Sen, Sen-sen-no-sen, Go-no-sen usw.

Hier geht es um einzelne Begriffe und deren wörtliche Übersetzung bzw. deren Bedeutung in verschiedenen Zusammenhängen.
Wilf Mücke
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Re: Sen, Sen-sen-no-sen, Go-no-sen usw.

Beitrag von Wilf Mücke »

Ich möchte auch als (Jûdô-)Laie zum Thema doch ein, zwei Dinge anmerken:
tutor! hat geschrieben:[...] das, was Lowry hier schreibt [ist] aus meiner Sicht nicht mehr als das kleine 1x1 (wenn überhaupt)... Dass es
zu einer Kampfführung gehört, den Gegner zu bestimmten (Angriffs-)Handlungen zu verleiten und zu provozieren,
die ich dann ausnutzen kann und dass es dazu einer bestimmten Geisteshaltung bedarf,
ist doch nun wirklich trivial, oder überschätze ich jetzt den Durchschnittsjudoka?
Das kann durchaus sein, nur wäre dann ja auch Kanôs Einteilung eher trivial, denke ich.
Ich persönlich halte diese graue Theorie für recht banal, habe diese in ähnlicher Form
schon ab und an einmal als Erklärungsmodell herangezogen, ohne dass mir dass
jetzt großartig eingeflüstert worden wäre. Es sind recht interessante Ideen,
deren Problem aber eher in der praktischen Ausführung liegen dürften.

Bezüglich der Anwendung scheinst Du es ja sehr ähnlich zu sehen:
tutor! hat geschrieben:Die Frage der Anwendung ist aber eine schwierigere [...]
tutor! hat geschrieben:Im Rahmen eines Forums lassen sich Begriffe generell nur "theoretisch" klären. Für die Richtigkeit und Qualität
dieser Erläuterungen spielt es keine Rolle, ob der Erklärende die Dinge praktisch beherrscht,
früher einmal praktisch beherrscht hat oder seit Kindheit im Rollstuhl sitzt.
Eine in den Raum geworfene Theorie oder Idee kann man zunächst ebenso theoretisch erläutern,
da würde ich zustimmen. Schwierig wird es aber spätestens dann, wenn man sich uneinig ist
oder Jemand auch nur aus Unbedarftheit beginnt nachzuhaken - ab hier nämlich wird
lediglich ein die theoretisch dargebotenen Dinge auch praktisch Beherrschender
wirklich fundierte Antworten geben können, der Rest spekuliert nur herum.
Es gibt Wissen über Dinge und es gibt Wissen um (erfahrene) Dinge.
Kumamoto hat geschrieben:Im "Hagakure" steht zum Beispiel "Zuschauer sehen mehr als Spieler" - d.h. es ist mindestens
genauso wichtig, einen Aktiven aus der Zuschauerrolle zu beurteilen, als selbst aktiv zu sein.
Der Verfasser des Hagakure war ja auch eher ZUschauer, klar, dass er parteiisch ist.:D
Das Werk zeigt vielleicht einen gewissen Zeitgeist auf, ist aber auch recht fragwürdig.
Die übergroße Betonung des Sehens vergisst m.A.n. auch zu sehr das direkte Spüren.
Kumamoto hat geschrieben:Im Grunde spielt die Unterscheidung nur für die Kata eine Rolle - ob ein Angriff jetzt vor, nach oder während
der Aktion des Partners erfolgt, ist im Ergebnis egal und m.M. im Shiai / Randori nicht wichtig.
??? Je nach Technik und Stil sind das ganz elementare Kernpunkte.
Helge Bartelt hat geschrieben:so ist das nun einmal. Jede Übersetzung (als Übertragung) ist immer eine Bearbeitung, also schon der
eigenen Interpretation anheimgefallen - aber hochspannend, spiegelt sie doch auch und wesentlich den
damaligen Zeitgeist sowie die Meriten und sprachlichen Vorlieben... des Übersetzers, des Editors... wider.
Vielleicht ist die Übertragung eines historischen Textes auch mehr eine Rekonstruktion als eine
direkte Übersetzung. mmmh :dontknow .
Die Kunst des Übersetzens ist es wohl, so genau wie nur irgend möglich zu übersetzen und dann
lediglich dort einzugreifen, wo es völlig unrund klingt oder man auch Ergebnisse erhält, die es so
in der Zielsprache eigentlich nicht geben kann (z.B. "Es regnet Katzen und Hunde." statt unseres
"Es gießt in Strömen."). Mitunter belässt man den "Fehler" und setzt einfach eine kleine Fußnote.

