Bewertungskriterium Geschwindigkeit bei Katameisterschaften

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Yurei
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Bewertungskriterium Geschwindigkeit bei Katameisterschaften

Beitrag von Yurei »

Eine interessante Frage, die mir ein Paar nach der letzten Deutschen Katameisterschaft gestellt hat, war die folgende:

"Was wäre passiert, hätten wir die Kata in Zeitlupe gemacht und alle Techniken richtig gemacht? Hätten wir dann 510 Punkte bekommen?"

510 Punkte deshalb, weil mit Sicherheit jeder Wertungsrichter 10 Punkte für den Gesamteindruck aufgrund der mangelnden Geschwindigkeit abgezogen hätte.
Diese Frage beschäftigt mich nun schon eine ganze Weile. Beim Überfliegen der IJF-Bewertungskriterien von 2010 konnte ich in den allgemeinen Fehlern bei Nage-no-Kata und Katame-no-Kata nur folgendes finden:

"Effectiveness and realism - Medium"

Eine weitere Interpretation dazu findet man nicht. Meine persönliche Interpretation dazu ist folgende: Eine Technik bleibt realistisch, wenn ihre physikalischen Wirkungsprinzipien nicht eingeschränkt sind. Dass heißt ein Hebel wirkt auch, wenn er langsam angesetzt ist und der Impuls niedrig ist, der Druck aber erhöht wird. Dies erfordert zwar mehr Kraftaufwand, aber realistisch bleibt die Technik trotzdem. Die Frage, die übrig bleibt, ist die nach der Effektivität. Effektiv bedeutet schließlich so wenig Energie und somit so wenig wie möglich Kraft einzusetzen. Schaut man aber jetzt die Top-Kata-Paare an, so wird man sehen, dass selbst bei diesen immer noch vieles mit Kraft kompensiert wird. Bei den Paaren im Mittelfeld müsste also dann beinahe schon bei jeder Technik ein mittlerer Fehler wegen zu hohem Kraftaufwand PRO Technik angesetzt werden.
Dies ist natürlich nicht der Fall, was wohl auch daran liegt, dass ein Wertungsrichter von außen nicht bei jeder Technik den benötigten Kraftaufwand nur durchs Zusehen erkennen kann.

Wenn also der Realismus wie oben argumentiert nicht verloren geht und die Effektivität sprich der Kraftaufwand von außen nicht richtig bewertet werden kann, was macht man dann mit einem Paar, welches in Zeitlupe seine Kata demonstriert?

Interessant ist auch ein Passus bei der Ju-no-Kata: "Decision, effectiveness and realism - Medium"
Somit finden wir die beiden gleichen Bedingungen "Effektivität" und "Realismus" in der Ju-no-Kata, auch wenn alles hier viel langsamer ist.

Für mich bedeutet das also, dass ich Nage-no-Kata und Katame-no-Kata in der gleichen Geschwindigkeit wie Ju-no-Kata machen kann und mir keine Punkte abgezogen werden dürfen...!!!

Ich bin gespannt was ihr für Ideen Ideen dazu habt :)

PS: Im Übrigen kam diese Frage bei den beiden auf, weil sie ihre Platzierung an der Deutschen nicht verstanden habe. Unwahrscheinlich, dass sie überhaupt nochmal hinfahren werden...
tutor!
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Re: Bewertungskriterium Geschwindigkeit bei Katameisterschaf

Beitrag von tutor! »

Zu Realismus und Effektivität gehört immer ein Mindestmaß an Dynamik. Ist dieses Mindestmaß nicht gegeben, gibt es mittlere Fehler, auch wenn die Technik als solche "richtig" ist (in dem Sinne, dass keine weiteren Fehler enthalten sind). Vor allem fehlender Realismus ist ja unbestreitbar ein Fehler....

Da Ju-no-Kata von vorne herein in moderatem Tempo gemacht wird, ist das Mindestmaß an Dynamik relativ gering, wenn ein Paar es aber übertreibt und keine Kraftwirkungen (d.h. Realismus) mehr erkennbar ist, sollen auch mittlere Fehler gegeben werden.

Fehlende Dynamik bei Kime-no-Kata und Kodokan-Goshinjutsu sind das vielleicht größte Problem deutscher Paare. SV gegen Zeitlupenangriffe ist ja nicht gerade sinnvoll.... Realismus meint hier, dass die Angriffe realistisch sein sollen - in realistischem Tempo und auch treffen sollen.

