Judoverständnis

Hier geht es um das Thema Selbstverteidigung
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Jupp
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Re: Judoverständnis

Beitrag von Jupp »

zu: Atemi bei Horst Wolf
In dem mir vorliegenden Buch "Judo-Selbstverteidigung" (Redaktionsschluss 1958, gedruckt 1960) wird Horst Wolf, der "Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Institut Kampfsport an der DHfK ist, für 1958 der 4. Dan zugeschrieben (vgl. dazu einen anderen Faden über Horst Wolf).

Wolf schreibt in der Einleitung auf S. 7:
Nicht aufgenommen wurde eine ausführliche Behandlung der Atemi (gefährliche Schläge und Stöße), obwohl in Japan gerade diese Art des Aufhaltens eines Angriffs und das endgültige Ausschalten eines Gegners gebräuchlich ist. Lediglich bei einigen Angriffsarten ist notwendigerweise darauf zurückgegriffen worden.
Als Gründe für dieses Vorgehen nennt Wolf:
- Atemi sind lebensgefährliche, aber verhältnismäßig leicht erlernbare Mittel
- sie sind nicht am Partner zu üben, sondern nur angedeutet und daher im Ernstfall nicht kontrollierbar
- werden von Laien gerne geübt, wegen "ihrer geringen Anforderungen an die Bewegungsfertigkeiten"
- im Ergebnis werden Atemi von Laien in jeder Notwehrlage verwendet, ganz gleich ob angemessen oder nicht
- ungefährlichere Techniken werden weniger geübt

Kann man nach diesen einleitenden Worten Horst Wolfs Buch immer noch als ein Nachschlagewerk für Judo-Atemi benutzen?

fragt

Jupp

P.S. In der Ausgabe von 1967 (Horst Wolf hat den 5. Dan und ist Dozent an der DHfK Leipzig) startet er die Einleitung mit Hinweisen auf die Selbstverteidigung im Kodokan, die "bis vor einigen Jahren ...fast ausschließlich nur in Form von Kata geübt wurde..." und weist auf die Kime-no-kata hin, bei der "dargestellt wird, wie ein mit Messer und Schwert bewaffneter Gegner besiegt werden kann." Als Quelle dazu gibt er Ichiro Abe an.
Kodokan Gohsinjutsu war ihm auch 1967 offensichtlich nicht bekannt.
Asterix
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Re: Judoverständnis

Beitrag von Asterix »

Jupp hat geschrieben:Kann man nach diesen einleitenden Worten Horst Wolfs Buch immer noch als ein Nachschlagewerk für Judo-Atemi benutzen?
War es denn dazu gedacht?

Wie ein gar lustiger Forenschreiber aus Thüringen vorweg anmerkte, war Horst Wolf Bürger der DDR, zumindest ca. seit seinem 30. Lebensjahr. Das die Atemi-Techniken in den Beschreibungen fehlten, wird sicher politische Gründe gehabt haben. Das was von der damaligen Obrigkeit nicht gewollt. An Boxen kam man nicht vorbei, das war olympisch... Karate, TKD, etc.... undenkbar. Zumindest in den 70er Jahren. Wenn ich mich zurückerinnere: Was wollten wir als Kind? Richtig, Karate! Ging aber nicht, gab's auch nicht, also landeten wir beim Judo. Und was übten wir als 14-18 Jährige? Atemi! Selbst Judo, trotzdem es olympisch war, war verpönt. Die meisten Vereine standen unter der Obhut der Polizei und es gab auch so einige missliebige Personen, die herauskomplimentiert wurden, da man nicht wollte, das diese Judo lernen. Selbst erlebt.
Jupp hat geschrieben:Kodokan Gohsinjutsu war ihm auch 1967 offensichtlich nicht bekannt.
Wenn man sich das Buch "Judo-Selbstverteidigung" aber genauer ansieht, dann kann man da durchaus zu anderen Erkenntnissen kommen. ;)

