"Versportlichung" des Judo

Hier geht es um die Geschichte und um Traditionen des Judo
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Ronin
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Re: "Versportlichung" des Judo

Beitrag von Ronin »

ich gebe euch ja in allen Punkten recht, grad so mit den Vereinsfürsten.

Nur ein Punkt noch dazu, ich kann nicht alle Trainer an jeden Lehrgang schicken, der vielleicht gut ist. Erstens macht das keiner mit (auch Trainer haben ein Privatleben). Und zweitens wissen wir leider vorher meist nicht, ob der Lehrgang gut ist - sehr oft sind sie es nicht.

Die Frage ist, an was erkennt man vorher, ob die gut sind.

Kommt nämlich ein Trainer vom falschen Lehrgang zurück, wirft uns das je nach Diskussionsstand um Jahre zurück.
Z.B. bei uns in Baden macht es eigentlich keinen Sinn für uns, auf Fortbildungen zu gehen. Die Referenten (oft sind das auch noch die Landestrainer) sind einfach nur traurig. Gut zum Lizenzerhalt müssen wir hin... ich habe mich für meinen Verband geschämt, als ich von dort zurückkam.
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kastow
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Re: "Versportlichung" des Judo

Beitrag von kastow »

Ronin hat geschrieben:Nur ein Punkt noch dazu, ich kann nicht alle Trainer an jeden Lehrgang schicken, der vielleicht gut ist. Erstens macht das keiner mit (auch Trainer haben ein Privatleben).
Dieses Argument kann ich nicht nachvollziehen. Es wird ja niemand gezwungen, eine ÜL-Funktion zu übernehmen. Aber Weiterbildung gehört zu dieser Aufgabe zwingend hinzu. Die Häufigkeit ist sicherlich ein anderes Thema. Meines Erachtens sollte jede Übungsleitung mindesten zweimal jährlich ein Training außerhalb des eigenen Vereins oder einen Lehrgang besuchen. Sonst sollte von einer Funktionsübernahme abgesehen werden. Wie kann eine ÜL von einer Gruppe ernsthaft Trainingsfleiß und Wille zum Wissenfortschritt verlangen, ohne diese Eigenschaften selbst vorzuleben? Verfügt ihr über drei ÜL und vervollständigt ein gemeinsames Training der ÜL nach jedem LHG zur Wissensweitergabe (gerne auch in das normale Training integriert) diesen Vorgang, fließt so schon alle zwei bis drei Monate qualifiziertes Wissen in euren Verein - bei vergleichsweise geringem Zusatzaufwand der ÜL.

Ich habe übrigens auch eine Familie mit zwei Kindern, die ganz klar vor dem Jûdô kommt. Dennoch gelingt es mir, zusätzlich zur Wettkampfbetreuung zumindest alle vier bis acht Wochen einen LHG zu besuchen.
Ronin hat geschrieben:Und zweitens wissen wir leider vorher meist nicht, ob der Lehrgang gut ist - sehr oft sind sie es nicht.

Die Frage ist, an was erkennt man vorher ob die gut sind.
In der Ausschreibung stehen doch die Referenten. Machst du oder deine ÜL eine schlechte Erfahrung, besucht ihr im Anschluss die LHG mit den entsprechenden Referenten eben nicht mehr. Auch eine Rücksprache mit Vereinen eurer Region, die ähnlich denken wie ihr, können bei einer Qualitätsauswahl im Vorfeld helfen.

Falls deine Frage mehr Richtung funktioneller Techikausführungen tendiert, hilft anfänglich ein Zurateziehen z.B. eines Physiotherapeuten oder ähnlichen Fachmannes. Vielleicht habt ihr sogar so einen in eurem Verein.
Herzliche Grüße,

kastow

Since the establishment of Kôdôkan jûdô, jûdô has become something that should be studied not only as a method of self-defence but also as a way of training the body and cultivating the mind. (Jigorô Kanô: MIND OVER MUSCLE)
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Fritz
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Re: "Versportlichung" des Judo

Beitrag von Fritz »

Um nochmal zurück zum Anfang der Diskussion zu kommen:
tutor! hat geschrieben:
Ronin hat geschrieben:Viele Gerüchte, die mir zu Ohren gekommen sind, beschreiben den Machtkampf Mifune - Nagaoka, wobei Mifune die traditionelle Seite zugeschrieben wird.
So ein Quatsch! Versuche doch nur einmal die zeitliche Epoche zu erfassen, in der diese "Versportlichung" stattgefunden hat. Die ersten Weltmeisterschaften gab es 1956, die ersten Judo-Wettkämpfe bei Olympia 1964. Nagaoka starb 1952(!), Mifune 1965.

