Kosen-Judo

Hier könnt ihr alles posten was mit Judo zu tun hat

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nur_wazaari
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Re: Jeder kann zu Hause ...

Beitrag von nur_wazaari »

HBt. hat geschrieben:
05.11.2023, 22:23

Das ganze Szenario etwas moderater ausgeführt, mit sicheren Regeln und dem Wunsch im Fluss' mit permanentem Positionswechseln zu bleiben - zu lernen, nicht zu siegen ... ist vielleicht bereits eine optionale Form der Art Judo nach Kosen-Tradition zu praktizieren /zu simulieren. Außer es geht um den Sieg und der verkorksten Ansicht, dass es einen Überlebenden geben muss und eben nur EINEN geben kann - nämlich mich!
+1
Ist dieser Faden damit bereits beendet oder können wir ihn unter der Rubrik Trainingsgestaltung weiterführen?
Das wäre nach dem holprigen Aufhänger aus meiner Sicht eine gewinnbringende Überleitung. Ich habe hier schon einige Konzepte erleben dürfen, alle hatten Vor- und Nachteile. Ok, manche waren auch äußerst dürftig...
.
HBt.
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Ein Leitfaden

Beitrag von HBt. »

Einen hervorragenden Leitfaden zu erstellen wird kein leichtes Unterfangen werden /sein, das muss man wissen bevor man sich an die Arbeit macht - schlussendlich muss man das Rad auch nicht mehr neu erfinden.

Möchte man das Thema Katamewaza in Bodennähe und in der Bodenlage, aus der Bodenlage heraus im Rahmen einer Masterarbeit umfänglich durchkauen, dann nur zu! - es winkt im Endprodukt ein klassisches Lehrbuch. Ein gutes Lehrbuch kann ein Einzelner (m/w/d) in dem zu erwartenden Umfang und der erforderlichen Qualität nicht auf die Beine stellen. Es muss also eine Zusammenarbeit realisiert und koordiniert werden. Illustriert mit Zeichnungen und bitte monochrom, nicht mehrfarbig, von dem bunten Zeugs gibt es bereits viel zu viel am Markt der Lehrbücher.

Die andere Schiene wäre ein brennnender Mitarbeiter (m/w/d) im eigenen Verein, der sich selbst (und andere) systematisch in den Komplex einarbeiten will und bereits über ein pädagogisches Rüstzeug verfügt. Aus der Perspektive des Judoka und Übungsleiter erarbeitet dieser ein Konzept; ganz nebenbei, weil er selbst dabei übt. In meinem Heimatverein hatte diese Rolle ein gymnasialer Lehramtsstudent (vor mehr als einem Jahrzehnt) ganz fabelhaft ausgefüllt, die Progression war kaum zu glauben. Den Lackmustest - nein, soweit darf man nicht gehen ... anders formuliert: ein weiteres Mitglied des Ensembles verschlug es in die semiprofessionelle Szene des BJJ & MMA. Mit ihm zu "rollen" war kein Vergnügen, denn wenn wir alleine übten, lagen meine Defizite offen ... einen Stich mit Nagewaza konnte man (ich) vergessen und die unendlich vielen "Takedowns", "Guards", waren zum Fürchten.

Schlagwörter: "grenzenlose Beweglichkeit", "ein systematisches Vorgehen", ..., pädagogisch, didaktisch, methodisch - wissenschaftlich!


#
'Caesars' Eingangsfragen sind leicht zu beantworten, hier ein Beispiel: Ja - in Japan - gut. Ich hoffe, 'Caesar' erzählt uns noch etwas mehr. Alleine' das wir hier im Forum seit vielen Jahren nicht mehr über "Kosen-Judo" diskutieren oder debattieren, kann der Beweggrund doch nicht gewesen sein? Jeder kann sich völlig eigenständig über die Historie und die Gegenwart ein Bild verschaffen.

Bitte 'Caesar',
mache mehr aus diesem Faden, belasse es nicht alleine bei einer enttäuschenden Anfrage. Wie lautet Dein Appell? Wir alle wissen, dass die Bodenarbeit im internationalen Judozirkus unterbelichtet ist, wir alle kennen die Gründe und Ursachen, auch das Regelwerk ist weitestgehend jedem bekannt. Mehr Förderung - Newaza - vom übergeordnetem Verband ? Jeder ist frei in seiner Suche nach dem Glück.


