Judoanfänge in Deutschland

Hier geht es um die Geschichte und um Traditionen des Judo
Lin Chung
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Judoanfänge in Deutschland

Beitrag von Lin Chung »

Hallo zusammen

mich interessiert mal, wann die erste PO in Deutschland (nach dem 17.11.1929) heraus gekommen ist,
wer sie erfunden hat, welchen Inhalt sie hatte und wo der Unterschied zu den
nachfolgenden POs liegt.
Grüße
Norbert Bosse
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Re: Judoanfänge in Deutschland

Beitrag von tutor! »

Es gibt darüber eine Examensarbeit von V. Roth, die er 1973 in Gießen geschrieben hat. Diese ist auszugsweise in R. Mieth "Texte zur Theorie der Sportarten, Bd 3 Judo" veröffentlicht. Mit ein wenig mehr Zeit werde ich einmal eine Zusammenfassung in Angriff nehmen. Das Thema ist ausgesprochen spannend und nicht in ein paar Zeilen abzuhandeln.
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Re: Judoanfänge in Deutschland

Beitrag von Lin Chung »

Hallo Tutor

würde mich sehr freuen, wenn man darüber was erfahren kann. :danke
Grüße
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Re: Judoanfänge in Deutschland

Beitrag von tutor! »

So, jetzt ist mehr Zeit. In der oben angeführten Quelle finden wir zusammengefasst Folgendes (mit kleineren Einschüben von mir - ist also nicht ganz wissenschaftlich):

Erst 1929 kamen die deutschen "Jiu-Jitsuka" (Schreibweise übernommen) in Kontakt mit dem Kodokan Judo durch die Begegnungen mit dem Budokwai in London. Erst dadurch wurde das Kyu-/Dansystem in Deutschland überhaupt erst bekannt. Das, was davor anzutreffen war, lasse ich hier einmal aus. Bei den ersten Freundschaftskämpfen wurden wohl auch die ersten Deutschen graduiert (aber nicht gerpüft!)

Die erste Prüfung deutscher Judoka fand wohl 1932 auf der ersten Judo-Sommerschule in Frankfurt statt. Prüfer waren Koizumi und Tani, die die Prüflinge Randori und wohl auch einiges anderes mehr machen ließen und danach eingestuft haben. Bis 1939 fanden dann Prüfungen auf den Sommerschulen statt. Der Krieg unterbrach diese Tradition. Teilweise sind auch deutsche Judoka bei den Besuchen in London graduiert worden. Eine Prüfungsordnung gab es scheinbar nicht. Innerhalb Deutschlands wurde wohl zum Teil ähnlich verfahren, wie man es von den Engländern (genauer: den Japanern, die in England gelehrt haben) kannte.

Ob die Prüfungen irgendwie urkundlich dokumentiert wurden, ist mir nicht bekannt.

Von 1939-45 gab es zwar Judo-Aktivitäten, aber keine Kooperation mehr mit dem Budokwai in London. Demzufolge kann es in dieser Zeit keine Graduierungen durch Koizumi und Tani gegeben haben. Von einer eigenen PO ist nichts bekannt.

Nach dem Krieg war die Ausübung von Judo bis 1948 verboten. Einzelne Gruppen nahmen danach das Training wieder auf. Update: Sollten während des Verbots Trainingsaktivitäten stattgefunden haben, dann sicherlich ohne, dass "offizielle" Graduierungen durchgeführt wurden.

1951 fand dann die Tradition der Judo-Sommerschulen mit Lehrern von Budokwai London eine Fortsetzung. Über Graduierungen (wer durch wen und wofür) ist nichts weiter bekannt. Im selben Jahr gab es wohl auch einen Besuch von Risei Kano und auch von T. Daigo in Wiesbaden.

Als das DDK 1952 gegründet wurde, erhielt das Präsidium den Auftrag, eine PO zu erarbeiten, die im selben Jahr veröffentlicht wurden. Nach V. Roth gibt es keine Unterlagen mehr darüber. Für Dan-Graduierungen (nur bis 1. Dan) gab es keine Prüfungsrichtlinien. Stattdessen wurden wohl Fragebogen an die Vereine verschickt, damit sie geeignete Kandidaten vorschlagen konnten.

Ab 1952 wurde nach diesen Richtlinien geprüft, aber es gab wohl heftige Kritik - es war wohl alles sehr subjektiv.....

1954 wurden neue Prüfungsrichtlinien veröffentlicht. Sie beinhalteten Randori, Selbstverteidigung, "schulmäßiges Üben" und Wettkampf. Im selben Jahr wurde auch beschlossen, einen Graduierungspass einzuführen. Ein Jahr später gab auch der Kodokan sein Ok, dass in Verbindung mit Dr. Suzuki auch höheren Dan-Grade verliehen werden durften.