BTW: Mifune war einer der bedeutendsten Kampfrichter zu dieser Zeit...
Ich habe rausbekommen, woher das "Gerücht" stammt:

http://www.dasjudoforum.de/forum/viewto ... 678#p45678

Letztendlich von "NBK" aus dem http://judoforum.com

http://judoforum.com/index.php?showtopi ... ntry486698
My primary judo instructor, from the lineage from Mifune to Ito Kazuo, recently described the issue along these lines.

The Kodokan senior members split into 2 groups, the Nagaoka supporters and Mifune's group.

Nagaoka's supporters were largely from the school instructor ranks, who saw judo as a sport.

Mifune's supporters saw judo more as a martial art.
Im Beitrag danach relativiert "Cichorei Kano" diese Aussage:

http://JudoForum.com/index.php?s=&showt ... t&p=486704
You can still see those divisions present today. Abe-sensei was a student of Nagaoka, and follows a line distinctively present from Mifune.

I am not sure though if the characterization judo vs. sport is correct. After all, Nagaoka was rooted in Kito-ryu, whereas Mifune had no koryu roots. Nagaoka was after Kano's death also Koshiki-no-kata's foremost practioner (in Kokokan ranks), whereas there does --to the best of my knowledge-- not exist a single picture of Mifune ever doing this kata. People who knew Mifune said that Mifune did not practice it, but rarely explanations are given and Mifune himself never discussed it in his books. On the other hand, Mifune practiced Itsutsu over and over. Although Itsutsu too is not originally a judo kata, virtually no one knows this, and virtually everyone labels it as a pure judo kata.
Mit freundlichem Gruß

Fritz
tutor!
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Re: "Versportlichung" des Judo

Beitrag von tutor! »

Puh - dann mal los.... aber wenn das die Quelle des Gerüchts "Nagaoka hat die Versportlichung des Judo betrieben" ist, dann hat da jemand ganz schön was hineininterpretiert.

Nach dem WW2 war die Butokukai aufgelöst worden und es existierte in Japan keine übergeordnete Organisation für Kampfkünste mehr. Es stellte sich die Frage nach einer Nachfolgeorganisation. Option 1 war eine übergreifende Kampfkunstorganisation, die japanisch orientiert war, Option 2 waren separate Verbände der einzelnen Disziplinen. Jigoro Kano hat den Weg der Internationalisierung von Judo begonnen - indem er z.B. Lehrer in alle Welt entsendete, die Gründung der EJU unterstütze und v.a.m. Diesen Weg ist der Kodokan weiter gegangen und hat sich für einen nationalen Judo-Verband entschieden und eben auch für die Gründung der IJF. Risei Kano wurde dann auch 1952 IJF-Präsident, was für das im Krieg geschlagene Japan politisch wichtig war.

Mifune hingegen unterstütze daneben die Gründung eines nationalen Verbandes aller Kampfkünste und wurde der "Mejin" für Judo. Dieser Verband heißt Kokusai Budoin, ist so etwas wie die Nachfolge-Organisation der Butokukai und firmiert heute unter der Bezeichnung IMAF (International Martial Arts Federation). Der Link zu Judo-Seite ist: http://www.imaf.com/judo.html. Es ist BTW auch die einzige Organisation, die legitim - das heißt vom japanischen Kaiserhaus autorisiert - die Titel Kyoshi und Hanshi verleihen darf. Wenn Euch also mal ein Hanshi begegnet, fragt mal, wo er den Titel her hat ;)

"NBK" schreibt eine Sache: Die Unterstützer von Nagaoka (er schreibt noch nicht einmal Nagaoka!) waren die Erzieher an Schulen und sahen Judo als Sport, während die Unterstützer von Mifune Judo mehr als Kampfkunst sahen. Die zu stellende Frage ist nun: wer war dichter an Kano? Allerdings darf man die Worte so nicht auf die Goldwaage legen. Es ist ein Post (von einem Nicht-Sportwissenschaftler, Amerikaner, der in Tokyo lebt) aus dem Jahr 2009 und der Gebrauch der Begriffe ist u.U. nicht wirklich reflektiert. Daher auch die Relativierung von Cichorei Kano. NBK schreibt an anderer Stelle, dass er neben Judo auch Nihon-Jujutsu betreibt. Hier steht er in der Linie Mifune/Ito --> Sato ---> "NBK". (Sato: 10. Dan Nihon-jujutsu, 9. Dan Judo).