Gruß,
HBt.
Caesar hat geschrieben:Kosen-Judo
Der letzte Faden dazu ist schon ein paar Jahre alt. (...)
Ich kann keinen alten Faden ausmachen' der sich explizit und umfänglich mit dem Begriff kosen judo auseinandersetzt.
HBt.
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Vor 71 Jahren ...

Beitrag von HBt. »

veröffentlichte Moshe Feldenkrais ein kleinens Buch mit der namentlichen Bezeichnung: Higher Judo! Untertitel: Groundwork.
Feldenkrais bezeichnet die Bodenarbeit als 'Höheres Judo'. Warum? Wer die Antwort wissen möchte, sollte die Kapitel 1 bis 4 selbst lesen - und selbst schlussfolgern, vielleicht eine Liste mit Fragen aufstellen, u.s.w.

Ich ziehe mich aus diesem Faden zurück, er langweilt mich.
caesar
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Re: Kosen-Judo

Beitrag von caesar »

tutor! hat geschrieben:
04.11.2023, 06:07
In Japan wird m.W. kein Kosen-Judo als eigenständiger Bereich systematisch praktiziert
Was verstehst du unter "eigenständig systematisch praktiziert"?
tutor! hat geschrieben:
04.11.2023, 06:07
Die Clubs der sieben Unis machen das ganz "normale" Judo, die heutigen Nanatei-Wettkämpfe sind Fun-Veranstaltungen nach traditionellen Regeln - nicht mehr und nicht weniger.
Meines Wissens nach sind die Nanatei-Wettkämpfe das Hauptziel dieser sieben Unis und keine wirkliche Fun-Veranstaltung. Da Regeln auch das Training bestimmen, war meine Frage nach der Erfahrung gedacht, um zu sehen, in weit sich das eben dort niederschlägt.
tutor! hat geschrieben:
04.11.2023, 06:07
Da aber Stand- und Bodenradori sowieso immer getrennt gemacht wird, fallen die typischen Übergänge vom Stand in die Bodenlage nicht weiter auf. Ich gehe auch davon aus, dass sie heutzutage nicht trainiert werden.
Bei der Ne-waza-kenkyu-kai, im Kodokan, im Kosen-Judo oder allgemein in Japan?
tutor! hat geschrieben:
04.11.2023, 06:07
sondern auch Lehrer als der Todai-in Tokio - letztere ist natürlich eine der kaiserlichen Unis gewesen.
Interessanterweise findet sich der Abschnitt zum Wirken an der Tokio Universität in keiner Suchanfrage. Hier könnte man auch sehr schön die Frage aufmachen, wann jemand zum Kosen-Judo zählt oder was Kosen-Judo (von mir aus auch die Tradition) überhaupt ist. Kashiwazaki hat selbst nie unter diesen Bedingungen trainiert oder gekämpft, war aber als Trainer gerade im Technikbereich an der Tokio Universität extrem angesehen.
nur_wazaari hat geschrieben:
04.11.2023, 09:11
Allerdings lernten wir ja nun...egal, steht ja alles da.
Mir erschließt sich nicht wirklich, was du hier bereits gelernt hast.
Cichorei Kano hat geschrieben:
05.11.2023, 03:54
Matsumura war zwar einer der letzten überlebenden Lehrer, die noch in der Kôsen-Newaza-Tradition ausgebildet wurden, aber er war nicht der letzte.
Was meint die Kôsen-Newaza-Tradition in diesem Zusammenhang? Warum gibt es diese heute nicht mehr, wenn die ursächliche Struktur dafür nach wie vor besteht?
Vielen Dank für die sehr interessanten Ausführungen, auch wenn sie nicht unbedingt das waren, wonach ich suchte. Ein Bericht zum heutigen Training an z.B. der Kyoto-Universität wäre genau dies. Allerdings scheint es niemanden mit Erfahrungen in diesem Bereich hier zu geben.
nur_wazaari hat geschrieben:
05.11.2023, 17:05
Es ist unter dem aktuellen Regelwerk der IJF offenbar unattraktiv, in Ne-waza zu arbeiten, Zeit zu investieren, Präzision und nicht zuletzt Expertise zu entwickeln.
Witzigerweise ist das Regelwerk heute wesentlich bodenfreundlicher als noch vor 10 Jahren. Zumindest was die reine Arbeit am Boden angeht. Auch gibt es nach wie vor herausragende Bodenkämpfer. Die Gründe für die häufig eher spärliche Bodenarbeit liegen für mich woanders, aber nicht im momentanen Regelwerk für Bodenarbeit.
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Vernachlässigung des Komplex Ne-waza

Beitrag von HBt. »

"Die Gründe für die häufig eher spärliche Bodenarbeit liegen für mich woanders, aber nicht im momentanen Regelwerk für Bodenarbeit." [Zitat Caesar]

Wo liegen die Ursachen und wie könnte man sie beseitigen? Hypothesen!?

