politik...

Kata-Meisterschaften... Bin mir gar nicht so sicher, ob sowas eine gute Idee ist...
Besser wäre, Kata wieder als das zu begreifen, was es eigentlich ist: ein Trainingsinstrument...
So gesehen, bin ich fast froh, das die aktuelle DJB-PO uns zwingt, verstärkt wieder
Nage-No-Kata zu trainieren....
Mit freundlichem Gruß

Fritz
Lin Chung
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Re: Warum verändern sich Judo Techniken.

Beitrag von Lin Chung »

Bei Kata-Meisterschaften kommt es nur auf die Schönheit an und was beim Publikum ankommt.
Deshalb wird ja auch immer wieder geändert oder weggelassen.

Aber in echt sollte man auch die Tradition bewahren. Lieber eine Traditions-Kata, richtig ausgeführt und den Sinn verstanden bei der Prüfung anwenden, auch wenn es schwerfällt.
Grüße
Norbert Bosse
ボッセ・ノルベルト

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Speedy
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Re: Warum verändern sich Judo Techniken.

Beitrag von Speedy »

? ? ? Warst du schonmal auf einer Kata-Meisterschaft? Die Meinung des Publikums interessiert überhaupt nicht und Schönheit ist relativ. Da gehört schon ein bisserl mehr dazu...
Grüßle
Speedy :dancing
Lin Chung
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Re: Warum verändern sich Judo Techniken.

Beitrag von Lin Chung »

Hallo Speedy
die Frage ist für einen alten Judoka auch relativ.
Grüße
Norbert Bosse
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sedge
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Re: Warum verändern sich Judo Techniken.

Beitrag von sedge »

Ich begreife KATA als das was es eigentlich sein sollte, als die Aufrechterhaltung der "Reinheit" des Judos. Deshalb sollte meiner Meinung nach auch KATAs nicht verändert werden - also zumindest die "klassischen". Das ist Judo in Reinform im Hinblick auf Weitergabe Meister --> Schüler.
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renegat
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Re: Warum verändern sich Judo Techniken.

Beitrag von renegat »

Ein verspäteter Beitrag:
Form und Stil verändern sich, wie o. bereits richtig gesagt.
Es verändert sich aber auch der Mensch z.B. durch Verletzungen
bedingt, muß man eine andere Bewegung machen.
Nach meiner Erinnerung hatte T.Hirano 1962 und 64 sehr große
Knieprobleme, sodaß seine Techniken anders ausgeführt wurden.
Von mir selbst kann ich sagen, daß ich nach meiner Bandscheiben-OP
keine Körpertechniken rechts ausführen konnte. Ich stellte also alles auf links um und folglich wurden andere Techniken ausgeführt.
Flor
HBt

Frage

Beitrag von HBt »

Was sind Körpertechniken, Flor?
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Olaf
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Re: Warum verändern sich Judo Techniken.

Beitrag von Olaf »

@ Fritz
natürlich besteht immer die Gefahr, dass bei der Weitergabe von Wissen an den Schüler Wissen verloren geht. Aber andererseits enthält diese Weitergabe im idealen Falle auch die Möglichkeit der Weiterentwicklung und des Mehrens von Wissen. Entscheidend ist aus meiner Sicht die Qualität des Schülers. Nach meiner Erfahrung hat noch jeder gute Schüler seinen ganz persönlichen Anteil in eine Technik eingebracht und mein Verständnis von Unterrichten bestärkt den Schüler auch in dieser Entwicklung.
Nur Kopien meiner eigenen Lehrtätigkeit zu erzeugen, wäre mir ein Graus. Leider sehe ich, dass genau das auf vielen Prüfungen, auch Danprüfungen gefordert wird. Zu oft muss ich dort den Satz hören "Das haben wir auf dem Lehrgang anders gezeigt.". Selbst wenn Technikprinzipien erfüllt sind (nach meiner Meinung als Zuschauer), wird verlangt, die Prüfer zu kopieren und wenn so verfahren wird, dann geht tatsächlich Wissen, in der von Fritz beschriebenen Weise, zwangsläufig verloren.