Letztlich hat Mifune viele Dinge entwickelt und weiterentwickelt und er wollte, dass seine eigen-entwickelten Kata als Kodokan-Kata anerkannt werden. Dies geschah nicht - und das wohl auch aufgrund des Widerstands von Nagaoka. Das war aber keine Frage "Sport oder Kampfkunst?". Nagaoka - wie wohl auch Kano - war nur von den Kata nicht wirklich begeistert. Nagaoka und Kano hatten Kito-Ryu Hintergrund, Mifune nicht. Kano hat Nagaoka den 10. Dan verliehen - und nicht Mifune (der allerdings deutlich jünger war und erst nach Kanos Tod den 10. Dan verliehen bekam). Das war das eigentliche Problem: Das junge Genie und der alte Mann...
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Re: "Versportlichung" des Judo

Beitrag von katana »

Nagaoka was rooted in Kito-ryu, whereas Mifune had no koryu roots.
Lieg ich jetzt total daneben,
oder soll das heißen, daß Kosen-Judo keine Koryu-Wurzeln hat ? :dontknow
(soweit ich weiß, wird Mifune ja des Öfteren mit dem Kosen-Judo in Verbindung gebracht)
tutor!
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Re: "Versportlichung" des Judo

Beitrag von tutor! »

katana hat geschrieben:
Nagaoka was rooted in Kito-ryu, whereas Mifune had no koryu roots.
Lieg ich jetzt total daneben,
oder soll das heißen, daß Kosen-Judo keine Koryu-Wurzeln hat ? :dontknow
(soweit ich weiß, wird Mifune ja des Öfteren mit dem Kosen-Judo in Verbindung gebracht)
Kosen Judo ist kein "alter Stil" - hat also mit Koryu nichts zu tun. Es ist schlicht Judo mit dem Schwerpunkt auf Bodenkampf.
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Re: "Versportlichung" des Judo

Beitrag von katana »

tutor! hat geschrieben:Kosen Judo ist kein "alter Stil" - hat also mit Koryu nichts zu tun. Es ist schlicht Judo mit dem Schwerpunkt auf Bodenkampf.
Schon klar, aber dieser "bodenkampflastige" Stil kommt doch eben aus der FusenRyu-Richtung,
und hat somit Wurzeln in den KoRyu ,....oder nicht ?
tutor!
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Re: "Versportlichung" des Judo

Beitrag von tutor! »

katana hat geschrieben:Schon klar, aber dieser "bodenkampflastige" Stil kommt doch eben aus der FusenRyu-Richtung,
und hat somit Wurzeln in den KoRyu ,....oder nicht ?
So wie Judo auch Koryu-Wurzeln hat - hauptsächlich in Tenjin Shinyo Ryu und in Kito Ryu aber auch andere. Was aber Cichorei Kano in Bezug auf Mifune meinte ist, dass Mifune nie eine Koryu direkt betrieben hat - im Gegensatz zu Nagaoka, der Menkyo Kaiden in (Nada-ha) Kito-Ryu hatte.
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Re: "Versportlichung" des Judo

Beitrag von katana »

Haben denn alle "KoRyu-Lehrer" ihre Traditionslinien im Kodokan beendet ?
Wenn schon der "God of Judo" keine mehr vorweisen kann .........?

In einem anderen Faden war die Rede von einer "Traditionslinie" , die auch über Mifune führte.
Wenn aber Mifune bereits kein Menkyo Kaiden mehr innehatte, gibt es auch die Linie nicht in
der traditionellen Form.
Eine mehr oder wenig lange Linie in der "modernen" Form kann ja prinzipiell jeder Judoka nachweisen.
Außer er hat nur Bücher geguckt.
pmhausen

Re: "Versportlichung" des Judo

Beitrag von pmhausen »

katana hat geschrieben: Eine mehr oder wenig lange Linie in der "modernen" Form kann ja prinzipiell jeder Judoka nachweisen.
Außer er hat nur Bücher geguckt.
Wobei es doch ein deutlicher Unterschied ist, in einem Sportverein zu trainieren oder der persönliche
Schüler eines Sensei zu sein.