Auf jeden Fall finde ich die präzisen Beschreibungen und die Zeichnungen in den Horst-Wolf-Büchern um Längen besser, als diese komischen Klocke-Comics, die heute so als offizielles Lehrmaterial herhalten.
Deshi
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Re: Judoverständnis

Beitrag von Deshi »

wujing hat geschrieben:@ Deshi:

Aber gerne doch: :)

Horst Wolf: Judo Selbstverteidigung:

Darstellungen von Judo-Atemi-Techniken:

S: 62: Kniestoß ins Gesicht
S: 95 Kopfstoß ins Gesicht
S: 105 Kniestoß ins Gesicht
S: 117 Fußstoß in den Unterleib
S: 139 Kniestoß in den Untl.
S: 167 Stoß mit der offenen Hand in Krallenform in das Gesicht
S: 168 Kniestoß in d. Untl.

weiterhin werden dort heute kaum geübte Techniken demonstriert, die aber auch ins Kodokan Judo Curriculum gehören:

gesprungene Scherentechnik (S117)

Desweiteren gibt es andere Literatur von Horst Wolf, wo weitere Atemi gezeigt werden.

Nakabayashi:

S: 26 Deflektieren von Faustschlägen
S: 28 Deflektieren von Faustschlägen und Gegenangriffe mit offenen Händen (ähnlich wie bei Horst Wolf)
S: 32 Fingerstiche

Kuwushima Judo 41 lessons:

S: 39 Kniestoß in den Unterl.
S: 36 / 37 Faustschlag zum Kinn / Faustschlag zu den kurzen Rippen / Nieren
S: 63 Ellenbogenschlag zum Solarplexus

S: 80 seitlicher Tritt zum Knie (SV gegen Boxer)

Einführung in vitale Punkte und die körpereigenen Waffen, mit denen diese angegriffen werden sollen:
(Faust/ Handkante / Fingerspitzen / Ellenbogen / Knie Fußballen / Ferse)

Darüber hinaus wird auf die Wichtigkeit eines Abhärtungstrainings dieser Stellen mittels Schlagen auf Bambusstäbe, welche zwischen Hölzern befestigt sind, eingegangen. Es wird darauf hingewiesen, dass diese Praxis bei japanischen Judoka sehr wichtig und verbreitet ist, um wirkungsvolle Atemitechniken auszuführen zu können.

Gehört alles zum Judo. Eine unglaublich faszinierende - und eigentlich komplette Kampfkunst.

Lg

wujing
Vielen Dank!

Man muss schon ein wenig buddeln, um Quellen zu finden. Und wenn man was findet, weiß man immer nicht, wo genau der Kram herkommt. Ich habe oft den Eindruck, dass gerade "frühe" Autoren mit den Namen Judo und Ju Jutsu (in mannigfaltigen Schreibweisen) recht locker umgegangen sind. Die Zuordnung zum Kodokan Judo wird dadurch immer extrem schwierig.
Ich habe hier noch etwas gefunden:
http://de.scribd.com/doc/114165809/Judo ... l-1943-USN
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Re: Judoverständnis

Beitrag von tutor! »

Deshi hat geschrieben:Ich habe oft den Eindruck, dass gerade "frühe" Autoren mit den Namen Judo und Ju Jutsu (in mannigfaltigen Schreibweisen) recht locker umgegangen sind. Die Zuordnung zum Kodokan Judo wird dadurch immer extrem schwierig.
Das ist in der Tat ein schwerwiegendes Problem. Schon Kano hat sich darüber beklagt, dass viele Leute, seitdem der Kodokan den Begriff Judo verwenden würde, nach und nach auch Jujutsu als Judo bezeichnen würde, so dass eine Unterscheidung schwierig sei. Die entsprechende Passage ist bei Niehaus zitiert, habe ich aber gerade nicht zur Hand.