Im Japanischen haben wir ja sogar bei noch unübersetzten Begriffen schon ein Problem, siehe das hier im Thema
m Musashitext erwähnte "Heihô", welches genausogut "Hyôhô" hätte geschrieben/gesprochen werden können.
Bezüglich z.B. einer Kampfkunsttradition aber wird die Aussprache ganz eindeutig festgelegt worden sein
durch Ausübende/Gründer des entsprechenden Stils, da geht nicht beides, wie man gerade so lustig ist.

Leider lässt sich ein Problem ne 100%g auflösen: es gibt für einzelne Worte oft mehrere Entsprechungen
in einer zweiten Sprache und manchmal trifft die eine, manchmal die andere es besser. Daher spielt ja
auch der Übersetzer eine wesentliche Rolle bei der zu wählenden Fassung, die man nutzen möchte.
Auch bei meinem Textfragment handelt es sich um eine zeitgemäße Übersetzung (1. Aufl. 2006, 2. Aufl.2008),
die bestimmt (wenn ich mich nicht irre) von Guido Keller überarbeitet wurde.
Bücher, auf denen auch nur ganz kleingedruckt der Name Guido Keller steht, sollte man schnell entsorgen,
sofern es um jap. Texte geht. Der Mann lebt zwar gerne seine Zen-Romantik aus, sieht sie wie weiße Mäuse
überall, wird aber weder von in Japan lebenden Deutschen (u.a. da er jap. Autoren nur anhand von englischspr.
Übersetzungen bewerten zu können behauptet, auch ohne die jap. Originale überhaupt lesen zu können usw.),
noch von Japanologen auch nur ansatzweise ernstgenommen - im Gegenteil, er macht deren Arbeit zunichte.

Er hat selbst öffentlich zugegeben, dass es ihm nur um eine heute nahezubringende Idee geht
(wie gesagt, v.a. die Zen-Idee), ein Übersetzer sich selbst verwirklichen möchte (z.B. Texttuning)
und er als Zenpraktizierender ja sowieso mehr über Budô weiß, als die "zenlosen" Kampfkünstler.

Um ein Uni-Sprichwort bezüglich Wikipedia mal umzudeuten:
"Herr Guido Keller wird nicht als zitierfähige Quelle akzeptiert."
HBt.

Lesebücher (Trivialliteratur)

Beitrag von HBt. »

Hallo Wilf,
in meinem Regal stehen gleich mehrere Exemplare aus dem Piper-Verlag, z.B.:
Karate-Do, Gichin Funakoshi... aus dem Amerikanischen von Guido Keller

Okugisho, Yamamoto Kansuke... aus dem Japanischen von Taro Yamada,
unter Mitarbeit von Guido Keller

Hagakure, Tsunetomo Yamamoto... ins Englische übersetzt von Takao Mukoh.
Herausgegeben und aus dem Englischen übersetzt von Guido Keller

Das Buch der Fünf Ringe, Miyamoto Musashi... aus dem Japanischen von Taro Yamada (..)
Beim letztgenannten Büchlein fehlt aber jeder Hinweis auf Herrn Guido Keller.

Gruß,
Helge
Wilf Mücke
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Re: Sen, Sen-sen-no-sen, Go-no-sen usw.

Beitrag von Wilf Mücke »

Zum Karate-Dô kann ich nichts sagen, habe da (hoffentlich)
eine andere Übersetzung - liegt hier ewig rum und zum
Übersetzer finde ich jetzt auf die Schnelle nichts.

Das Okugisho ist bereits im jap. jahrhundertealten Original eine Art
"Fälschung", die einfach dem damaligen Zeitgeist Rechnung trug.;)
Die Feinheiten lasse ich einmal weg, das Offensichtlichste sind aber
die diversen Zeichnungen, die Männer in chinesischer Tracht zeigen.

Herr Guido Keller hat nach eigenen Angaben bestimmte Textstellen der englischen Übersetzung
bewusst weggelassen, da er sie für die heutige Zeit für bereits überholt und veraltet hält.
Da die meisten (immer noch alle???) Übersetzungen eh nur Teilübersetzungen sind,
wiegt solch ein sowieso sehr fragwürdiges Kürzen natürlich umso schwerer.
[Nachtrag: der vorstehende Absatz bezieht sich auf das Hagakure]

Bezüglich des Musashibuches kann ich Dir mittels einer
Unterseite von Herrn Kellers eigenem Verlag aushelfen:
http://www.angkor-verlag.de/html/musashi.html

Um sich ein eigenes Bild über Guido Keller zu machen und Empfehlungen
zu Musashi zu erhalten, empfehle ich das folgende Thema ab der
verlinkten Seite (dort ab den letzten 2 Beiträgen) zu lesen:
http://www.embjapan.de/forum/hagakure-t2064-s132.html
Zuletzt geändert von Wilf Mücke am 31.10.2010, 17:40, insgesamt 1-mal geändert.
HBt.