Caesar,
bitte antworte nicht mir persönlich* und möglichst nicht ausschließlich im Rhythmus von sieben Tagen - sondern dem Forum.

Danke,
HBt.


*das Du 'HBt.' ignorierst ist bekannt und putzig zugleich - bleibe standhaft ;-)
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Re: Kosen-Judo

Beitrag von nur_wazaari »

caesar hat geschrieben:
11.11.2023, 17:26
Mir erschließt sich nicht wirklich, was du hier bereits gelernt hast.
Aus dem Hut:
- ich lernte etwas über die Geschichte von Kosen-Judo
- ich lernte etwas darüber, wie andere Judoka, auch solche, die die japanischen Gegebenheiten gut kenne, Kosen-Judo einordnen
- ich lernte, dass ich meine eigenen Fragen und Antworten präziser fassen muss, damit mich Leute verstehen
- ich lernte, dass es auch hin und wieder nicht darauf ankommt, dass mich Leute verstehen

Schlussfolgerung hinsichtlich Kosen-Judo: eine Spielart, eine Art der Trainingsgestaltung, eventuell ein Regelwerk, dass Ne-waza möglicherweise etwas in den Vordergrund rückt. Kann man machen, hält für mich historisch, systematisch und philosophisch gesehen keine neuen oder weiterführenden Erkenntnisse bereit. Wenn ich lange Randori in Ne-waza, vielleicht mit weiterführenden Aufgabenstellungen, und gelegentlichem Beginn in Tachi-waza durchführe, dann habe ich annähernd dasselbe Ergebnis.
caesar hat geschrieben:
11.11.2023, 17:26
Witzigerweise ist das Regelwerk heute wesentlich bodenfreundlicher als noch vor 10 Jahren. Zumindest was die reine Arbeit am Boden angeht. Auch gibt es nach wie vor herausragende Bodenkämpfer. Die Gründe für die häufig eher spärliche Bodenarbeit liegen für mich woanders, aber nicht im momentanen Regelwerk für Bodenarbeit.
Technisch gesehen ist es nahezu dasselbe; es wurden aber wieder einmal ganz im üblichen Stile der IJF einige Dinge (leider) herausgenommen. Die subjektive Ungeduld der Kampfrichter hinsichtlich Ne-waza könnte etwas geschrumpft sein, das war es aber auch schon. Ansonsten muss man vor allem in den Teil des Regelwerks für Tachi-waza schauen: Die aktuellen Regeln begünstigen es, dass Ne-waza vor allem dazu genutzt wird, die Kampfzeit herunterzuarbeiten. Nahezu immer zu sehen, wenn eine Waza-ari-Führung besteht. Viele Kämpfe gehen außerdem in Golden-Score - hier reicht die Kraft entweder nicht mehr für ausufernde Ne-waza oder umgekehrt ergibt sich Uke regelrecht in Ne-waza, weil die Kräfte aufgebraucht sind. Mit Arbeit in Ne-waza hat das alles nichts zu tun. Ausnahmen bedürfen meiner Meinung nach keiner gesonderten Erwähnung.

Wo liegen denn die Gründe für eine Vernachlässigung der Ne-waza im Wettkampf nach IJF, wenn nicht maßgeblich im Anreiz, solche zu betreiben?
.
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Fritz
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Re: Kosen-Judo

