Bedeutung von Rahn und Rhode

Hier geht es um die Geschichte und um Traditionen des Judo
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tutor!
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Bedeutung von Rahn und Rhode

Beitrag von tutor! »

Abgetrennter Faden von: http://www.dasjudoforum.de/forum/viewto ... =20&t=4932
Begründung: im Ursprungsfaden geht es "nur" um das Vorwort eines Buches
---tutor!---


Rahn war für mich ein sehr wichtiger Wegbereiter japanischer Kampfkünste in Deutschland, so wie Alfred Rhode ein wichtiger Wegbereiter des Judo in Deutschland war. Dabei sehe ich es als weniger entscheidend, was sie selbst auf der Matte konnten oder von wem sie es gelernt haben, sondern ich sehe ihre Bedeutung darin, was sie bewegt haben.

Rahn ist es - und das kann sicher nicht bezweifelt werden - gelungen, dass die Begriffe Jiu-Jitsu und Judo einer breiten Masse bekannt wurden. In diesem Sinn hat er Pionierarbeit geleistet. Das deutsche Jiu-Jitsu hat mittlerweile eine über 100-jährige Tradition und da ich absolut keine Kontakte zu irgendwelchen Jiu-Jitsu-Kreisen habe, kann ich mir kein Urteil über die Qualität dessen erlauben, was sie so treiben. Nehmen wir einmal das Beste an und sagen, dass sie den Ansprüchen, die sie selbst formulieren gerecht werden. Dann sind sie etwa in der Situation eines 80-jährigen, der auf ein erfolgreiches Leben zurückblicken kann, aber nun feststellt, dass er nicht das leibliche Kind, sondern das Adoptivkind seiner Eltern ist. Schmälert dass seine Lebensleistung?

Rahn hat das gelernt, was ihm zu lernen möglich war. Er hat übrigens auch Kano mehrfach getroffen, das erste mal sogar noch vor dem 1. Weltkrieg. Man kann ihm nicht zum Vorwurf machen, keine besseren - oder sollte man sagen "autorisierteren" Lehrer gehabt zu haben. Er hat seine Lebensleistung erbracht und die bestand sicherlich in der Öffnung von Türen, indem japanische Kampfkunst ein Begriff wurde.

A. Rhode ist mir noch nie als Lehrer ins Bewusstsein gekommen. Er ist aber derjenige, der maßgeblich - sicher nicht alleine - viele organisatorische Voraussetzungen geschaffen hat, dass sich Judo in Deutschland entwickeln konnte. Allein die Organisation der regelmäßigen Sommerschulen vor und nach dem Krieg mit vielen japanischen Lehrern, die Gründung von DDK und DJB, durch die die Verbreitung von Judo ein organisatorisches Fundament bekommen haben, waren enorm wichtige Meilensteine, denen letztlich auch ich verdanke, dass ich mit Judo beginnen konnte.

Hierin sehe ich die Pionierarbeit von z.B. Rahn und Rhode - nicht darin, eine judopraktische Tradition begründet zu haben.

Die judopraktische Qualität in Westdeutschland wurde (nach dem WW2) maßgeblich von den japanischen (Suzuki, Hirano, Nagaoka, Ohgo) und koreanischen (Han Ho San!) Trainern und Lehrern bestimmt, sowie von deutschen, die eine Weile in Japan gelebt hatten (z.B. W. Hofmann, Franz Fischer u.a.). Die Liste ist natürlich nicht vollständig, mir fallen z.B. noch Namen wie Matthias Schießleder, Ferdi Miebach, Gerd Alpers und Heiner Metzler ein. Wer das deutsche Judo - soweit es die praktische Seite betrifft - auf Alfred Rhode zurückführt, hat keine Ahnung vom deutschen Judo und seinen Protagonisten!

Beim Surfen durch diverse Jiu-Jitsu Homepages ist mir aber schon aufgefallen, dass die Lehrer der Lehrer häufig (mit Dan-Grad) benannt sind und dass auch Fotos der Lehrer der Lehrer mir dabei sind.

Ich stelle mir das gerade beim Judo vor.... undenkbar - es ist eine vollkommen andere Kultur.
I founded a new system for physical culture and mental training as well as for winning contests. I called this "Kodokan Judo",(J. Kano 1898)
Techniques are only the words of the language judo (Cichorei Kano, 24.12.2008)
tom herold
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Re: Vorwort zu "Das Kano Jiu-Jitsu" von Irving Hancock

Beitrag von tom herold »

Beim Surfen durch diverse Jiu-Jitsu Homepages ist mir aber schon aufgefallen, dass die Lehrer der Lehrer häufig (mit Dan-Grad) benannt sind und dass auch Fotos der Lehrer der Lehrer mir dabei sind.