Re: Sen, Sen-sen-no-sen, Go-no-sen usw.

Beitrag von HBt. »

Danke Wilf,
damit scheidet jeder Bezug und Quellenhinweis zu Musashis Werk, "Das Buch der fünf Ringe (Girin no sho)", als seriöse Quelle aus.

Es bleibt der Text von 'Dave Lowry - Traditions' stehen, Musashi brachte tutor! ins Spiel ;). Der Faden ist erschöpft.
tutor!
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Re: Sen, Sen-sen-no-sen, Go-no-sen usw.

Beitrag von tutor! »

HBt. hat geschrieben:damit scheidet jeder Bezug und Quellenhinweis zu Musashis Werk, "Das Buch der fünf Ringe (Girin no sho)", als seriöse Quelle aus.
Es bleibt der Text von 'Dave Lowry - Traditions' stehen, Musashi brachte tutor! ins Spiel ;).
Jeder Text, bei dem es nicht um Judo geht, scheidet in aller Regel als Quelle aus, wenn man Definitionen aus der Judofachsprache wiedergeben will - und um nichts anderes ging es hier in diesem Faden (http://www.dasjudoforum.de/forum/viewto ... 128#p50128). Meine Quellen dazu habe ich ja benannt:
tutor hat geschrieben:(vgl: Otaki/Draeger, Daigo (der Otaki und Nagaoka zitiert), Ishikawa/Draeger)
Alles andere war nur ein Hinweis, dass es Analoges auch in anderen Kampfkünsten gibt:
tutor hat geschrieben:Die Konzepte und Begriffe tauchen auch in anderen Kampfkünsten auf und sind - wenn ich nich nicht irre - sogar schon bei Musashi beschrieben.
I founded a new system for physical culture and mental training as well as for winning contests. I called this "Kodokan Judo",(J. Kano 1898)
Techniques are only the words of the language judo (Cichorei Kano, 24.12.2008)
pmhausen

Re: Sen, Sen-sen-no-sen, Go-no-sen usw.

Beitrag von pmhausen »

HBt. hat geschrieben: damit scheidet jeder Bezug und Quellenhinweis zu Musashis Werk, "Das Buch der fünf Ringe (Girin no sho)", als seriöse Quelle aus.
Weshalb? Wegen einer komischen Übersetzung? Die anderen Links von Wilf beziehen sich auf das Hagakure, nicht auf das Gorin No Sho.

Was habe ich jetzt übersehen, das Musashi derart diskreditiert?

Gruß,
Patrick
Wilf Mücke
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Re: Sen, Sen-sen-no-sen, Go-no-sen usw.

Beitrag von Wilf Mücke »

Hallo Patrick,

soweit ich es verstand, meinte Helge speziell die Bücher
in seinem Regal, auf welche ich mich ja ganz konkret bezog.
Ich habe diese bis auf das Karate-Dô der Reihe nach abgehandelt.

Der letzte Link in meinem vorigen Beitrag bezieht sich sowohl auf Musashi
(die erwähnten "letzten 2 Beiträge" auf der verlinkten Seite),
als auch auf's Hagakure & Guido Kellers Sichtweisen.

Um sich noch einmal speziell mit Musashi auseinanderzusetzen,
empfehle ich das Lesen dieser Diskussion, in welcher u.a. auch
über die Güte verschiedener Übersetzungen gesprochen wurde:
http://www.kampfkunst-board.info/forum/ ... ho-117994/
Dort sollte man durchaus auch eine zitierfähige Ausgabe finden.

Gruß, Wilf Mücke
HBt.

Re: Sen, Sen-sen-no-sen, Go-no-sen usw.

Beitrag von HBt. »

Der Vollständigkeit halber, hier noch das fehlende Zitat:

ISHIKAWA / DRAEGER
Seite 89 - 90, Judo training methods, ISBN 0-8048-3210-2
Timing an attack is an important consideration in training (Chapter 3, page 40).
Success in contest is dependent upon the best application of our technical skill and strength and mental power. Mental power in the form of what is referred to as Sen (Initiative), serves as the nexus between our physical abilities and the contest result. If we fail to secure some form of initiative, victory is impossible. Initiative is classified in several ways such as Go no Sen (Defensive Initiative) the lowest form in which the opponent who is applying an attack is countered by our appropriate action. A middle form of initiative is Sen itself which enables us to apply an attack against the moving opponent who is just beginning to place his attack. The highest form of initiative is manifested in the Sen-sen no sen (superior initiative) which allows us to master the opponent before he can attack. The various forms of initiative are strictly matters of timing. (..)
HBt.