Beitrag von Fritz »

nur_wazaari hat geschrieben:
14.11.2023, 11:33
Die aktuellen Regeln begünstigen es, dass Ne-waza vor allem dazu genutzt wird, die Kampfzeit herunterzuarbeiten. Nahezu immer zu sehen, wenn eine Waza-ari-Führung besteht.
Aber liegt darin nicht auch eine Chance für den Kämpfer ohne die Wertung? Natürlich müsste dieser dann am Boden richtig gut sein, so daß er den
hoffnungsfrohen Zeitschinder nach allen Regeln der Kunst verarztet?
nur_wazaari hat geschrieben:
14.11.2023, 11:33
Wenn ich lange Randori in Ne-waza, vielleicht mit weiterführenden Aufgabenstellungen, und gelegentlichem Beginn in Tachi-waza durchführe, dann habe ich annähernd dasselbe Ergebnis.
Ja, das wird so sein, aber nur, wenn es ausreichend Randoripartner gibt, die gut am Boden arbeiten.
Wenn Du an Leute gerätst, für die Ne-waza-Randori darin besteht, sich aus nahe zu jeder Ausgangssituation heraus auf den Bauch zu legen, den Kopf einzuziehen und den Rest des Halses unter
dem max. festgezogenen Kragen zu verstecken, wird der Lernfortschritt sehr gering sein ... ;-)
Mit freundlichem Gruß

Fritz
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Ne-waza ist leider oft Nö!-waza

Beitrag von nur_wazaari »

Fritz hat geschrieben:
14.11.2023, 20:43
Aber liegt darin nicht auch eine Chance für den Kämpfer ohne die Wertung? Natürlich müsste dieser dann am Boden richtig gut sein, so daß er den hoffnungsfrohen Zeitschinder nach allen Regeln der Kunst verarztet?
Das ist für mich die entscheidende Frage - auch technisch gesehen. Ich habe keine Statistiken dazu geführt, aber doch den Eindruck, dass gerade die in Rückstand geratene Person das eher selten nutzen kann. Weshalb, vielleicht? Einfach weil Uke einerseits oft zu gut verteidigt, andererseits Tori in der zur Verfügung stehenden Zeit diese Verteidigung nicht nutzen kann. Das wäre der Schluss, den ich aktuell aus meinen Beobachtungen ziehen würde...interessanterweise sieht man oft große Fortschritte: Uke wird bewegt, Arme werden herausgearbeitet, Uke wird sogar mehrfach übergerollt, Uke wird teilweise sogar halbwegs fixiert, aber es reicht dann nicht für Osae-komi oder Ippon durch Aufgabe. Ich vermute, am günstigsten ist die Gelegenheit direkt nach dem Übergang von Tachi-waza, allerdings ist hier gerade ein die Führung verteidigender Uke oft schon im zu Boden gehen in der Verteidigung. Für das Training bedeutet das für mich: in der Regel 1-3 Sekunden Zeit, die Sache im Übergang so durchzuziehen und die Fixpunkte für die eigene Technik so zu sichern, dass Uke möglichst nicht mehr verteidigen kann. Herausfordernd und von nicht allzu vielen Judoka wirklich gut beherrscht.
Ja, das wird so sein, aber nur, wenn es ausreichend Randoripartner gibt, die gut am Boden arbeiten. Wenn Du an Leute gerätst, für die Ne-waza-Randori darin besteht, sich aus nahe zu jeder Ausgangssituation heraus auf den Bauch zu legen, den Kopf einzuziehen und den Rest des Halses unter dem max. festgezogenen Kragen zu verstecken, wird der Lernfortschritt sehr gering sein ... ;-)
Ja, das ist leider auch wahr. Ich kenne es von einigen, dass die das in den ersten 1-2 Randori so machen, um erstmal richtig reinzufinden. Deshalb berücksichtige ich das im Training und stelle die Aufgbe dementsprechend. Und auch könnte gelten: immer in Bewegung bleiben, nie stoppen, immer Fortschritt erzielen und als Trainer versuchen verbal klarzumachen, dass nur so ein Fortkommen aller möglich ist. Welche Maßnahmen und Übungsformen kann man für die Ne-waza-Muffel sonst anbieten?*

*Mir gefiele auch, wenn das Thema des Fadens so wie gerade in eine deutlich praktischere Richtung ginge, da der Begriff "Kosen-Judo" für sich nicht viel mehr herzugeben scheint, als einen etwas mystischen Anstrich.
.
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Re: Kosen-Judo