Nicht ganz so ausgeprägt ist es bei Nage- und Katame-no-Kata. Aber auch hier gilt: wer zu wenig dynamisch ist - also Zeitlupenjudo anbietet - bekommt einen mittleren Fehler. Realismus und Effektivität heißt aber nicht nur Dynamik, sondern auch, dass Uke z.B. nicht mitspringt - unabhängig vom Tempo. Bei Katame-no-Kata sind Befreiungsversuche nicht realistisch, wenn sie nicht Tori zu einer Reaktion zwingen.

Deutsche Paare tendieren häufig zu eher langsam-demonstrativ, internationale Paare eher zu dynamisch-explosiv. Aus diesem Grund gibt es nur wenig deutsche Paare, die international wirklich konkurrenzfähig sind.

Dass die meisten Leute nicht verstehen, warum sie bei Katameisterschaften nicht gewonnen haben, kommt immer wieder vor. Man sieht die Fehler der anderen, aber nicht die eigenen. Dann fühlt man sich ungerecht behandelt. Das kommt sogar bei korrekten Wertungen vor.

Es gibt aber auch vollkommen unverständliche Entscheidungen. Ich weiß z.B. von einem Fall, wo ein Wertungsrichter bei einer WM zu einem ihm vorher vollkommen unbekannten Paar gegangen ist und sich für das Resultat entschuldigt hat - die anderen Wertungsrichter hätten seiner Meinung nach vollkommen unverständlich gewertet. Oder hier: http://www.judo-rheinland.de/nachricht.php?nwid=1954
I founded a new system for physical culture and mental training as well as for winning contests. I called this "Kodokan Judo",(J. Kano 1898)
Techniques are only the words of the language judo (Cichorei Kano, 24.12.2008)
katana
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Re: Bewertungskriterium Geschwindigkeit bei Katameisterschaf

Beitrag von katana »

Tja, wenn man gewohnt ist im deutschen Klüngel immer auf dem Treppchen zu stehen (egal mit welcher Leistung),
dann ist man schon doll überrascht, daß das andernorts wohl genauso gemacht wird. :crybaby

Was übrigens bereits seit Jahren ein Kritikpunkt an der DKM ist und viele Akteure davon abhält dort
zu starten.

Zu Trainingszwecken (wozu Kata an sich da ist) ist Zeitlupe eine hervorragende Idee, ... speed comes with practice...
Allerdings ist das Ziel natürlich irgendwann die ultimative Technik ... Schnelligkeit, Dynamik, und Kontrolle.
Sprich symbolisch "IPPON".
KK
HBt.

Re: Bewertungskriterium Geschwindigkeit bei Katameisterschaf

Beitrag von HBt. »

katana hat geschrieben: Was übrigens bereits seit Jahren ein Kritikpunkt an der DKM ist und viele Akteure davon abhält dort
zu starten.
Wer mit einer Konkurrenzeinstellung (mit dem unbedingten Ziel einer Platzierung) an einer DKM teilnimmt, ist dort in meinen Augen nicht
gut aufgehoben.

Es ist vielmehr ein TEST, ein Test für mich, meinen Partner/In und meine Fähigkeiten unter Stressbedingungen (viele Augen, öffentliches Publikum, andere Athleten ...) innere Ruhe zu finden, um eine (für mich, an diesem Tag) perfekte KATA zu laufen* (ein flow eben) - andere (alternative) Rahmenbedingungen, mit anderer Anspannung (quasi shinken, wenn man so will!?) ...

Kurz zusammengefasst:
Meine Einstellung war nie eine vordere Platzierung zu erzielen, sondern eine Leistung unter nicht alltäglichen TRAININGSBEDINGUNGEN abzurufen - einen ganzen Tag' tolles Judo sehen.

Übertriebenes Zeitlupenspiel hat mich immer abgestoßen, ohne Dynamik u. Effizienz fehlt eben das Wesentlichste. Aber auch diese Bemerkung, diesen Gedanken muss man differenzieren ;).


Gruß,
HBt.


*laufen deshalb, weil ich nicht demonstrieren schreiben möchte. Das Verb demonstrieren trifft den Kern nicht umfassend genug.
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