Prüfungsordnungen DJB und KJK

Hier geht es um Fragen und Inhalte zu den Kyu und Dan Prüfungen
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kastow
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Prüfungsordnungen DJB und KJK

Beitrag von kastow »

Hallo,

da dieses Thema im Gokyo-Faden fremd wäre, führe ich es hier fort:
tutor!, 13.11.2008, 09:41
kastow hat geschrieben:
Während in der KJK die frühe SV-Fähigkeit vorrangig ist, legt der DJB Wert darauf, schnell gute Wettkämpfende zu produzieren.
Wirklich? Wurde denn z.B. in Deiner ÜL-Ausbildung über Wettkämpfe gesprochen? Gerade NRW macht keine direkte "Trainer-C-Leistungssport"-Ausbildung (der frühere "Trainer-C") mehr, sondern für alle verpflichtend den "Trainer-C-Breitensport" (früher "Übungsleiter F").

Außerdem wurden im Kinder- und Jugendbereich die Startanzahl begrenzt, wobei Peter Frese sogar alle Wettkämpfe in der U11 abschaffen wollte.
Meine obige Aussage war durchaus positiv gemeint. In der ÜL-Ausbildung wurde mir beigebracht, wie ich Techniken effektiv unterrichte - sprich: mittels methodischem Handwerkszeug können meine Schülerinnen und Schüler die Techniken in der schnellstmöglichen Zeit bestmöglich erlernen. Aber:
Quelle: Multiplikatorenskript zur Kyu-PO, Seite 15
Der Kerngedanke unserer Judoausbildung ist das moderne Technikverständnis:
Judotechniken sind kein Selbstzweck!
Sie sind bewährte Lösungen einer Kampfsituation, mit dem Ziel, den Gegner gegen dessen Widerstand mit Ippon zu besiegen.
Diese besagte Kampfsituation ist also immer eine wettkämpferische, auch wenn die Unterrichteten vielleicht nie einen Wettkampf besuchen und ihre Techniken maximal im Vereinsrandori anwenden.

Andererseits schließen die sinnvollen Situationen - zumindest laut Aussage meines ehemaligen KDV - ausdrücklich SV-Situationen aus. Natürlich verbietet mir niemand, trotzdem SV im DJB zu unterrichten. Ich persönlich bedauere es aber, dass z.B. meine Ü30-Anfängerinnen, die wohl nicht mehr ins Wettkampfgeschehen einsteigen werden, nicht auch in der Prüfung diese SV-Situationen demonstrieren dürfen, wenn sie den Anwendungsaufgaben eindeutig genüge täten. Dazu wäre nicht einmal ein eigenes Prüfungsfach nötig.

Zwei Beispiele, die beliebig erweitert werden könnten:
Anwendung siebter Kyu: Uke schiebt, Tori wirft Seoi-otoshi. Mögliche SV: Uke würgt Tori und schiebt ihn dabei. Tori wirft Seoi-otoshi.
Anwendung erster Kyu: Soto-maki-komi kann sinnvoll gegen einen versuchten Doppelnelson von hinten genutzt werden.

Darum sage ich, dass die PO im DJB wettkampfbezogener und in der KJK SV-bezogener ist - ausdrücklich ohne diesen Verhalt zu bewerten. Es möge jeder nach seiner Facon seelig werden.
Herzliche Grüße,

kastow

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Re: Prüfungsordnungen DJB und KJK

Beitrag von Jupp »

Lieber Kastow,

die im Multiplikatorenskript gemacht Aussage "Judotechniken sind kein Selbstzweck!
Sie sind bewährte Lösungen einer Kampfsituation, mit dem Ziel, den Gegner gegen dessen Widerstand mit Ippon zu besiegen" ist auch nach meiner Auffassung zu eng verstanden und formuliert worden.

Nach meinem Judoverständnis sind Judotechniken
- kein Selbstzweck
- Lösungen von Kampfsituationen
- mit dem Ziel, einen Gegner zu besiegen

Dies können - genau wie Du es siehst - durchaus auch SV-Situationen sein, auch wenn dies in den Kyu-Prüfungsrichtlinien so nicht formuliert ist und auch in meinen Büchern so nicht dargestellt wird.