Ich stelle mir das gerade beim Judo vor.... undenkbar - es ist eine vollkommen andere Kultur.
Wieso sollte es im Jûdô verpönt sein, den eigenen Lehrer zu benennen ...?
Ist das irgendwie "ehrenrührig"?
Jupp beruft sich auf Hofmann und Mahito Ohgo. Sie waren nun mal seine Lehrer - soll er das nicht sagen dürfen?
Ich berufe mich auf Frank Thiele und Kurt Rödel. Ist es falsch, das zu tun?
:dontknow

Aber zurück zum Thema:
Was man in Deutschland so alles an "Fakten" über Jûdô und "Jiu Jitsu" zu kennen glaubt, erschließt sich durch einen oder mehrere Blicke auf diverse HP.
Abgesehen davon, daß dort alle voneinander abschreiben, macht sich kaum jemand die Mühe, sich auch nur EINEN Augenblick lang zu fragen, ob das denn überhaupt stimmt, was da so geschrieben steht ...

Ich greife mal wahllos eine Seite heraus:

http://www.bujukai.de/budo-systeme.htm
Judo wurde aus der Kriegerischen Kunst des traditionellen Jiu-Jitsu entwickelt. Es war der deutsche Medizinprofessor Erwin Baelz, der das Jiu-Jitsu Mitte des 19. Jahrhundert in der Universität in Tokio wieder ins leben gerufen und durch seine Initiative geschafft hatte es in den Lehrplan dieser Universitäten aufzunehmen.
Da werden sich die zahlreichen Koryû aber gefreut haben, daß da ein deutscher Professor des Weges kam und sie wieder ins Leben rief ...
Was ist übrigens "traditionelles Jiu Jitsu" ...? :rofl

Und nun erfahren wir endlich auch den Grund dafür, daß Kanô den Kôdôkan gründete:
Kano Jigoro ein Schüler von Professor Baelz bemühte sich sehr stark um diese Kunst, ihm missfiel jedoch die Kriegerische Art des Jiu-Jitsu und die Härte in Baelz Techniken, die einige Verletzungsgefahren mitbrachten, der sanfte Aspekt des Jiu-Jitsu kam kaum zur Geltung. Deshalb entschloss sich der 22 Jährige Kano Jigoro im Jahre 1882 ein eigenes Dojo mit dem Namen Kodokan (Schule zum Studium des Weges) aufzumachen.
:irre

Kanô mißfiel also die Härte in Balez' Techniken ...
Nee, is' klar.

Manche schreiben auch einfach direkt bei Ulrich Klocke ab:
Judo ist eine Kampfsportart die in Japan von Prof. Dr. Jigoro Kano entwickelt wurde. Sie sollte für den Kämpfer ungefährlich und ihm dennoch Spaß machen.
http://www.partnersmile.de/BUDOSIEBELSE ... l_judo.htm

Dort lesen wir auch dies:
Alle gefährlichen Techniken aus dem alten Selbstverteidigungssystem Jiu-Jitsu wurden entfernt. Die verbliebenen Techniken sind vorwiegend Würfe, Halte- und Würgetechniken sowie Armhebel.
So viel dummes Zeug in einem einzigen Satz ...
:BangHead
In Deutschland wurde die erste Judoschule 1905 von Erich Rahn gegründet.
Das war mir neu ...

Das hier auch:
1906 kamen japanische Kriegsschiffe zu einem Freundschaftsbesuch nach Kiel. Die Gäste führten dem deutschen Kaiser ihre Nahkampfkünste vor. Wilhelm II war begeistert, und er ließ seine Kadetten in der neuen Kunst unterrichten. Der damals bedeutendste deutsche Schüler war der Berliner Erich Rahn.
http://www.lexevita.de/fitness/kampfsport

Ja, so war das damals.
Und alle schreiben voneinander ab.
Manchmal erkennt man das schon an den Rechtschreibfehlern oder der krausen Satzstellung, die man exakt so bereits auf zahlreichen anderen HP zu Gesicht bekam ...

Warum ich das alles so "kleinlich" aufführe?
Weil DAS genau der Mist ist, der allenthalben bis heute geglaubt und verbreitet wird.
Weil immer noch die Meinung vorzuherrschen scheint: "Wenn's aber überall so oder ähnlich steht, dann muß es doch stimmen!"
Weil damit jene unerfahrenen Anfänger belogen und veralbert werden, die sich für Geschichte interessieren.
Weil auch hochgraduierte Dan-Träger (auch im Jûdô!) im Brustton der Überzeugung diesen Unfug von sich geben.

:angry4

Ich finde das einfach unverantwortlich.
tom herold
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Re: Bedeutung vopn Rahn und Rhode

Beitrag von tom herold »

Rahn ist es - und das kann sicher nicht bezweifelt werden - gelungen, dass die Begriffe Jiu-Jitsu und Judo einer breiten Masse bekannt wurden. In diesem Sinn hat er Pionierarbeit geleistet.
Er allein...?
Das nun ganz sicher nicht.

Rahn war sehr geschickt darin, für sich selbst Werbung zu machen.
Geschickter jedenfalls als andere.
Der einzige, der "Jiu Jitsu" bzw. den Begriff "Jiu Jitsu" in Deutschland verbreitete, war er jedoch nicht.
Ob man nun der selbstreferentiellen Laudatio, die er in jedem seiner Bücher präsentiert, so weit glaubt, daß man sie für bare Münze nimmt, bleibt der Intelligenz des Lesers überlassen.
;)
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