Beitrag von Cichorei Kano »

caesar hat geschrieben:
11.11.2023, 17:26
Mir erschließt sich nicht wirklich, was du hier bereits gelernt hast.
Cichorei Kano hat geschrieben:
05.11.2023, 03:54
Matsumura war zwar einer der letzten überlebenden Lehrer, die noch in der Kôsen-Newaza-Tradition ausgebildet wurden, aber er war nicht der letzte.
Was meint die Kôsen-Newaza-Tradition in diesem Zusammenhang? Warum gibt es diese heute nicht mehr, wenn die ursächliche Struktur dafür nach wie vor besteht?
Vielen Dank für die sehr interessanten Ausführungen, auch wenn sie nicht unbedingt das waren, wonach ich suchte. Ein Bericht zum heutigen Training an z.B. der Kyoto-Universität wäre genau dies. Allerdings scheint es niemanden mit Erfahrungen in diesem Bereich hier zu geben.
Wie Sie wissen, müssen Judo-Wettbewerbe bestimmte Organisationsregeln befolgen, damit ein Konsens darüber besteht, wie lange ein Wettbewerb dauert, was erlaubt ist und was nicht, wie hoch die Punkte und Strafen sind usw.

Ursprünglich wurden Wettbewerbe nach den vom Kôdôkan festgelegten Regeln abgehalten. Später, als immer mehr Wettbewerbe internationale Teilnehmer anzogen und mehr internationale Wettbewerbe geschaffen wurden, erstellte die IJF ihre Schiedsrichterbestimmungen stark auf der Grundlage der Kôdôkan-Regeln.

Im Laufe der Zeit änderten sich die IJF-Schiedsrichterregeln hin und wieder. Unter den IJF-Präsidenten Charlie Palmer (1965–1969), Matsumae (1979–1987) und den relativ kurzen Amtszeiten von Kaloghian und Hargrave (bis 1991) waren diese Änderungen relativ selten und hatten hauptsächlich mit der Neubewertung von Sicherheitsfragen zu tun.

Danach und insbesondere während der langen Amtszeiten der Präsidenten Park (1995–2007) und Vizer (2007–heute) war das internationale Judo zunehmend besorgt über die zunehmende Aufmerksamkeit der Medien. Darüber hinaus wurde angedeutet, dass die Organisation der Olympischen Spiele erwäge, bestimmte Sportarten zu streichen und durch andere zu ersetzen. Dadurch sei die Einbeziehung des Judo bei den Olympischen Spielen gefährdet. Judo für die Medien und eine größere Öffentlichkeit attraktiver zu machen, wurde nun zum Hauptgrund für die Änderungen der Schiedsrichterregeln. Es würden weitaus mehr Änderungen sowie neue Änderungen mit einer höheren Implementierungshäufigkeit auftreten. Ob diese Änderungen Judo wirklich attraktiver gemacht haben, ist Gegenstand erheblicher Debatten, aber da die IJF niemals auf frühere Entscheidungen zurückblickt und diese als Fehler einstuft, kann man dies nur durch unabhängige Forschung wirklich beurteilen.

Wie auch immer, in Japan gibt es mittlerweile viele Wettbewerbe, die normalerweise keine internationale Beteiligung anziehen, und wo es keinerlei Interesse seitens der internationalen Medien gibt, alle diese Wettbewerbe zu übertragen, gab es offensichtlich nie einen Grund, all diese Änderungen umzusetzen, insbesondere angesichts einiger Änderungen blieben nur kurze Zeit bestehen, bevor sie erneut geändert wurden.

Aus diesem Grund folgten viele Wettbewerbe in Japan weiterhin den seit langem etablierten Kôdôkan-Regeln. Und um ehrlich zu sein: Meiner Meinung nach waren Wettbewerbe in Japan, von denen einige im Kôdôkan ausgetragen wurden, oft weitaus attraktiver als internationale Judo-Wettbewerbe.

Wie auch immer, der Grund, warum ich dies geschrieben habe, ist lediglich, um zu veranschaulichen, dass es unterschiedliche Schiedsrichterregeln gibt, obwohl Sie und wir alle größtenteils mit IJF-Wettbewerben vertraut sind. Dass es unterschiedliche Schiedsrichterregeln gibt, ist nicht so schwer zu verstehen, da die meisten lokalen Wettbewerbe tatsächlich auch nicht den strengen IJF-Regeln folgen. Nationale Judoverbände sind sich darüber im Klaren, dass es viel zu teuer und logistisch zu anspruchsvoll wäre, sich an strenge IJF-Regeln zu halten. Die offensichtlichste Anpassung, die nationale Verbände normalerweise vornehmen, besteht darin, die Mattengröße zu reduzieren, insbesondere bei Kinderwettbewerben. Oft nehmen nationale Verbände oder lokale Veranstalter von Judo-Wettbewerben auch andere Änderungen vor, beispielsweise den Ausschluss bestimmter Techniken.