Es ist eigentlich ein Diskussion, die nichts mit Prüfungsordnungen, sondern mit einem bestimmten Technikverständnis zu tun hat. Ich vertrete ein offenes Technikverständnis bei dem der Grundsatz "form follows function" von elementarer Bedeutung ist.
Damit ist im Wesentlichen gemeint, dass das Aussehen der Technik von der Anwendungsfunktion abhängt. Dies impliziert aber eben auch, dass die Anwendung von Judotechniken durchaus unterschiedliche Funktionen haben kann, z.B. in einem Judowettkampf, einer SV-Situation oder einer Zeitlupendemo und das diese Aufgabe dann auch die äußere Erscheinung (Form) der Technik verändert.

So weit erst einmal, vielleicht bei Bedarf später mehr.

Jupp
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Re: Prüfungsordnungen DJB und KJK

Beitrag von tutor! »

kastow hat geschrieben:
Quelle: Multiplikatorenskript zur Kyu-PO, Seite 15
Der Kerngedanke unserer Judoausbildung ist das moderne Technikverständnis:
Judotechniken sind kein Selbstzweck!
Sie sind bewährte Lösungen einer Kampfsituation, mit dem Ziel, den Gegner gegen dessen Widerstand mit Ippon zu besiegen.
Diese besagte Kampfsituation ist also immer eine wettkämpferische, auch wenn die Unterrichteten vielleicht nie einen Wettkampf besuchen und ihre Techniken maximal im Vereinsrandori anwenden.

Andererseits schließen die sinnvollen Situationen - zumindest laut Aussage meines ehemaligen KDV - ausdrücklich SV-Situationen aus. Natürlich verbietet mir niemand, trotzdem SV im DJB zu unterrichten. Ich persönlich bedauere es aber, dass z.B. meine Ü30-Anfängerinnen, die wohl nicht mehr ins Wettkampfgeschehen einsteigen werden, nicht auch in der Prüfung diese SV-Situationen demonstrieren dürfen, wenn sie den Anwendungsaufgaben eindeutig genüge täten.
Nun, was ich von Deinem ehemaligen KDV halte, weißt Du. Das mit dem Ippon im Multiplikatorenscript war nicht so gedacht, dass das Ziel der Wettkampf ist, sondern es war eher als eine Art Qualitätsanforderung gemeint. Aber Jupp, der ja in der Kommission mitgearbeitet hat, merkte ja selbst an, dass ihm diese Definition nicht weit genug ging. Nicht immer darf man das, was am Ende formuliert wird, auch auf die Goldwaage legen, aber manchmal wünsche ich mir auch mehr Sorgfalt bei den Formulierungen. :(
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Fritz
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Re: Prüfungsordnungen DJB und KJK

Beitrag von Fritz »

Zwei Beispiele, die beliebig erweitert werden könnten:
Anwendung siebter Kyu: Uke schiebt, Tori wirft Seoi-otoshi. Mögliche SV: Uke würgt Tori und schiebt ihn dabei. Tori wirft Seoi-otoshi.
Anwendung erster Kyu: Soto-maki-komi kann sinnvoll gegen einen versuchten Doppelnelson von hinten genutzt werden.
Ist meiner Meinung nach aber auch noch nicht der richtige der Ansatz und führt zu
falsch verstandener SV...
Die unteren Kyu sollten durchaus die Grundlagen in der
Richtung was mache bei schiebendem / ziehendem Gegner usw. beinhalten.
Möchte ich es SV bezogen haben, dann hat der Gegner eben keinen Kimono an, sondern
ein T-Shirt oder ähnliches.
Weiterhin sollte in der Grundform der Würfe klar das Kuzushi
herausgearbeitet sein, hier sind die von Tom gelehrten Eingänge und Technikausführung sehr
hilfreich...
Willst Du es SV bezogen haben, dann könnte eben auch Atemi- / Druckpunkttechniken
zum Erzeugen des Kuzushi eingesetzt werden.