Miyamoto Musashi - Das Buch der fünf Ringe

Beitrag von HBt. »

Und noch eine aktuelle Übersetzung, bzw. Bearbeitung von Gitta Peyn und Ralf Löffler, zum Vergleichen!

Gorin no Sho,
Kapitel 3, das Feuer-Buch
Seite 79 - 81, ISBN 978-3-940185-02-0 hat geschrieben: Die drei Methoden, dem Feind zuvorzukommen

Die erste besteht darin, ihm durch Angriff zuvorzukommen. Dies nennt man Ken no Sen.
Eine andere Methode besteht darin, ihm zuvorzukommen, sobald er angreift. Dies nennt man Tai no Sen.
Eine weitere Methode lässt sich anwenden, wenn Du und der Feind gleichzeitig angreifen. Das nennt man Tai Tai no Sen.
Es gibt keine anderen Methoden, die Führung zu übernehmen, als diese drei. Weil Du schnell gewinnen kannst, indem Du die Führung übernimmst, ist dies eines der wichtigsten Dinge in der Kriegskunst. Um die Führung zu übernehmen, ist mehreres erforderlich. Du musst das Beste aus der Situation machen, den Geist des Feindes durchschauen, so dass Du seine Strategie erfassen und ihn schlagen kannst. Es ist unmöglich, hierüber im Detail zu schreiben.

Ken no Sen – ihn hinstellen, ihn aufstellen, ihn vorführen, ihn reinlegen,...
Tai no Sen – auf die Initiative warten
Tai Tai no Sen – ihn begleiten und ihm zuvorkommen



Ken no Sen
Wenn Du Dich entscheidest anzugreifen, bleibe ruhig und wirf Dich schnell hinein, dem Feind zuvorkommend. Oder aber Du drängst scheinbar stark vor, jedoch mit einem zurückhaltenden Geist, um ihm dann mit der Reserve zuvorzukommen.
Alternativ rücke so stark wie nur möglich vor, und wenn Du den Feind erreichst, bewege Dich mit den Füßen ein wenig schneller als normal, ihn aus dem Gleichgewicht bringend und plötzlich überwältigend.
Oder greife ruhigen Geistes an, mit einem Empfinden, ihn konstant, immer mehr und immer mehr und letztlich vollständig zu zerquetschen. Die geistige Haltung ist die, in den Tiefen des Feindes zu gewinnen.
Diese alle sind Ken no Sen.

Tai no Sen
Wenn der Feind angreift, bleibe innerlich unbeeindruckt, aber täusche Schwäche vor. Sobald der Feind Dich erreicht, bewege Dich plötzlich weg, als würdest Du beabsichtigen, zur Seite zu springen, dann, sobald Du siehst wie der Feind sich entspannt, dringe vehement angreifend sofort auf ihn ein. Das ist ein Weg.
Oder, wenn der Feind angreift, greife stärker an, nutze den Vorteil aus der resultierenden Unordnung in seinem Timing, um zu gewinnen.
Dies ist das Tai no Sen Prinzip.

Tai Tai no Sen
Wenn der Feind einen schnellen Angriff startet, musst Du stark und ruhig angreifen. Ziele, sobald er nah genug kommt, auf seine Schwachstelle und schlage in stark.
Oder, wenn der Feind ruhig angreift, beobachte seine Bewegung und falle mit Deinen eher fließenden Körperbewegungen in Einklang mit seinen Bewegungen, während er näher kommt. Bewege Dich schnell und schneide ihn hart.
Dies ist Tai Tai no Sen.

Diese Angelegenheiten können in Worten nicht klar erläutert werden. Du musst erforschen, was hier aufgeschrieben wurde. Du musst die Situation hinsichtlich dieser drei Wege des Zuvorkommens beurteilen. Das bedeutet nicht, dass Du immer zuerst angreifst. Jedoch, wenn der Feind zuerst angreift, kannst Du ihn führen. In der Kriegskunst hast Du genau dann gewonnen, wenn Du dem Feind zuvorkommst, also musst Du darauf hintrainieren dies zu erreichen.
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