1957 wurden die Prüfungsrichtlinien "verfeinert" und in "Verfahrensordnung" und "Prüfungsordnung" unterteilt. Dies war damals wohl sehr umstritten, weil viele Leute das für eine Überregulierung hielten. Jedoch war die Trennung zwischen Prüfungsinhalt und den Verfahrensfragen aus meiner Sicht erforderlich.

So langsam nahm das Prüfungswesen also seine Form an. Es gab in der Zeit bis dahin die eine oder andere "Merkwürdigkeit". Wenn Verfahrensfragen unklar sind und auch nichts dokumentiert wird, dann gibt es automatisch Probleme mit dubiosen Graduierungen. So gab es Leute, die eine Graduierungs-Urkunde von einem Japaner oder Koreaner vorlegten und anerkennen ließen (oder lassen wollten). Fragwürdig waren auch immer Prüfungen, die - angeblich - im Ausland abgelegt wurden. In der Folge wurde das Kontrollsystem immer weiter verfeinert, da Missbrauch immer wieder vorkam.
Zuletzt geändert von tutor! am 06.07.2009, 07:44, insgesamt 1-mal geändert.
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Holger König
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Re: Judoanfänge in Deutschland

Beitrag von Holger König »

Das Verbot bestand (zumimndestens in den westlichen Zonen) bis 1948. Es soll aber bereits vorher zum Wiederaufbau von Trainingsgruppen unter Tarnbezeichnungen, z.B. als "Männergymnastikvereine" gegeben haben. Dies habe ich mal in einer Jubiläumschronik eines vor 1945 gegründeten und nach Kriegsende wiederbelebten Vereins gelesen.
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Re: Judoanfänge in Deutschland

Beitrag von tutor! »

Du hast recht, ich habe oben auch einen Satz eingefügt. In Grenzgebieten dürfte es übrigens auch Training im benachbarten Ausland gegeben haben. Mir ging es darum darzulegen, dass es in dieser Zeit eine PO oder ähnliches "offizielles" gegeben haben kann.
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Re: Judoanfänge in Deutschland

Beitrag von Lin Chung »

Die erste Prüfung deutscher Judoka fand wohl 1932 auf der ersten Judo-Sommerschule in Frankfurt statt. Prüfer waren Koizumi und Tani
Gibt es eine Liste über diejenigen, die graduiert wurden und welchen Grad sie erhielten?
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Re: Judoanfänge in Deutschland

Beitrag von tutor! »

Lin Chung hat geschrieben:Gibt es eine Liste über diejenigen, die graduiert wurden und welchen Grad sie erhielten?
Mir ist keine bekannt - und ehrlich gesagt glaube ich das auch eher nicht. Jedenfalls nicht so etwas wie eine Originalliste oder ein Protokoll. Das würde ja auch voraussetzen, dass man damals schon ein System der Dokumentation geschaffen hätte, was eine Institution vorausgesetzt hätte. Und selbst dann wäre Skepsis angebracht. Möglicherweise gibt es hier und da Hinweise in alten Chroniken, aber es ist immer die Frage auf welchen Informationen sie beruhen.
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Fritz
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Re: Judoanfänge in Deutschland

Beitrag von Fritz »

@Tutor: Gibt es Aufzeichnungen oder Belege dafür, inwieweit Deutschland
in der Zeit bis 1945 direkten Zugang zu japanischen Judolehrern hatte bzw.
ob Deutsche nach Japan gegangen sind, um Judo zu lernen?
Immerhin waren Japan und Deutschland Verbündete im 2.Weltkrieg.

Auf der DVD "The Essence of Judo DVD with Kyuzo Mifune" gibt es einen kleinen Bonusfilm,
der offensichtlich zur Zeit des Dritten Reiches entstanden sein muß.
Am Ende dieses Films werden wir Deutsche ausdrücklich erwähnt beim Bestreben
Judo zu lernen, dabei wird kurz ein Randori Mifunes mit einem "deutschen Lehmann" gezeigt.
Mit freundlichem Gruß

Fritz
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Re: Judoanfänge in Deutschland

Beitrag von tutor! »

Fritz hat geschrieben:@Tutor: Gibt es Aufzeichnungen oder Belege dafür, inwieweit Deutschland
in der Zeit bis 1945 direkten Zugang zu japanischen Judolehrern hatte bzw.
ob Deutsche nach Japan gegangen sind, um Judo zu lernen?
Immerhin waren Japan und Deutschland Verbündete im 2.Weltkrieg.
Genau diese Frage habe ich mir heute auch gestellt! Konkret bekannt ist mir nichts. Einerseits würde ich mich auch wundern, wenn es keinen Austausch gegeben hätte, andererseits kann ich mir weniger vorstellen, dass derartige Kontakte eine "sportliche" Dimension gehabt haben könnten.