Allerdings trägt Kano genau dafür eine Mitverantwortung, denn in den Lehrplänen der Schulen wurde auf sein Betreiben hin ca. In den 1920ern der Begriff Jujutsu durch Judo ersetzt. Dasselbe machte die Butokukai. Bei ihrer Restrukturierung 1942 (Jahreszahl aus dem Kopf) wurde die Sektion Jujutsu in Judo umbenannt. Dies erfolgte im übrigen auch im Zuge einer Bushido-Idealisierung und war Teil der ideologischen Erziehung, indem man alle möglichen Bereiche mit einem "-do" versehen hat.

Kano hat mehrfach versucht deutlich zu machen, wo der Unterschied zwischen Judo und Jujutsu liegt. Letztlich kann man das nur bedingt auf der Ebene des technischen Programms, sondern auf der Ebene des Kontext ihres Praktizierens beantworten.
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Re: Judoverständnis

Beitrag von Jobi »

Hmmm. Letzten Endes iss es ja auch egal, Kôdôkan Jûdô ist vom Technischen her sowiso Jûjutsu und zumindest die Gendai- Jûjutsu- Stile sind "Dô".
Und selbst der "Langnasensport" Ju Jutsu Fighting (für die, die`s nicht kennen, setzt sich aus 3 Phasen zusammen, Part 1 = Shotokan- Karate- Kumite, Part 2 = Stand- Judo, Part 3 = Boden-Judo) würde wohl sehr Kano`s Wohlwollen bekommen.
Mit freundlichen Grüßen
Jobi


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wujing
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Re: Judoverständnis

Beitrag von wujing »

@ Fritz.

Danke für die Beschreibung eures damaligen Trainings. :D Leider scheint ein derartiger Lernwille bzgl. Atemi-Techniken im heutigen Judo abhanden gekommen sein. Du stellst zu recht die Frage, warum seitens heutiger Judoka kaum Interesse besteht, Atemi-Techniken erlernen zu wollen. Für mich persönlich ist diese Einstellung auch sehr befremdlich. Auch wenn der persönliche Schwerpunkt eher im Wettkampf liegt, sollte man doch bemüht sein, sich alle Bereiche des Judo zu erschließen. Zumindest sollten die Möglichkeiten dafür geschaffen werden. Klar gestaltet sich so etwas sicher nicht einfach. Aber helfen könnten:

1. historische Quellen (um das Interesse zu wecken.)
2. man könnte geeignete Kontakte knüpfen / nutzen, um dieses Original-old-school -Judo-Wissen wieder (logischerweise in der Praxis) zu erlernen (aus kompetenter Hand), um es dann wieder verbreiten. Es wäre furchtbar schade, dass wichtige Teile des Judo einfach so in der Versenkung verschwunden bleiben. Ich denke, dass es die Kampfkunst Judo wert ist (bzw. wert sein sollte), so komplett wie möglich unterrichtet zu werden.

Das gleiche gilt für den "Schatz" an Bodentechniken.

Leider konnte bisher niemand meine Frage beantworten. Gibt es Kontakte nach Japan zu Kosen-Judo-Gruppen?

Lg

wujing
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Re: Judoverständnis

Beitrag von tutor! »

wujing hat geschrieben:Leider konnte bisher niemand meine Frage beantworten. Gibt es Kontakte nach Japan zu Kosen-Judo-Gruppen?
Ja, die gibt es. U. Klocke hat sogar letztens im Judo-Magazin über einen Besuch dort berichtet, wenn ich mich nicht irre.
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Re: Judoverständnis

Beitrag von wujing »

Danke für die Antwort Tutor. :) Ich habe den Bericht leider nicht gelesen.

Deswegen sei die Frage gestattet: Ergaben sich aus diesen Trainings- / Austauschmöglichkeiten Rückschlüsse auf das (Boden-)Programm des DJB? z. B. weitere Einladungen für weiterführende Lehrveranstaltungen bzgl. der Erweiterung des aktuellen Bodenprogramms. (bzw. bzgl von Rück /Wiedereinführung der Techniken des alten Techniken. Was gab es für Erfahrungen seitens der Sport-Judoka? Neugierig geworden?