Die höheren Kyu sollten dann anstelle von - oder als Ergänzung zu - den Wettkampf-Randoris
SV-Randoris zeigen. Evt. sollte dann aber für die Angreifer über
geeignete Schutzkleidung nachgedacht werden...
Mit freundlichem Gruß

Fritz
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kastow
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Re: Prüfungsordnungen DJB und KJK

Beitrag von kastow »

Fritz, Verfasst: 13.11.2008, 23:51
Ist meiner Meinung nach aber auch noch nicht der richtige der Ansatz und führt zu
falsch verstandener SV...
Wenn du dich auf die PO als (un-)heimlichen Lehrplan beschränkst sicherlich. ;)
Es waren - wie gesagt - kurze Beispiele um das Thema nicht zu sprengen. Sonst hätte ich den Beitrag ins hiesige Selbstverteidigungsforum setzen müssen.

Aber mir geht es in diesem Faden darum, die Unterschiede (und auch Gemeinsamkeiten) zwischen KJK und DJB - möglichst ohne Grabenkämpfe - darzustellen.
Herzliche Grüße,

kastow

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Re: Prüfungsordnungen DJB und KJK

Beitrag von tutor! »

kastow hat geschrieben:Aber mir geht es in diesem Faden darum, die Unterschiede (und auch Gemeinsamkeiten) zwischen KJK und DJB - möglichst ohne Grabenkämpfe - darzustellen.
Auf der rein technischen Ebene ließe sich dies sicherlich zusammenführen, nicht aber vom grundsätzlichen Ansatz. Denn das KJK sieht sich - wie wir immer wieder lesen konnten - als Kampfkunst (oder besser als "Kriegskunst"?) mit militärisch-hierarchischer Binnen-Struktur, die durch das Graduierungssystem abgebildet wird.

Das ist gänzlich inkompatibel mit den Vorstellungen im DJB (und insbesondere mit meinen persönlichen!), wo gerade keine Hierarchie zwischen unterschiedlich Graduierten besteht / aufgebaut wird.

Historisch gesehen steht das KJK damit tatsächlich in der Tradition des alten Japan - dem kann niemand, der über ausreichende historische Kenntnisse verfügt, widersprechen.

Auf der anderen Seite weiß auch jeder mit entsprechenden historischen Kenntnissen, dass zumindest der späte Jigoro Kano ein vollkommen anderes Menschenbild, ein anderes Erziehungsideal und vollkommen andere politische Ideale hatte, als das in den 30er Jahren endgültig ins ultranationalistische abgedriftete und militärisch gegenüber seinen Nachbarn äußerst aggressive Japan.

Wer das moderne Japan kennt, der weiß auch, wie schwer sich die japanische Gesellschaft mit der Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit tut (z.B. der Schulbuchstreit mit China um das Massaker von Nanking). In diesem Sinn, bin ich froh, dass der Kodokan, wenn möglicherweise auch nicht ganz freiwillig, die Wandlung von der Kriegskunst Judo zum Sport-Judo - mit allen seinen Facetten, zu denen auch Erziehung und Selbstverteidigung gehören - vollzogen hat.
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Fritz
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Re: Prüfungsordnungen DJB und KJK

Beitrag von Fritz »

Das ist gänzlich inkompatibel mit den Vorstellungen im DJB (und insbesondere mit meinen persönlichen!), wo gerade keine Hierarchie zwischen unterschiedlich Graduierten besteht / aufgebaut wird.
Natürlich gibt es diese Hierarchien auch bei uns im DJB.

Es gibt die Leute mit den "Bahnschranken"-Gürteln, die in Kommissionen sitzen, welche sich
z.B. Änderungen der PO ausdenken. Was dort drin steht, wird von Leuten mit
der Prüferlizenz (für die ein Dan-Grad u. die Akzeptanz der entsprechenden PO Voraussetzung ist)
umgesetzt, Leute, die diese bunten regenbogenfarbenen Gürtel haben möchten (und später dann auch
diese schönen schwarzen) , stellen sich einer Prüfung durch die o.g. Prüfer.
Also ich erkenne da eine schon eine graduierungsbezogene Hierarchie...