So wie die Schiedsrichterregeln für IJF-Wettbewerbe zu einem bestimmten Zeitpunkt immer mehr von den Kôdôkan-Regeln abwichen, begannen in Japan die Regeln für Judo-Wettbewerbe an Universitäten von den Kôdôkan-Wettkampfregeln zu abweichen.

Man könnte also argumentieren, dass die Kôsen-Regeln sozusagen auf älteren Versionen der Kôdôkan-Schiedsrichterregeln basieren. Oder um es anders auszudrücken: Die Kôsen-Regeln haben bestimmte Änderungen, die in den Kôdôkan-Schiedsrichterregeln oder in den IJF-Regeln umgesetzt wurden, nicht umgesetzt.

Hier ist ein praktisches Beispiel. Sowohl nach den IJF- als auch nach den Kôdôkan-Regeln muss ein Jûdô-Wettbewerb im Stehen beginnen und darf nur unter bestimmten Bedingungen in Newaza fortgesetzt werden, z. B. infolge eines Wurfs, infolge eines Gleichgewichtsverlusts im Stehen oder durch geschicktes Eintreten aus dem Stand in Newaza. Sogar verschiedene Katame-Waza, die während Tachi-Waza angewendet werden, etwas, mit dem viele von Ihnen noch vertraut sein werden, sind nach den IJF-Regeln als Beginn von Newaza nicht mehr akzeptabel. Du darfst nicht mehr auf den Gegner hochspringen und stehende Jûji-Gatame spreiten und in Newaza weitermachen.

Dieses Verbot besteht nach den Kôdôkan-Regeln nicht. Mit anderen Worten, dies ist ein Beispiel für etwas, das in den IJF-Regeln geändert wurde, nicht jedoch in den Kôdôkan-Regeln. Es wurde auch in den Kôsen-Regeln nicht geändert.

https://www.youtube.com/watch?v=HzyqoNv630I

Um nun ein Beispiel für etwas zu nennen, das sowohl in den IJF-Regeln (vor langer Zeit) als auch in den Kôdôkan-Regeln, aber nie in den Kôsen-Regeln geändert wurde, ist ... der Beginn eines Judo-Wettbewerbs in Newaza. Nach den Kôsen-Regeln ist es nach dem Hajime durchaus erlaubt, sich dem Gegner zu nähern und statt stehen zu bleiben, sich auf den Rücken zu legen und den Kampf auf dem Boden zu beginnen und während der gesamten Dauer des Kampfes auf dem Boden zu bleiben.

Viele von Ihnen werden sich noch erinnern (siehe zum Beispiel die berühmten Kashiwazaki-Wettbewerbe bei der Weltmeisterschaft 1981 in Maastricht), als die IJF-Wettbewerbe auch noch mehr Newaza beinhalteten.

Die Schiedsrichterregeln haben Einfluss darauf, wie und unter welchen Bedingungen Judoka trainieren. Beispielsweise gibt es heute in vielen Clubs keine grün-roten Tatami mehr. Warum nicht ? Die Farbe der Tatami hat keinen Einfluss auf die Qualität der Tatami. Ein Hauptgrund für den Erwerb einer solchen Tatami besteht also darin, Wettkampf-Tatami nachzuahmen. Ebenso werden die Techniken, die Judoka in Uchi-Komi und Randori trainieren, davon beeinflusst, was sie während der Wettkämpfe tun wollen (und dürfen).

In wie vielen Wettkämpfen trainieren Judoka heute ausgiebig an Standarmstangen, Chokes oder Kani-Basami, Kuchiki Daoshi, Daki-Age? Daher ist es logisch, dass diejenigen, die an Judo-Wettbewerben nach den Kôsen-Regeln teilnehmen, auf eine Weise trainieren, die den Kôsen-Schiedsrichterregeln entspricht. Das ist der Grund dafür, dass diese sieben ursprünglichen Universitäten eine lange Tradition in Newaza haben, weil Newaza bei Judo-Wettbewerben nach Kôsen-Regeln so zahlreich vertreten ist.