Danke im Voraus.

Lg

wujing
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Re: Judoverständnis

Beitrag von tutor! »

Ich weiß nicht, was Du dir so vorstellst.... als ich 16 war und zum ersten Mal im Kodokan trainierte, hatte ich die absurde Vorstellung, dass ich dort nur besonders gute Techniken und Tricks lernen würde, und dann noch viel besser wäre. Aber die gab es nicht und gibt es nicht.

Es ist alles schlicht harte Arbeit. Es gibt unzählige Variationen derselben Grundtechniken. Die Grundtechniken sind bekannt und viele Trainer - aus aller Welt - haben raffinierte Lösungen für Detailprobleme gefunden. Bei den "Kosen-Leuten" ist K. Kashiwasaki der derzeit angesagteste Bodenspezialist. Er ist Cheftrainer der internationalen Budo-Universität unweit von Tokio. Dort trainiert regelmäßig die deutsche Jugend- und die Juniorennationalmannschaft. Natürlich sind auch alle Bundestrainer vor Ort. Dieses Jahr gab es sogar eine Trainerfortbildung.

Der DJB macht regelmäßig offene Trainerfortbildungen, wo z.B. in diesem Jahr die Teilnehmer an der japanischen Trainerfortbildung referiert haben. Es gibt also einen direkten und vor allem schnellen Transfer von Japan nach Deutschland.

Der DJB bekommt also ganz hervorragend mit, was in Japan Sache ist - und zwar in der japanischen Spitze. Das fließt in die Ausbildung der Nachwuchsathleten ein. Es hat also auch irgendwo seine Erklärung, dass viele deutsche Wettkämpfer in allen möglichen Altersklassen überdurchschnittlich viel am Boden gewinnen.

Es gibt übrigens ein Buch von Kashiwazaki und K. Komuro:
http://www.verlag-dieter-born.de/index. ... &Itemid=16

Wirklich empfehlenswert!

Die Erfahrung der Besucher?
- 20 Bodenrandori hintereinander sind viel
- die kochen auch nur mit Wasser

Kleine Ergänzung, damit es nicht falsch rüberkommt:
In Japan sind die Strukturen völlig anders, als in Deutschland und Europa. In den Mittel- und Oberschulen findet die Grundausbildung statt. Die japanischen Jugendlichen treten einem "Club" - eine schulische Einrichtung bei - wo sei eine Aktivität fünfmal die Woche machen. Wenn sie sich für Judo entscheiden, dann machen sie 5x Judo die Woche. Das ist aus japansicher Sicht Breitensport.

Etwa mit dem 2. Dan gehen sie dann an eine Uni. Dort schließen sie sich einem "Club" an - wieder 5x die Woche Training. Je nachdem an welche Uni sie gehen - es gibt spezialisierte und weniger spezialisierte - machen sie 100% Leistungssport. Es gibt eine Handvoll Unis, die absolut top beim Judo sind (z.B. Tsukuba, früher Tenri oder Tokai).

Wer nach der Uni noch weiter Judo machen will, geht sinnvoller Weise zur Polizei oder heuert bei einer der Betriebssportgruppen an. Letztere sind Profimannschaften, in denen die Judoka ausschließlich trainieren und kämpfen. Nach der Karriere arbeiten sie dann weiter im Betrieb.

Ist man erst einmal über 30, wird es schon schwieriger. Es gibt in jeder Stadt zahlreiche kleinere Dojo, die meist von ehemaligen Profis betrieben werden. Dort lernen kleine Kinder Judo - vor der Mittelschule - und dort können erwachsene Nicht-Profis Judo machen. Dazu kommen noch Dojo in öffentlichen Sportzentren, in denen 2-3x in der Woche Training für Breitensportler ist.