Genauso wie beim täglichen Training: Meist ist der Trainer ein Schwarzgurt-Inhaber, er bestimmt,
was auf der Matte geschieht, oft wird er assistiert von einigen Inhabern der höheren Kyu.
Prinzipiell wird erwartet, daß Höhergraduierte Rücksicht auf die Niedergraduierten nehmen, diese beim Lernen
unterstützen usw. dafür wird von den Niedergraduierten erwartet, daß sie die Ratschläge der Höhergraduierten
beherzigen...

Was Du wahrscheinlich meinst, ist "Kadaver-Gehorsam", das ist in der Tat eine sehr üble Sache...
Aber so etwas konnte ich jedenfalls bei den KJK-Leuten bisher nicht entdecken, im Gegenteil, trotz
der Hierarchie schienen sie alle doch recht entspannt miteinander umzugehen...
Mit freundlichem Gruß

Fritz
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Re: Prüfungsordnungen DJB und KJK

Beitrag von tutor! »

Fritz hat geschrieben: Natürlich gibt es diese Hierarchien auch bei uns im DJB.
Meines Wissens gibt es für kein Wahlamt im DJB oder einem seiner Landesverbände eine Mindestgraduierung als Voraussetzung. Für einige Tätigkeiten und Funktionen - und da kann es doch keine andere Meinung geben - ist eine Mindestqualifikation erforderlich.

Mir geht es um den grundsätzlich anderen Ansatz einer Kampf-/Kriegskunst und einem Sportgedanken. Ersterer begründet eine Hierarchie im militärischen Sinn (analog einem militärischen Rang, vgl. dazu bitte: http://www.judo-preetz.de/Speakers/Respekt%20_SC.pdf), Letzterer ist ein "nur" ein sportlicher Qualifikationsnachweis.
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Re: Prüfungsordnungen DJB und KJK

Beitrag von judoka50 »

Meines Wissens gibt es für kein Wahlamt im DJB oder einem seiner Landesverbände eine Mindestgraduierung als Voraussetzung.
Wenn man das damalige DDK (NRW) bzw. das heutige NWDK damit einbezieht, kann ich dem nur zustimmen. Als ich in das Amt des KDV gewählt wurde, hatte ich noch den 1. Dan. Zu der Zeit gab es aber in unserem Kreis schon einige höher graduierte Dan Träger. (Bis 4.Dan).
Viele Grüße
U d o
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Re: Prüfungsordnungen DJB und KJK

Beitrag von kastow »

Jupp, Verfasst: 13.11.2008, 19:58
Dies können - genau wie Du es siehst - durchaus auch SV-Situationen sein, auch wenn dies in den Kyu-Prüfungsrichtlinien so nicht formuliert ist und auch in meinen Büchern so nicht dargestellt wird.

Es ist eigentlich ein Diskussion, die nichts mit Prüfungsordnungen, sondern mit einem bestimmten Technikverständnis zu tun hat. Ich vertrete ein offenes Technikverständnis bei dem der Grundsatz "form follows function" von elementarer Bedeutung ist.
Damit ist im Wesentlichen gemeint, dass das Aussehen der Technik von der Anwendungsfunktion abhängt. Dies impliziert aber eben auch, dass die Anwendung von Judotechniken durchaus unterschiedliche Funktionen haben kann, z.B. in einem Judowettkampf, einer SV-Situation oder einer Zeitlupendemo und das diese Aufgabe dann auch die äußere Erscheinung (Form) der Technik verändert.
tutor!, Verfasst: 13.11.2008, 22:27
Das mit dem Ippon im Multiplikatorenscript war nicht so gedacht, dass das Ziel der Wettkampf ist, sondern es war eher als eine Art Qualitätsanforderung gemeint. Aber Jupp, der ja in der Kommission mitgearbeitet hat, merkte ja selbst an, dass ihm diese Definition nicht weit genug ging. Nicht immer darf man das, was am Ende formuliert wird, auch auf die Goldwaage legen, aber manchmal wünsche ich mir auch mehr Sorgfalt bei den Formulierungen.
:D Eure persönliche Einstellung erfreut mich sehr.
Aber ich vermute, dass z.B. bei einer Danprüfung - selbst mit Berufung auf Ulrich Klocke und tutor - SV-Anwendungen nicht oder nur nach langer Diskussion akzeptiert würden.
In unserem Verein lade ich in meiner ÜL-Funktion den Prüfer selbst ein, da wäre die SV-Anwendung also nach Absprache möglich.
Herzliche Grüße,