Beachten Sie, dass ich „newaza“ und nicht „katame-waza“ schreibe. Viele Judoka verwechseln beides. Die Begriffe haben nicht die gleiche Bedeutung. Katame-waza ist nur ein Teil von Newaza, was bedeutet, dass Newaza viel mehr als Katame-wazza enthält. Da die Struktur des Newaza-Judo im Kôdôkan-Jûdô nie die gleiche relative Komplexität wie im Tachi-Waza-Judo erreicht hat, sind die meisten Jûdôka damit nicht so vertraut. Wenn Sie jedoch darüber nachdenken, werden Sie sich daran erinnern, dass Newaza beispielsweise auch Möglichkeiten beinhaltet, einen Partner auf den Rücken zu drehen, wenn dieser eine Position auf allen Vieren einnimmt oder auf dem Rücken liegt. Während sich die meisten westlichen Clubs außer Newaza Randori nur auf Katame-Waza konzentrieren, wenn es um Newaza geht, konzentrieren sich japanische Organisationen, die an Kosen-Regelwettbewerben teilnehmen oder eine Kôsen-Tradition haben, viel mehr auf das gesamte Gebiet von Newaza, also auch auf Newaza außerhalb von Katame-waza. Darüber hinaus wird ihr Training weitaus mehr Übungen zur Unterstützung von Newaza umfassen als westliche Clubs.

Der Begriff „in der Kôsen-jûdô-Tradition erzogen werden“ bedeutet also genau das.

https://www.youtube.com/watch?v=xwhXVkeSj-0
caesar
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Re: Kosen-Judo

Beitrag von caesar »

Vielen Dank für die ausführliche Antwort.

Eventuell wurde meine Frage auf Grund der Sprachbarriere nicht ganz klar.

Mir erschließt sich nicht ganz, warum Matsumura einer der letzten in der Kôsen-Newaza-Tradition ausgebildeten Judolehrer ist, wenn die Struktur der Nanatei weiterhin besteht und jede Universität mindestens über einen dieser Lehrer verfügen müssten. Nimura-sensei sollte ja ebenso ein Judolehrer sein, der in dieser Tradition ausgebildet wurde. Durch das System der Universitäten werden ja auch immer wieder neue Judolehrer herangezogen, die 4 Jahre unter diesem den Regeln angepassten Training ihre Fähigkeiten schleifen und in dieser Tradition erzogen werden.

Somit sollte es eine beschränkte, aber nicht erschöpfende, Menge an Leuten geben die „in der Kôsen-jûdô-Tradition erzogen werden“, wie in den Videos zu sehen.
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Re: Kosen-Judo

Beitrag von Cichorei Kano »

caesar hat geschrieben:
14.01.2024, 17:11
Vielen Dank für die ausführliche Antwort.

Eventuell wurde meine Frage auf Grund der Sprachbarriere nicht ganz klar.

Mir erschließt sich nicht ganz, warum Matsumura einer der letzten in der Kôsen-Newaza-Tradition ausgebildeten Judolehrer ist, wenn die Struktur der Nanatei weiterhin besteht und jede Universität mindestens über einen dieser Lehrer verfügen müssten. Nimura-sensei sollte ja ebenso ein Judolehrer sein, der in dieser Tradition ausgebildet wurde. Durch das System der Universitäten werden ja auch immer wieder neue Judolehrer herangezogen, die 4 Jahre unter diesem den Regeln angepassten Training ihre Fähigkeiten schleifen und in dieser Tradition erzogen werden.

Somit sollte es eine beschränkte, aber nicht erschöpfende, Menge an Leuten geben die „in der Kôsen-jûdô-Tradition erzogen werden“, wie in den Videos zu sehen.
Ich verstehe, was Sie sagen, aber vieles, was im Jûdô existiert, basiert nicht auf strenger wissenschaftlicher oder logischer Strenge. Angesichts der Bedeutung der Hierarchie ist das nicht überraschend. Das bedeutet, dass das, was jemand mit einem höheren Dienstalter entscheidet, die „Wahrheit“ ist, auch wenn das in Wirklichkeit überhaupt nicht stimmt.