Die "Kosen-Leute", die es noch gibt, sind im Prinzip nichts anderes als Breitensportler, die eben gerne Ne-waza machen - durchaus gut, aber eben auch nicht so überragend, wie man sich das in der Phantasie vielleicht vorstellt. Das "Kosen-Judo" war ja ein "Universitäts-Judo" und die besten Leute - also die, die so gut sind, dass sie das professionell machen können - sind als Lehrer und Trainer an den Universitäten (wie Kashiwazaki) oder bei der Polizei. Einige sind Lehrer an Schulen (wie Komuro).
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Josef
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Re: Judoverständnis

Beitrag von Josef »

Nun, da wir etwas über die Auslandsaufenthalte einiger Personen erfahren haben, und wissen, wo die Ausbilder des DJB sich im Sportjudo weiterbilden, möchte ich gerne zur Ausgangsfrage zurückkehren, und mal ganz konkret wissen - wie sieht es um das JUDOVERSTÄNDNIS aus?

Einige wenige haben offen dazu Stellung genommen, andere reden völlig am Thema vorbei....

Gehört "SV" für euch zum Judo bzw ist Sport-Judo ohne "SV" für euch eigentlich noch "richtiges" (vollständiges) Judo?

Und um mal gleich vorwegzugreifen: mir geht es nicht um "das Bild 'des' Judos in der Öffentlichkeit" - das ist wahrscheinlich von Olympia geprägt - sondern darum, was sich aktive Judoka denn unter Judo vorstellen, trainieren, gerne trainieren würden usw... Also praktisch die Hägele-Sport-Version oder ganzheitliches Judo mit all seinen Facetten. (Denn so hatte ich den TE verstanden).

Bis jetzt haben wir etwa 50/50 hier und einige Leute die viel reden aber nix zum Thema sagen....
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"es gibt nur eine Po und zwar die vom DJB" -- danieX im KKB
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Re: Judoverständnis

Beitrag von Makikomi Kid »

Judo ist Judo.
Sobald du es einschränkst (Sport-Judo ) beschränkst du es. Änderungen an Kampfregeln sorgen oft dafür, dass Prüfer Dinge anders sehen wollen, damit ändert sich das Training und Lehren.

Judo für die SV ist weniger eingeschränkt als Sport-Judo, aber dennoch eine andere Sichtweise auf das Gebiet, was ebenfalls zu Einschränkungen führt ( z.B. bei Sutemi oder akrobatischeren Wurfvarianten).

Judo ist Judo.
SV ist ein Teil, Sport ein anderer. Sicher kann man hier noch weitere aufführen. Sicher haben unterschiedliche Leute unterschiedliche Gewichtungen.
Immer wenn man einen Zusatz braucht, schränkt man ein. Problematisch wird es dann, wenn jemand diese Einschränkung als das Ganze ansieht.
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wujing
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Re: Judoverständnis

Beitrag von wujing »

Im DJB werden Kata unterrichtet. Die Kata beeinhalten Atemi-Techniken. Wie werden diese trainiert (bzw. auf welcher Basis)? Werden darin alle Atemi aus der Liste (die ich oben gepostet habe) unterrichtet?

Werden die Kata zur Anwendung gebracht? Warum finden sog. Kata-Wettbewerbe statt? Der Sinn einer Kata basiert doch auf der Vermittlung von Prinzipien, welche das Kampfkunst-Verständnis (also u. a. das kämpferische Können) fördern sollen?