So viel ich weiß, gab es vor dem Krieg bereits Kontakte in die Schweiz, wo der Koreaner Dr. Hanho Rhi lehrte und es seit 1936 einen Judoverband gab, den er - glaube ich - gegründet hatte. Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass es in Kriegszeiten weiterhin Kontakte in die Schweiz gab.

Allerdings kann ich mich nicht erinnern, jemals etwas über konkrete Judoveranstaltungen während des Krieges gelesen oder gehört zu haben. Auch die Zeitzeugen, mit denen ich mich (früher) unterhalten konnte, haben immer nur über "vor" oder "nach" dem Krieg gesprochen. Für mich klafft da eine 6-jährige Lücke plus 3 Jahre Judo-Verbot.
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Re: Judoanfänge in Deutschland

Beitrag von Lin Chung »

Gehe ich jetzt richtig in der Annahme, dass es also bis 1954 nichts gab, was man wirklich als sinnvolle PO hätte bezeichnen können?
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Re: Judoanfänge in Deutschland

Beitrag von tutor! »

Lin Chung hat geschrieben:Gehe ich jetzt richtig in der Annahme, dass es also bis 1954 nichts gab, was man wirklich als sinnvolle PO hätte bezeichnen können?
Ich hab nichts gefunden - und darüber, ob es ab 1954 sinnvoll war, lässt sich auch streiten. In dieser Zeit ist auch Dr. Suzuki in Deutschland fest als Trainer nach Deutschland gekommen, so dass man danach von so etwas wie einer systematischen Entwicklung im Westen reden kann.

Wir dürfen aber bei all dem aber keinesfalls vergessen, wieviel persönliches Engagement, die Leute damals in dieser schwierigen Zeit aufbringen mussten, um Judo zu lernen und zu lehren. Hallen, Matten Judoanzüge, Bücher, Verkehrsmittel - alles war damals Mangelware. Wir alle haben dieser Generation unglaublich viel zu verdanken!
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Re: Judoanfänge in Deutschland

Beitrag von Lin Chung »

Weiss man noch, wen Risei Kano 1952 alles graduiert hat?
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Re: Judoanfänge in Deutschland

Beitrag von Reaktivator »

Lin Chung hat geschrieben:Weiss man noch, wen Risei Kano 1952 alles graduiert hat?
@"Lin Chung": Wie kommst Du darauf, daß Risei Kano 1952 irgend jemanden graduiert hat?
Davon steht doch gar nichts hier in diesem Faden... :dontknow
Oder hast Du noch andere Informationen? Falls ja: Teile sie uns doch einfach einmal mit, vielleicht kommen dann ja noch einige Puzzle-Stückchen mehr zusammen...

Als kleines "Dankeschön" beteilige ich mich dann hier an dem heiteren Personenraten ;-) und gehe schon einmal mit zwei Punkten in Vorlage:

1) Laut deren eigener Homepage (Danke an Freund Google!) wurde Ludwig Prass 1952 von Risei Kano "mit dem japanischen Meistergrad ausgezeichnet". (Siehe hier: http://www.judo-sportschule.de/geschichte.php)

2) Außerdem werfe ich auch einfach noch einen anderen Namen in die Runde:
Fritz hat geschrieben:Auf der DVD "The Essence of Judo DVD with Kyuzo Mifune" gibt es einen kleinen Bonusfilm,
der offensichtlich zur Zeit des Dritten Reiches entstanden sein muß.
Am Ende dieses Films werden wir Deutsche ausdrücklich erwähnt beim Bestreben
Judo zu lernen, dabei wird kurz ein Randori Mifunes mit einem "deutschen Lehmann" gezeigt.
Der erste Judo-Europameister im Mittelgewicht war Deutscher und hieß Lehmann (1934, im "Kristall-Palast" in Dresden).
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Re: Judoanfänge in Deutschland

Beitrag von tutor! »

Ein wenig scheint sich das nun von der geschichtlichen Entwicklung der PO zur Frage der Legitimation einer Graduierung zu verlagern. Beides hängt miteinander zusammen.