Auch wenn meine Beziehung zu Tom Herold nicht so eng ist, daß ich mich als sein Schüler
bezeichnen würde, so sage ich Freunden doch immer, in ihm habe ich einen Lehrer, in
Ettlingen habe ich Trainer. Sorry, ist so. Technik-Grundlagen kommen in der lockeren
Erwachsenen-Gruppe zweimal die Woche einfach zu kurz. Die muß ich mir in Urberach
abholen.

Grüße,
Patrick
katana
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Re: "Versportlichung" des Judo

Beitrag von katana »

Wobei es doch ein deutlicher Unterschied ist, in einem Sportverein zu trainieren oder der persönliche
Schüler eines Sensei zu sein.
Das kommt halt immer auf den Trainer oder Sensei an.
Da gibt es solche.. und solche...

Das war ja eben der Sinn des Empfehlungsbriefes (nennen wir ihn Menkyo-kaiden).
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Fritz
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Re: "Versportlichung" des Judo

Beitrag von Fritz »

katana hat geschrieben:Schon klar, aber dieser "bodenkampflastige" Stil kommt doch eben aus der FusenRyu-Richtung,
und hat somit Wurzeln in den KoRyu ,....oder nicht ?
Kosen-Judo war Schulsport, "Kosen" waren eine Handvoll
Schulen, also Lehranstalten (k.A. was deren genauer Zweck war). Die haben einfach den Bodenkampf bevorzugt,
weil sie so die Schüler schneller zum Kämpfen schicken konnten. Ansonsten war es damals "ganz normales" Judo.
Hab ich irgendwo mal gelesen...
Mit freundlichem Gruß

Fritz
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Re: "Versportlichung" des Judo

Beitrag von Reaktivator »

Fritz hat geschrieben:
katana hat geschrieben:Schon klar, aber dieser "bodenkampflastige" Stil kommt doch eben aus der FusenRyu-Richtung,
und hat somit Wurzeln in den KoRyu ,....oder nicht ?
Kosen-Judo war Schulsport, "Kosen" waren eine Handvoll
Schulen, also Lehranstalten (k.A. was deren genauer Zweck war). Die haben einfach den Bodenkampf bevorzugt,
weil sie so die Schüler schneller zum Kämpfen schicken konnten. Ansonsten war es damals "ganz normales" Judo.
Hab ich irgendwo mal gelesen...
Richtig!

Und bitte auch nicht verwechseln: Das "Ko" in "Koryu" und "Kosen" sind zwei völlig unterschiedliche Schriftzeichen:
1) "ko" in "koryū" ist kurz und heißt "alt" (hier: "alte Stile"): 古
2) "kō" in "kōsen" ist lang und heißt "hoch" (hier: "hohe/höhere Bildungseinrichtung"): 高
Ein Forenmitglied ohne Signatur ist wie ein Forenmitglied ohne Namen.
(Alte Internet-Weisheit, frei nach "Reaktivator")
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Re: "Versportlichung" des Judo

Beitrag von Lin Chung »

dass eben diese Leute die funktionelleren Techniken nicht oder nicht mehr machen, geschweige denn zeigen können, da ihre motorischen Fähigkeiten das nicht mehr zulassen, weil sie ihren Körper schon lange zuvor mit unfunktionellen Bewegungen ruiniert haben
...sehe ich auch so.

Da wir beim Übergang Nagaoka und Europa waren (EJU).
Wie sah das in Deutschland in den 50ern aus?
Vorher gab es halt nur die Richtung Rahn, Schmelzeisen,...
Grüße
Norbert Bosse
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Re: "Versportlichung" des Judo

Beitrag von tutor! »

Lin Chung hat geschrieben:Da wir beim Übergang Nagaoka und Europa waren (EJU).
Wie sah das in Deutschland in den 50ern aus?
Vorher gab es halt nur die Richtung Rahn, Schmelzeisen,...
Vorweg: Hideichi Nagaoka, wie er korrekt heißt (Shuichi und Hidekazu sind zwar gebräuchliche, aber in diesem Fall falsche Lesungen für das Kanji seines Vornamens) ist nicht derselbe Nagaoka, der in den fünfziger Jahren in Deutschland Bundestrainer war un dabei einem Wettkampf tödlich verunglückt ist! Hideichi Nagaoka hatte mit Deutschland und Europa nichts zu tun.

Die deutsche Nachkriegsgeschichte kann ich natürlich nur in Grundzügen streifen, aber ansatzweise will ich es versuchen.