Danke im Voraus.

lg

wujing
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Re: Judoverständnis

Beitrag von tutor! »

Bei rund 2.700 Vereinen kann man diese Frage nicht pauschal beantworten. Am besten, Du machst Dich auf den Weg und besuchst einige Vereine in Deiner Umgebung und schaust, wie es dort gehandhabt wird. Ich freue auf Deine Berichte.
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Re: Judoverständnis

Beitrag von Jupp »

Josef ragt:
"...möchte ich gerne zur Ausgangsfrage zurückkehren, und mal ganz konkret wissen - wie sieht es um das JUDOVERSTÄNDNIS aus?"
Über diesen Punkt ist zwar hier im Forum an verschiedenen Stellen schon sehr intensiv gesprochen worden. Auch das Zitat von Opa Schutte findet sich sicher schon irgendwo:
"Kano hat Judo geschaffen als "A way of Life" (eine Art zu leben) und nicht als "A struggle for life" (einen Kampf ums Leben)" (Antoon Geels "Judo Bodentechnik von Opa Schutte, Helsingborg 1979, S. 144).

"Kano wollte den Schülern und den Suchenden zeigen, auf welchen Wegen sie durch ein Körpererlebnis ausgeglichene Menschen werden können." (ebenda, S. 144/145)

Kano hat für dieses "Körpererlebnis" verschiedene Methoden (Wege) entwickelt, mit denen dieses Körpererlebnis hergestellt werden kann/soll, nämlich Kata und Randori (wobei Shiai eine Spezialform des Randori ist). Das "äußerste Ziel" des Übens besteht darin ein "ausgeglichener Mensch" zu werden, oder wie Koizumi es beschreibt: "Geborgenheit, Glück und Genugtuung laut der innersten Kraft des Lebens zu gewinnen. Wir lernen zu siegen, d.h. etwas Destruktives, aber das Endgültige des Unterrichts ist es, diese Macht nicht anzuwenden. Das unmittelbare Ziel wird das äußerste Ziel sein, mit Hilfe des Trainings Herr über seinen Körper, seine Gedanken und seine Gefühle zu werden." (ebenda S. 142).

Kano und auch die europäischen Japaner vor dem 2. Weltkrieg beschrieben Judo als eine Art "körperliche Philosophie", eine Art, sein Leben zu gestalten.

Der kämpferische Aspekt (also auch der sportliche) ist halt nur ein Stückchen der ganzen "Apfelsine Judo", nicht mehr und nicht weniger Wert als andere Stücke - aber er gehört zum Judo und hat auch den "Geschmack" des Judo, ist aber nicht alles. Judo in seinem ganzen Ausmaß studieren zu können (dürfen) ist eine Lebensaufgabe, die nur ganz wenigen Menschen als Glück zuteil wird. Alle anderen müssen sich damit begnügen, einen mehr oder weniger großen Teil der "Apfelsine Judo" probiert und "geschmeckt" zu haben, um daraus erfahren zu können, wie Judo für den Einzelnen zu erfahren und verstehen ist.

Aber zum Glück sind die Geschmäcker eben doch ganz verschieden - und die Zugänge zum Verständnis und Erlebnis des Judo eben auch...

Jupp
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Re: Judoverständnis

Beitrag von The German »

@ Jupp

in meinen Augen perfekt zusammengefasst :danke
wujing
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Re: Judoverständnis

Beitrag von wujing »

Wie gesagt, die Quellenlage ist recht eindeutig:

Atemi wurden nicht nur in den Kata praktiziert!!!

Aus "My study of Judo" von G. Koizumi (Kapitel "Atemi Waza")

Zitat:

"..... The training is conducted in a form of kata, and to harden the parts of the body used for executing the blows, sawdust or sandbags are used as targets.".

Jeder mag seine Schwerpunkte woanders legen. Aber:

Judo ist eine umfangreiche Kampfkunst mit einem großen Curriculum. Eben dieses sollte doch auch unterrichtet werden. Wettkampf ist ein Teil davon, aber er stellt doch nun wirklich nicht das gesamte Spektrum des Judo dar. Das Sportjudo behandelt nur einen klitzekleinen Teil der großen Palette.

Am Beispiel der Kata.

z. B. Kime Shiki wird noch unterrichtet. Wenn das hier niemand kennt / kann, sucht man sich halt entsprechende Leute, welche noch das gesamte Judo erlernt haben. An sich müsste man doch froh sein, dass dieses Wissen zum Glück nicht verloren gegangen ist. Es steht uns zur Verfügung.