Ohne eine Organisationsstruktur, die
a) stabil sein,
b) klare Regeln und
c) eine gründliche Dokumentation
haben muss, stellt sich praktisch automatisch irgendwann die Frage nach einer Legitimation einer Graduierung - sei es nun aus persönlichen oder aus historischen Interessen. Vor der Gründung des DDK scheint es nichts dergleichen in Deutschland gegeben zu haben. Jedenfalls sind bislang keine Graduierungsrichtlinien und keine gründliche Dokumentation von Graduierungen aus der Zeit vor 1952 bekannt.

Umso wichtiger war es, diese zu schaffen. Im Vorfeld und auch danach gab es natürlich immer wieder zweifelhafte Graduierungen. Ich will einmal die Bandbreite von mir im Laufe der Zeit bekannt gewordenen "Varianten" darlegen. Unterschiedliche Organisationen in Deutschland und ihre Regelungen lasse ich einmal unberücksichtigt und beschränkte mich auf Erfahrungen innerhalb des DJB.

Die (dreiste) Selbstverleihung

Ich habe in der Vergangenheit Einzelfälle erlebt, die sich einfach einen schwarzen Gürtel gekauft und umgebunden haben. Im Judopass war weiterhin z.B. der 1. Kyu eingetragen, was aber die betreffenden nicht weiter gestört hat und worüber sie auch nicht gesprochen haben. Wer hat schon den Judopass zu Gesicht bekommen?

Die (mündliche) Verleihung durch Japaner

An meiner Uni gab es früher einen Gastdozenten aus Kyoto (Germanistikprofessor). Er war ein begeisterter Judoka und nahm regelmäßig am Uni-Training teil. In seiner Begeisterung verlieh er in den 1970ern einer ganzen Reihe von Braungurten den 1. Dan. Für die so Graduierten gab es sogar eine Urkunde von der Heimat-Uni in Kyoto. Das Niveau entsprach übrigens in jedem Fall dem der deutschen Dan-Träger.

In den konkreten Fällen erfolgte keine Anerkennung durch den DJB, was auch niemand belastete. Der "Kyoto-Dan" gehörte zu so etwas wie dem "guten Ton" an der Uni. Es gab aber auch Fälle, in denen hartnäckig jemand um Anerkennung stritt.

[Auf gleiche Weise kam wohl der ein oder andere Funktionär zu "Ehren". Ich weiß vom Fall eines Judo-Vaters, der selbst kein Judo gemacht hat, aber eben als Funktionär sehr engagiert war, dass ihm einmal ein Japaner den 1. Dan verleihen wollte. Letztlich kam es aber nicht dazu, weil er es selbst abgelehnt hat. Dazu muss man wissen, dass für Japaner der 1. Dan nicht sonderlich viel bedeutet, sondern nur den Übergang von den "Nicht-Graduierten" zu den "Graduierten" darstellt. Sie denken sich also gar nicht so viel dabei, während bei uns jeder Schwarzgurt gleich von einer Aura des Meisters umgeben betrachtet wird.]

Die Prüfung im Ausland

In grenznahen Gebieten war es früher relativ populär, die Prüfung im Ausland zu machen - vor allem, wenn man kurz vorher in Deutschland durchgefallen war..... es gab und gibt allerdings auch Leute, die in zwei Ländern gleichzeitig Judo gemacht haben bzw. machen.

Die Verleihung durch eine ausländische Organisation

Auch dies war eine Variante! Z.B. bei einem Besuch im Ausland wurde mal eben eine Graduierung vorgenommen, eine Urkunde ausgestellt und anschließend - bestenfalls - ein Antrag auf Anerkennung gestellt. Mein früherer Trainer hat auf diese Weise einen 5. Dan "Jiu-Jitsu" aus Australien (aber nie irgendwo publiziert oder gar einen Antrag auf Anerkennung gestellt, was aber möglich gewesen wäre).

Auch von saftigen "Bearbeitungsgebühren" habe ich schon gehört.....

Natürlich gab und gibt es immer wieder Judoka, die im Ausland gelebt und trainiert haben und natürlich dort nach den dort gültigen Regeln graduiert wurden. Diese Graduierungen sind natürlich vollkommen legitim!