Der Begriff Kôsen jûdô sensei impliziert eine Reihe eingebauter Bedingungen, die darauf basieren, wie Menschen Jûdô aus historischer Sicht empfinden und erleben. Ich habe zum Beispiel in Kyôtô bei einem Kôsen-Sensei trainiert. Ich werde nicht sagen, dass ich mein ganzes Leben dort verbracht habe, aber trotzdem. Ich bin seit mehreren Jahrzehnten ausgebildeter Jûdô-Lehrer und unterrichte auch, was ich dort gelernt habe. Dennoch würde ich mich niemals als Kôsen jûdô-sensei bezeichnen.

Kashiwazaki ist ein sehr bekannter Newaza-Spezialist, aber auch niemand würde ihn als Kôsen jûdô-sensei bezeichnen. Es handelt sich tatsächlich um eine Terminologie, die sich auf etwas Vergangenes bezieht, obwohl es in Japan immer noch universitäre Jûdô-Wettbewerbe gibt.

Matsumura, Kurimura, Kanemitsu, Shiotani, Ebii waren jedoch alle Kôsen-Sensei. Eine der in der Terminologie implizierten Bedingungen ist „Vorkriegs-Universitäts-Shiai“. Ich bin mir sicher, dass es auch in Zukunft noch Kriege geben wird, aber das berechtigt die zeitgenössischen Newaza-Jûdô-Teilnehmer in Japan nicht dazu, als Kôsen-Jûdô-Sensei bezeichnet zu werden. Man muss eine klare Verbindung zum Jûdô der Vorkriegsuniversität haben. Das bedeutet nicht, dass man im Jahr 1940 mindestens 18 Jahre alt sein muss, nein, überhaupt nicht. Im Allgemeinen bedeutet dies jedoch, dass Sie bereits in den 1930er oder 1940er Jahren Judo praktizierten, auch wenn Sie damals noch ein Kind waren, vorausgesetzt, Sie praktizierten mit oder unter anderen Jûdôka oder Lehrern, die damals aktiv waren oder bereits zuvor aktiver waren in diese Wettbewerbe.

Natürlich gibt es kein Gesetz, das festlegt, wer wen einen Kôsen jûdô Sensei nennen darf. Es liegt eher daran, dass japanische Jûdôka es wahrscheinlich als kulturell unangemessen empfinden, wenn man diese Terminologie verwendet, um sich auf andere als die oben erläuterten zu beziehen. Das Gleiche gilt für andere Terminologien wie Shihan und Meijin, die manche Westler, die sich im Allgemeinen nicht durch Bescheidenheit auszeichnen, gerne verwenden, um sich selbst zu bezeichnen. Die Tatsache, dass man seit 127 Jahren Judo praktiziert, was diesen Leuten das Gefühl geben könnte, älter zu sein als der Rest der Welt, ist noch immer kein Freibrief, sich diese Terminologie anzueignen. Wenn man das tut, wird die Jûdô-Polizei nicht kommen und Sie ins Jûdô-Gefängnis stecken, aber im Allgemeinen wird es eher dem Ruf eines Menschen schaden, als das Gegenteil zu bewirken.

Auch wenn dies nicht zu 100 % der Fall ist, haben auch wir in westlichen Sprachen eine Terminologie, die in der Vergangenheit zur Bezeichnung bestimmter Personen verwendet wurde. Heutzutage werden Menschen mit denselben Merkmalen jedoch nicht mehr so bezeichnet, und das Beharren auf der Verwendung dieser Terminologie könnte als kulturell unangemessen angesehen werden . Würden Sie heute zum Beispiel Menschen, die homosexuell sind, mit der medizinischen Terminologie „invertiert“ bezeichnen? Würden Sie Menschen arabischer Herkunft und muslimischen Glaubens als „Sarazenen“ bezeichnen? Sie sind nicht weniger arabisch und nicht weniger muslimisch als vor x Jahren, aber dennoch würde man diese Terminologie normalerweise nicht verwenden, um sich auf heute lebende Menschen zu beziehen, es sei denn, man möchte ausdrücklich eine bestimmte politische Aussage machen. Und doch wurde der Begriff „Muslim“ vor dem 16. Jahrhundert in westlichen Sprachen kaum verwendet. Mein Punkt ist einfach, dass die häufig verwendete Terminologie nicht das Ergebnis strenger Logik ist.
HBt.
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Re: Kosen-Judo

Beitrag von HBt. »

Lieber CK,
es ist so wahr und zugleich so traurig - vielen Dank für Deinen Beitrag.

Gruß,
HBt.
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