Vor dem 2. Weltkrieg gab es in erster Linie ein "eingedeutschtes Jiu-Jitsu", das vor allem mit dem Namen Rahn verbunden ist. Es wurde weithin bei Polizei und Militär unterrichtet und es gab auch entsprechende Schulen. Zahlreiche Bücher entstanden darüber. Vielfach wurde dafür auch die Bezeichnung Judo verwendet, obwohl es eigentlich keines war. BTW: Kano hatte die Bezeichnung Judo als offizielle Bezeichnung gegenüber der NS-Regierung durchgesetzt, so dass er an diesem Begriffs-Wirrwarr mit verantwortlich war.

Daneben gab es vor allem im Frankfurter (Main), aber auch im Kölner Raum auch Judo, wie es etwa dem Kodokan-Judo entsprach, da man enge Kontakte zu Koizumi und Tani nach London hatte.

Unmittelbar nach dem Krieg war die Situation desolat. Es gab in Deutschland nur noch eine Handvoll Dan-Träger. Trainingsstätten existierten auch kaum noch. Die Verkehrsinfrastruktur musst neu aufgebaut werden und die Leute hatten alle Hände voll mit dem Nötigsten zu tun. Dennoch gab es an verschiedenen Ort Enthusiasten, die sich unter allerbescheidensten Bedingungen dem Judo gewidmet haben. Gelb- und Orangsgurte fungierten verschiedentlich als Trainer - andere gab es oft nicht....

Die Judo-Sommerschulen wurden wiederbelebt, Koizumi und andere wieder nach Deutschland eingeladen. Viele sind auch zu den Sommerschulen ins Ausland (Holland, Schweiz) gefahren, um etwas dazu zu lernen. In den 50er Jahren - ich denke aus dem Kopf so um 1953 - schaffte man es, mit Dr. Suzuki einen permanenten Trainer in Deutschland zu haben. Später kamen Watanabe und Nagaoka (der tödlich verunglückte). Langsam und mit viel Engagement baute sich das Judo wieder auf. Viele Vereine wurden von Leuten gegründet, die vielleicht einen Grün- oder Blaugurt hatten, aber Judo an ihrem Wohnort anbieten wollten. In meinem Kreis kann ich noch heute die Geschichte der Vereinsgründungen in die "Peripherie" hinaus eindeutig zuordnen. Der Enthusiasmus dieser Leute war aber oft größer als ihr Können....

In den 50er Jahren betrieben hauptsächlich Erwachsene Judo, Kinder und Jugendliche waren eher selten. Judo war für viele Leute der erste Kontakt mit der japanischen Kultur, die viele faszinierte. Dass dabei auch jede Menge Unsinn und "Romantisierung" in die Köpfe getragen wurde, ist ein bedauerlicher Nebeneffekt, aber einige Geschichten und Vorstellungen haben sich bis heute (leider) gehalten. Aber: Judo und Interesse für Japan gingen oft Hand in Hand, während heutige Judo-Anfänger kaum noch Interesse für Japan aufbringen. Für viele war damals Judo nicht nur körperliche Ertüchtigung, sondern auch ein Stück gelebte japanische Kultur und "Philosophie". Diesen kulturelle Zugang findet man heute nicht mehr so oft, bzw. die entsprechende "Klientel" wanderte in die erst später nach Deutschland gekommenen Disziplinen wie Aikido, Kendo oder Kyudo ab.

Ende der 50er Jahre hatte das deutsche Judo wieder eine respektable Qualität erreicht und konnte mit den Nachbarländern halbwegs mithalten. Die weitere Entwicklung wurde auch dadurch beeinflusst, dass - Interesse für Japan war durchaus vorhanden - einige Judoka nach Japan gingen um dort a) zu studieren und b) dort intensiv Judo zu betreiben. Auf diese Art und Weise gab es natürlich einen hohen Zugewinn für das deutsche Judo, auf der anderen Seite wurde deutlich, dass in Deutschland viele Leute in ihrem Enthusiasmus in vielfältiger Weise über das Ziel hinausgeschossen waren. Aber damit sind wir schon in den 1960ern.
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judoka50
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Re: "Versportlichung" des Judo

Beitrag von judoka50 »

Na ja Versportlichung des Judo - die Frauen zumindest machen daraus - ohne Rücksicht auf Wettkampfregeln mal alles ein wenig lockerer: :eusa_clap

http://www.dasjudoforum.de/forum/viewto ... f=4&t=4423
Viele Grüße
U d o
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