Die zahlreichen Regelungen, die erst im DDK später im DJB (nach der Trennung) entwickelt wurden, dienten dazu, die teilweise immer dreisteren Methoden in den Griff zu bekommen. Wie viele "durchgeflutscht" sind, weiß ich natürlich nicht - wie viele evtl. aus Kumpanei "durchgelassen" wurden weiß ich auch nicht.
Zuletzt geändert von tutor! am 07.07.2009, 12:14, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Judoanfänge in Deutschland

Beitrag von Reaktivator »

tutor! hat geschrieben:Ein wenig scheint sich das nun von der geschichtlichen Entwicklung der PO zur Frage der Legitimation einer Graduierung zu verlagern. Beides hängt miteinander zusammen.
Richtig!
Und weil das Thema dieses Fadens ja so schön "Judoanfänge in Deutschland" heißt, hier noch etwas zu den japanischen "Judo-Pionieren" in Deutschland:

Zwar gab es in Deutschland keine derart prägende Gestalt wie etwa Kawaishi in Frankreich oder Koizumi in England - dennoch lebten und wirkten z.T. bereits lange vor dem zweiten Weltkrieg zahlreiche Japaner in Deutschland, deren Einfluß nicht zu unterschätzen ist.

Als Beispiel sei nur einmal jener hochrangige Japaner* (später 9. Dan !) erwähnt, der von April 1926 bis März 1928 zwei Jahre lang in Berlin lebte und zu dem Zeitpunkt bereits den 5. Dan des Kodokan besaß.
(Nur um das besser einordnen zu können: Als Kawaishi viele Jahre später, im Oktober 1935, nach Frankreich kam, hatte er den 3. Dan.)

Deutsche, die in den 1920er und 1930er Jahren bei und mit Japanern trainierten, gab es also so einige....


- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -
*Anmerkung: Weil es ein noch nicht veröffentlichtes Projekt betrifft, möchte ich hier absichtlich keine Namen nennen. Ernstzunehmende Judo-Historiker wissen zwar ohnehin, wer gemeint ist bzw. können die Namen anhand der von mir gemachten Angaben relativ leicht herausfinden; aber allen anderen sollten diese Angaben eigentlich reichen, da die Namen hier in diesem Zusammenhang ja nichts zur Sache tun...
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Re: Judoanfänge in Deutschland

Beitrag von yag »

Reaktivator hat geschrieben:Als Beispiel sei nur einmal jener hochrangige Japaner (später 9. Dan !) erwähnt, der von April 1926 bis März 1928 zwei Jahre lang in Berlin lebte und zu dem Zeitpunkt bereits den 5. Dan des Kodokan besaß.
Wann ist dieser geheimnisvolle Unbekannte
a) geboren und wo
b) wann gestorben und wo
c) wen hat er unterrichtet ?
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Re: Judoanfänge in Deutschland

Beitrag von Reaktivator »

Lieber "yag",

gerne beantworte ich Deine Fragen.

Aber dieses Forum besteht aus Geben und Nehmen.

Und nachdem ich bereits mit zwei Punkten in Vorlage gegangen bin (vgl.: http://www.dasjudoforum.de/forum/viewto ... 957#p45957), hätte ich zunächst gerne einmal eine Antwort auf meine Frage:
Reaktivator hat geschrieben:
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Sobald von "Lin Chung" das erhoffte Puzzle-Teil kommt, werde ich auch wieder eins liefern... ;-)
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Re: Judoanfänge in Deutschland

Beitrag von tutor! »

Da es sich um ein Projekt in Arbeit handelt, werde ich auch keine weiteren Informationen liefern und dieses Reaktivator überlassen.

Ich möchte nur einwerfen, dass die deutsche Judo-Geschichtsschreibung sich ein wenig einseitig auf bestimmte Personen konzentriert - und auf die Regionen, in denen sie tätig waren.

Schaut Euch doch einmal die Ergebnislisten der ersten Europameisterschaften 1934 an:
http://www.judoinside.com/uk/?factfile/ ... ps_dresden

Oder von 1951 (auch mit deutschen Medaillen - sogar in der Dan-Klasse)
http://www.judoinside.com/uk/?factfile/ ... hips_paris

Auffällig ist doch, dass keiner der häufig genannten Namen auftaucht - insbesondere nicht 1934!
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Re: Judoanfänge in Deutschland

Beitrag von katana »

Dazu muss man wissen, dass für Japaner der 1. Dan nicht sonderlich viel bedeutet, sondern nur den Übergang von den "Nicht-Graduierten" zu den "Graduierten" darstellt. Sie denken sich also gar nicht so viel dabei, während bei uns jeder Schwarzgurt gleich von einer Aura des Meisters umgeben betrachtet wird.]
Vielleicht sollte man zur Vollständigkeit dazu noch anmerken, daß es in Japan auch kein "8 -stufiges" Graduierungswesen
vor den Dangraden gibt.
Das ist für den Gesamteindruck durchaus erwähnenswert.
Auch die Inhalte und "Warte"-Zeiten sind anders.

Gruß
KK
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