Was ich ehrlich gesagt wirklich nicht verstehe:

Man müsste doch als Judoka darauf brennen und sich freuen, die alten Sachen erlernen zu dürfen / zu können. Ganz egal welchem Verband man angehört. Es ist schließlich eure praktizierte Kampfkunst und die verdient es, so komplett, original getreu und vollständig unterrichtet zu werden. Nach dem Motto:

Wow ich kann

Atemitechniken des Judo
Waffentechniken des Judo
gesprungenen Techniken (die wg. Verbots im Wettkampf unlogischer Weise auch aus dem normalen Unterricht verschwunden sind.)
den umfangreichen Schatz an Bodentechniken
usw..

erlernen.

Darauf kann man doch stolz sein. Und wenn es bedeutet viele Sachen neu erlernen zu müssen, Dinge aus einem anderen Blickwinkel zu sehen etc. Na und? Wo bleibt die Neugier, alles über seine Kampfkunst zu erfahren?

Freuen wir uns doch, dass uns diese Möglichkeit zur Verfügung steht und nutzen diese ausgiebig. Dann kann man die oben erwähnte Dinge vielleicht irgendwann auch und hat einen ganz anderen Blickwinkel auf seine Kampfkunst. Daneben kann man ja seinen Wettkampf weiter praktizieren, wenn einem das dann noch so wichtig ist.

Lg

Wujing
Jupp
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Re: Judoverständnis

Beitrag von Jupp »

Wujing schreibt:
"Atemi wurden nicht nur in den Kata praktiziert!!!"
Das ist so einfach falsch!

Atemi wurden im Judo (nach Jigoro Kano) nur in Kata studiert. Allerdings waren damit nicht nur die formalisierten "großen" Kata gemeint, sondern jedes "exakt abgesprochene Üben" war Kata.

Aus meiner Erfahrung gibt es Kata-Training in jeder Judostunde - zwangsläufig immer dann, wenn es um Erlernen und Anwenden von Judotechniken geht - wie anders als abgesprochen und (mehr oder weniger) festgelegt sollen denn Judo-Techniken überhaupt geübt werden.

Im "freien Üben" ohne jede Einschränkung (Randori und Shiai als Spezialform des Randori) waren Atemi nach den Judoregeln verboten!

Alles was es dazu an Zitaten von Kano gibt sollte man im zeitlichen Zusammenhang und der Wirkung auf das Kodokan-Judo noch einmal genauer betrachten.

Wujing schreibt:
"Was ich ehrlich gesagt wirklich nicht verstehe:
Man müsste doch als Judoka darauf brennen und sich freuen, die alten Sachen erlernen zu dürfen / zu können. Ganz egal welchem Verband man angehört. Es ist schließlich eure praktizierte Kampfkunst und die verdient es, so komplett, original getreu und vollständig unterrichtet zu werden. Nach dem Motto:
Wow ich kann
Atemitechniken des Judo
Waffentechniken des Judo
gesprungenen Techniken (die wg. Verbots im Wettkampf unlogischer Weise auch aus dem normalen Unterricht verschwunden sind.)
den umfangreichen Schatz an Bodentechniken usw.. erlernen."
Auch dazu habe ich doch weiter oben schon etwas geschrieben, nämlich: "Judo in seinem ganzen Ausmaß studieren zu können (dürfen) ist eine Lebensaufgabe, die nur ganz wenigen Menschen als Glück zuteil wird. Alle anderen müssen sich damit begnügen, einen mehr oder weniger großen Teil der "Apfelsine Judo" probiert und "geschmeckt" zu haben, um daraus erfahren zu können, wie Judo für den Einzelnen zu erfahren und verstehen ist."