kastow

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Re: Prüfungsordnungen DJB und KJK

Beitrag von tutor! »

kastow hat geschrieben: Aber ich vermute, dass z.B. bei einer Danprüfung - selbst mit Berufung auf Ulrich Klocke und tutor - SV-Anwendungen nicht oder nur nach langer Diskussion akzeptiert würden.
Die Berufung auf Ulli Klocke oder mich könnte da eher kontraproduktiv sein. 8) .

Die Diskussion dürfte etwas länger dauern und könnte schwierig werden, aber das stärkste Argument ist aus meiner Sicht, dass so lange es sogar reine SV-Kata im Dan-Prüfungsproramm gibt, niemand ernsthaft argumentieren könne, dass eine (halbwegs realistische) SV-Situation keine sinnvolle Situation/Bewegungsvorgabe für eine Wurftechnik sei. Ich würde jedenfalls so argumentieren und würde es auch selbst als Prüfer akzeptieren. Es sollte aber vor einer Prüfung geklärt sein - und nicht erst auf der Matte vor der Kommission.
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Re: Prüfungsordnungen DJB und KJK

Beitrag von st.gregor »

Und genau da:
In diesem Sinn, bin ich froh, dass der Kodokan, wenn möglicherweise auch nicht ganz freiwillig, die Wandlung von der Kriegskunst Judo zum Sport-Judo - mit allen seinen Facetten, zu denen auch Erziehung und Selbstverteidigung gehören - vollzogen hat.
liegt, glaube ich, einer der Hauptpunkte den wir unterschiedlich beurteilen. "Mit allen seinen Facetten" umfasst nämlich im Verständnis aller jener, die Sportjudo betreiben genau das, was der Bereich "Sportjudo" umfasst. Also: Keine Waffentechniken, kaum Atemi, kaum SV, weitgehende Reduzierung der Techniken auf jene, die nach den jeweils gültigen Regeln erlaubt sind, weglassen praktisch aller "wettkampffernen" Technikbereiche (z.B. verhebelte Würfe, Hantachi no waza) usw.
Zum Sport-Judo im Sinne des DJB gehören eben all diese Dinge nicht - oder, falls doch, wieso werden sie dann nicht gelehrt? (Richtig: Weil man sie weder im Wettkampf noch in der Prüfung braucht.) Aus unserer Sicht hat das heute praktizierte "offizielle" Judo einen großen Teil seiner Facetten eingebüßt, nicht unbedingt durch Verbot, aber doch durch intensive Vernachlässigung.

Allerdings: Wir können dies dem DJB im Grunde nicht zum Vorwurf machen, denn viele der "verlorenen" Inhalte können in einer Struktur, die sich als Sportverband definiert, gar nicht vermittelt werden (schon gar nicht, wenn die Mehrheit der Mitglieder im Alter zwischen 6 und 12 Jahren angesiedelt ist).
Der Unterschied zwischen "Kampfkunst" und "Kampfsport" ist für uns ein sehr realer und offensichtlicher, ebenso in der Art und dem Umfang der vermittelten Inhalte, in der Form der Vermittlung dieser Inhalte, in den Strukturen, im Lehrer-Schüler Verhältnis und in dem dahinterstehenden Menschenbild. Das alles wurde hier schon vielfach diskutiert und das Unverständnis für die jeweils andere Seite ist dabei offensichtlich nicht geringer geworden.
Und solange wir uns nicht sehr klar darüber werden, dass, wenn wir "Judo" sagen, etwas ganz anderes gemeint ist, als wenn ihr "Judo" sagt, solange werden wir wohl auch dazu kommen, an den (dennoch vorhandenen) Schnittbereichen unserer Judobegriffe nach Dingen zu suchen, mit denen beide etwas anfangen können.
Bleiben wir dabei, ihr macht euers, wir machen unseres, wir alle machen Judo und am Ende fressen uns alle die Würmer, ohne Unterschied...