LG
Olaf
Immer wieder muß das Unmögliche versucht werden,
um das Mögliche zu erreichen

Derjenige, der sagt „Es geht nicht“, soll denjenigen nicht stören, der es gerade tut.

Jeder kann unter http://www.obernkirchenraptors.de mehr über uns erfahren.
renegat
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Re: Warum verändern sich Judo Techniken.

Beitrag von renegat »

HBT
Als Körpertechniken bezeichne ich in dem Fall alle Würfe außer Fußtechniken.
Natürlich gehen bei einer Umstellung auf links auch Techniken für die Person selbst verloren, da er sie nicht links ausführen kann.
MfG Flor
tutor!
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Re: Warum verändern sich Judo Techniken.

Beitrag von tutor! »

Ich glaube mich zu erinnern, dass Jupp einmal ausführlich etwas über Technik und Prinzip geschrieben hat. Tenor war, dass mehrere Ebenen unterschieden werden müssen:
  • Technik als der konkreter und einmaliger Bewegungsablauf, der von einer bestimmten Person und zu einer bestimmten Zeit unter bestimmten Bedingungen ausgeführt wird,
  • Technik als ein individuelles Grundmuster, das eine Person immer wieder auf´s Neue unterschiedlichen Situationen (wozu auch unterschiedliche Partner gehören) für eine konkrete Ausführung anpasst bzw. anpassen muss.
  • Technik als ein über-individuelles Grundmuster, dass jede Person erst für sich selbst und dann auf eine konkrete Situation hin anpassen muss,
  • Technik als eine abstrakte Idee, die sich in unterschiedlichen individuellen und über-individuellen Grundmustern manifestieren kann und die danach wiederum an die konkrete Situation anzupassen ist.
Es lassen sich also unterschiedliche Abstraktionsebenen unterscheiden - im vorgenannten Fall sind es vier. Welche davon sind - möglicherweise - einem Wandel unterworfen, welche sind fix?

Ist die abstrakte Idee einer Technik einmal gefunden und definiert, so ist sie überdauernd. Ein Tomoe-nage ist etwas anderes als ein Tai-otoshi. Die abstrakte Idee einer Technik beschreibt ihren "Wesenskern", das, was man landläufig als "Prinzip" bezeichnet.

Die meisten dieser "Prinzipien" lassen sich über-individuell auf unterschiedliche Arten realisieren. Wenn die Unterschiede über-individuell sind, spricht man meist von "Varianten". Varianten tauchen mitunter auf oder verschwinden wieder, wenn es niemanden mehr gibt, der sie macht.

Eine Ebene darunter sind die individuellen Anpassungen der über-individuellen Varianten. Ist jemand mit einer individuellen Variante erfolgreich, findet er mit der Zeit Nachahmer. So entsteht aus einer individuellen Variante eine über-individuelle Variante - und diese wiederum in vielen individuellen Ausprägungen, da - siehe oben - ein konkreter Vollzug einer Technik immer wieder auf´s Neue ein einmaliges, nicht reproduzierbares Ereignis darstellt.

Bei einer idealen Technik wird stets das Prinzip der höchsten Ebene - die abstrakte technische Idee - in optimaler individueller Anpassung realisiert. Das impliziert für das Lernen (und für sein Spiegelbild, das Lehren), dass nicht Kopie einer bestimmten individuellen Ausführung, sondern Anpassung des Prinzips an die eigenen Voraussetzungen das (Lehr-/Lern-)Ziel sein muss.

Was verändert sich nun und warum?

Die abstrakte Idee einer Technik ändert sich nicht - die konkreten Ausführungen sind aber einem stetigen Wandel unterworfen, weil eben alle Menschen verschieden sind und weil sich die Bedingungen unter denen sie handeln (und an die die Techniken angepasst werden müssen) in ständigem Fluss sind.
I founded a new system for physical culture and mental training as well as for winning contests. I called this "Kodokan Judo",(J. Kano 1898)
Techniques are only the words of the language judo (Cichorei Kano, 24.12.2008)
Jupp
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Re: Warum verändern sich Judo Techniken.