Wenn Du Wujing, also glaubst, einen Lehrer gefunden zu haben, der "das gesamte Spektrum des Judo" (Zitat Wujing) beherrscht, so ist das ein wirkliches Glück, denn es dürfte auf der Welt (vor allem außerhalb Japans) nicht allzu viele geben, die "noch das gesamte Judo erlernt haben" (Zitat Wujing) und das dann auch noch "so komplett, originalgetreu und vollständig" (Zitat Wuning) unterrichten können.

Dies müsste eigentlich ein direkter Schüler von Kano sein, also jemand, der lange Jahre am Kodokan studiert hat und die japanischen Texte im Original lesen kann. Wie sonst sollte man Judo "originalgetreu und vollständig unterrichten"? Wie ist es diesem Meister des Judo gelungen, über so viele Jahre hier in Europa unbemerkt zu wirken?

Ich selber lerne seit knapp 45 Jahren ständig Neues dazu, kann oft nicht unterscheiden, ob es originalgetreu oder nur kopiert ist, ob es mein Judo nun endlich komplettiert oder ob ich auch noch in weiteren 45 Jahren meilenweit davon entfernt bin, Judo auch nur annähernd komplett zu verstehen, geschweige denn zu praktizieren oder gar zu unterrichten. Habe ich die falschen Lehrer gehabt?

Für die noch kommenden (Judo-) Jahre halte ich mich gerne an den Schlußsatz von Wujing:
"Freuen wir uns doch, dass uns diese Möglichkeit zur Verfügung steht und nutzen diese ausgiebig. Dann kann man die oben erwähnte Dinge vielleicht irgendwann auch und hat einen ganz anderen Blickwinkel auf seine Kampfkunst. Daneben kann man ja seinen Wettkampf weiter praktizieren, wenn einem das dann noch so wichtig ist."
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Re: Judoverständnis

Beitrag von Makikomi Kid »

Jupp, auch heute sind Atemi laut Judo Regeln nicht verboten.

Im BJJ sind Atemi ausgeschlossen, im Judo nur Einzelfälle (wie Hiza Geri zur Armbefreiung).
Ich warte eigentlich nur darauf, dass jemand mal seinem Gegner hübsch eine zentriert. Macht irgendwie nur keiner.
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Re: Judoverständnis

Beitrag von guk »

Makikomi Kid hat geschrieben:Jupp, auch heute sind Atemi laut Judo Regeln nicht verboten.
Wie wäre es mit dem Gummiparagraphen:
HANSOKU-MAKE (Gruppe der schweren Regelverstöße):

(32) Irgendeine Handlung zu begehen, die den Gegner gefährden oder
verletzen kann, insbesondere des Gegners Nacken oder Wirbelsäule,
oder die gegen den Geist des Judo ist.
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Re: Judoverständnis

Beitrag von tutor! »

Makikomi Kid hat geschrieben:Jupp, auch heute sind Atemi laut Judo Regeln nicht verboten.

Im BJJ sind Atemi ausgeschlossen, im Judo nur Einzelfälle (wie Hiza Geri zur Armbefreiung).
Ich warte eigentlich nur darauf, dass jemand mal seinem Gegner hübsch eine zentriert. Macht irgendwie nur keiner.
Das ist doch Unsinn. Nach dem Judo-Reglement sind alle Handlungen verboten und werden mit Hansokumake-Make bestraft, die den Gegner verletzen können, insbesondere, wenn irgendetwas mit der Absicht, den Gegener zu verletzen, gemacht wird. Da das Ziel bei allen Schlag- und Trittechniken darin besteht, den Gegner zu verletzen, fallen sie unter diese Bestimmung. Minderschwere Fälle sollen aber nur mit Shido bestraft werden. Das von Dir genannte Beispiel des Griff lösens gehört dazu.

Da es aber auch Atemi-waza gibt, bei denen nicht geschlagen oder getreten sondern gedrückt wird, fallen diese nicht unter diese Regel. Allerdings darf z.B. das Gesicht des Gegners nicht angegriffen werden.
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