Mahlzeit,

Stephan
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Re: Prüfungsordnungen DJB und KJK

Beitrag von Jupp »

Absolut einverstanden!

Und wenn dann auch noch beide Seiten aufhören, der jeweils anderen vorzuhalten, dass das, was sie machen eben kein authentisches/richtiges Kodokan-Judo sei, dann kann man vielleicht anfangen, sich an den "Schnittmengen" zu verständigen und wechselseitig feststellen, dass jeder in seinem "Fach" fachkompetent - wenn auch anders - ist.

Jupp
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Re: Prüfungsordnungen DJB und KJK

Beitrag von tutor! »

Letztlich bleibt für mich das der große Unterschied:
st.gregor hat geschrieben:im Lehrer-Schüler Verhältnis und in dem dahinterstehenden Menschenbild.
Inhalte - im Sinne von Techniken - haben damit eigentlich gar nichts zu tun, denn die von Euch immer wieder erwähnten Techniken finden sich in den verschiedenen - im weitesten Sinne - "versportlichten" anderen Budo-Disziplinen wie z.B. Kendo. Anderes wurde in der Tat vernachlässigt und Ihr weist zu Recht darauf hin. In einem etwas untergegangenen Beitrag hatte ich auch etwas dazu geschrieben (http://www.dasjudoforum.de/forum/viewto ... 085#p40085).

Ich betreibe gerne Judo und gelegentlich andere Budo-Disziplinen, aber immer als ein reformiertes Jujutsu und identifizierte mich zu 100% mit den Idealen Kanos, aber mein Menschenbild wird immer ein abendländisch-humanistisches bleiben - und damit im krassen Gegensatz zur Prä-Mejizeit bleiben.

Die von mir eingesetzten Vermittlungsmethoden folgen - wie könnte es anders sein - meinem Menschenbild. Hiranos und insbesondere Ushijimas (zur Info für diejenien, die nicht so im Thema sind: Hiranos Sensei) folgten deren Menschenbild. Entscheidend für das Verständnis eines authentischen Kodokan-Judo ist aber: welches Menschenbild hatte Kano? Und zwar nicht als junger Mann, sondern in reiferen Jahren.
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Re: Prüfungsordnungen DJB und KJK

Beitrag von st.gregor »

@ tutor!
Zwei wichtige Punkte:
1.)
...denn die von Euch immer wieder erwähnten Techniken finden sich in den verschiedenen - im weitesten Sinne - "versportlichten" anderen Budo-Disziplinen wie z.B. Kendo.
Völlig richtig, sie finden sich aber eben auch in der Kampfkunst Judo, allerdings nur dann, wenn man bereit ist, die Einschränkungen des "versportlichten" Judos hinter sich zu lassen und Judo als sehr viel umfassender begreift, als es heute gemeinhin getan wird - in dem Sinne, in dem es Kano verstanden wissen wollte.

2.)
Entscheidend für das Verständnis eines authentischen Kodokan-Judo ist aber: welches Menschenbild hatte Kano? Und zwar nicht als junger Mann sondern in reiferen Jahren.
Zustimmung. Und dabei geht es letztlich nicht nur um das Menschenbild - auch wenn das sicherlich ein zentraler Punkt ist - sondern eben auch um die Frage, was alles auf und neben der Matte "Judo" sein soll, welchen Platz Judo im Leben der Praktizierenden einehmen sollte und letztlich die große Frage, warum es sinnvoll ist, Judo zu betreiben, was ich dadurch lernen und erfahren kann, das große "WOZU?"