Beitrag von Jupp »

Ein Trainer oder Prüfer, der verlangt, dass man eine Technik so zeigen müsse, wie sie unterrichtet worden ist, der hat eigentlich überhaupt nichts vom Wesen des Judo verstanden.
Was ein guter Judolehrer zeigen kann, ist die Idee seines Verständnisses einer Judotechnik. Er zeigt die Technik also so, wie er sie verstanden hat und wie er sie mit seinem Körper (und seinem Uke) vormachen kann.
Hat er dies gut gemacht, dann hat er in den Köpfen der Lernenden eine "Bewegungsvorstellung" (eine Idee der Bewegung, eine Idee des Wurfprinzips) erzeugt. Nun versuchen die Übenden, ihrem Körper diese "Bewegungsvorstellung" verständlich zu machen, d.h. sie üben, üben, üben.
Wenn ihre "Idee", wie der Wurf ausgeführt werden soll, einigermaßen mit der Idee des Lehrers übereinstimmt, dann werden sie den Wurf so machen können, dass der Lehrer damit einverstanden sein kann.
Oft aber ist ein Lehrer überhaupt nicht in der Lage, bei allen seinen Schülern (z.B. auf einem großen LG mit mehr als 50 Teilnehmern) zu überprüfen, ob die von den Lernenden gemachte Bewegung seinen Vorstellungen entspricht. Dann kann es passieren - vor allem dann, wenn das grundlegende Wurfprinzip nicht wirklich deutlich geworden ist - dass Wurftechniken mit einer "falschen" Bewegungsvorstellung gelernt werden. Werden solche Würfe auf einer Prüfung gezeigt, dann muss der Prüfer sie auch als falsch bewerten, unabhängig davon, ob man sie so (evt. sogar bei diesem Prüfer) so gelernt zu haben glaubt.
Handelt es sich jedoch "nur" um eine technische Variation der richtigen Wurfidee (die sich eventuell als Anpassung an eine spezielle körperliche Besonderheit ergeben hat), dann sollte ein "guter" Prüfer das erkennen und akzeptieren können.

Wir lernen: auch das was "falsch" und "richtig" ist, findet sich zuerst in den Köpfen der Menschen, die es zu beurteilen haben. Und ein Urteil ist umso genauer, je grösser die Erfahrung (und manchmal auch tolerante Gelassenheit) des Urteilenden ist.

Jupp
Zuletzt geändert von Fritz am 09.04.2009, 11:36, insgesamt 2-mal geändert.
Grund: Umlaute eingebaut.
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Re: Warum verändern sich Judo Techniken.

Beitrag von Fritz »

Jupp hat geschrieben:Ein Trainer oder Prüfer, der verlangt, dass man eine Technik so zeigen müsse, wie sie unterrichtet worden ist, der hat eigentlich überhaupt nichts vom Wesen des Judo verstanden.
Das ist so pauschal gesagt nicht richtig, weiter unten in Deinem Beitrag schreibst Du es ja dann
mehr oder weniger auch selbst.
Wenn ich als Trainer aus bestimmten, wohlüberlegten Gründen jemanden (im Kyu-Bereich)
eine bestimmte Ausführung einer Technik zeige, sagen wir mal Ude-Hishigi-Ashi-Gatame wie
sie im "Kodokan-Judo"-Buch drin steht, dann will ich diese dann auch so in der Prüfung sehen.
Und wenn der Prüfling mir dann die DJB-weit als Kesa-Ashi-Gatame benamte Technik
(also Kesa-Garami nach Kawaishi) anbietet, dann wird er mir trotzdem die andere Technik auch noch
zeigen dürfen.
Oder wenn ich als Trainer bestimmte Wurfeingänge lehre, bewußt und mit Absicht - dann will
ich das auch so vom Prüfling sehen.
/(Natürlich alles unter der Vorraussetzung: Trainer = Prüfer und im Kyu-Bereich.)
Mit freundlichem Gruß

Fritz
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