Aber vielleicht kannst Du kurz erläutern, wo Du genau die Unterschiede im Menschenbild Kanos und Hiranos siehst, das ist mit bislang nicht ganz klar geworden?

Grüße


Stephan
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Re: Prüfungsordnungen DJB und KJK

Beitrag von tutor! »

st.gregor hat geschrieben: Zustimmung. Und dabei geht es letztlich nicht nur um das Menschenbild - auch wenn das sicherlich ein zentraler Punkt ist - sondern eben auch um die Frage, was alles auf und neben der Matte "Judo" sein soll, welchen Platz Judo im Leben der Praktizierenden einehmen sollte und letztlich die große Frage, warum es sinnvoll ist, Judo zu betreiben, was ich dadurch lernen und erfahren kann, das große "WOZU?"

Aber vielleicht kannst Du kurz erläutern, wo Du genau die Unterschiede im Menschenbild Kanos und Hiranos siehst, das ist mit bislang nicht ganz klar geworden?
Nun, was die Persönlichkeit Hiranos betrifft, fragst Du bitte Frank Thiele. Aber ich meinte ja eigentlich die Trainingsmethoden, von Ushijima und Hirano - und ihr Verhältnis zu den Ideen Kanos.

Für Kano waren Gesundheit und das Engagement für die Allgemeinheit die wichtigsten Ziele im Judo. Das alleinige Streben nach Wettkampfsiegen - der "Championismus" war für Kano eine "Krankheit des Geistes". Ich denke, dass Du dem ohne Einschränkung zustimmen wirst.

Diese Entwicklung setzte nicht erst nach dem 2. Weltkrieg ein, sondern bereits in den 20er und 30er Jahren mit der Austragung der All-Japanischen Meisterschaften. Das Training war im Vergleich zu heute geradezu unmenschlich hart. Ushijima war so ziemlich der gefürchtetste Trainer der damaligen Zeit. Er betreute erst Kimura (aus dem Kopf ab 1935), später Hirano (ab 1941). Nach dem Krieg gründete er einen Judo-Profiverband und organisierte Profi- und Schaukämpfe.

Dies alles hatte nicht mehr viel mit den Ideen Kanos zu tun. Show und Business auf Kosten der Gesundheit.
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Re: Prüfungsordnungen DJB und KJK

Beitrag von st.gregor »

Hallo tutor!,
selbstverständlich hat uns Frank Thiele viel über seinen Lehrer Hirano erzählt, was ich von Dir wissen wollte ist, wie Du die Unterschiede zwischen Kanos und Hiranos Menschenbild beschreiben würdest. Dass Ushijima einen erheblichen Krach mit dem Kodokan hatte, ist für sich zwar auch recht interessant, bietet aber leider keine Antwort auf meine Frage. Hast du da noch mehr im Angebot?

Grüße


Stephan
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Re: Prüfungsordnungen DJB und KJK

Beitrag von tutor! »

st.gregor hat geschrieben:Hallo tutor!,
selbstverständlich hat uns Frank Thiele viel über seinen Lehrer Hirano erzählt, was ich von Dir wissen wollte ist, wie Du die Unterschiede zwischen Kanos und Hiranos Menschenbild beschreiben würdest. Dass Ushijima einen erheblichen Krach mit dem Kodokan hatte, ist für sich zwar auch recht interessant, bietet aber leider keine Antwort auf meine Frage. Hast du da noch mehr im Angebot?
Lieber Stefan,

es ging - von Dir angesprochen - um die Vermittlung von Judo bzw. dem der Trainingsmethoden zu Grunde liegenden Menschenbild. Ich werde hier öffentlich nicht mehr schreiben, als dass die Trainingsmethoden, wie ich oben begründet habe, von Ushijima, die Hirano z.T. übernommen hat, nicht im Sinne des Judo von Jigoro Kano waren - aufgrund der die Gesundheit der Trainierenden häufig missachtenden Härte um des Wettkampferfolges willen.
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