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Ach Willi...mit Dir auf der Matte, das war und ist immer eine interessante Erfahrung! Jeder Landesverband hat (und braucht?) so seine Figuren. Vielleicht wird Dein Ruf ja erhört.Eberswalde (MOZ) Wohl jedem, der irgendwie in der Region mit Judo zu tun hat, ist der Name Willi Gruschinski ein Begriff. Er ist 78 Jahre alt, feierte gerade sein 60-jähriges Matten-Jubiläum und eines ist der Sportsenior nicht: im Ruhestand. Im Gegenteil, zweimal in der Woche steht er in der Judohalle im Eberswalder Sportzentrum auf der Matte und trainiert den fortgeschrittenen Nachwuchs.
Dabei war der Start ins Leben von Willi Gruschinski alles andere als glücklich. "Ich wurde bei Stargard in Pommern auf der Straße gefunden", sagte er zu seiner Geburt. Ob es tatsächlich der 24. September 1941 war, das Geburtsdatum in seinem Ausweis, als er das Licht der Welt erblickte, vermag heute keiner mehr zu bestätigen. "Ein Zettel war dabei, darauf stand, dass ein Italiener namens Tonelli, aus einer Künstlerfamilie, mein Vater sein soll. Herausgefunden habe ich es nicht, aber ich glaube schon, dass ich italienisches Blut in meinen Adern habe", erzählte Willi Gruschinski lachend und verwies auf einen späteren Wettkampf.
Die harte Kindheit
Durch verschiedene Kinderheime wanderte der eher zierliche Gruschinski – eine harte Zeit. Da entstand auch der Wunsch sich wehren zu können, denn Gewalt auch unter den Kindern war an der Tagesordnung: "Ich wurde sehr oft geschlagen." Doch zunächst schlug er eine musikalische Richtung ein. Im Heim in Güstrow schloss er sich als Zwölfjähriger dem Fanfarenzug an. "Ich war froh, überhaupt irgendwo mitmachen zu können und bekam die große Landsknechttrommel umgehangen", erinnerte sich Gruschinski. Da trommelte er auch während seiner Berufsausbildung, die er als Landwirtschaftlicher Facharbeiter beendete.
Danach zog es ihn in die Städte, da kam ihm ein Stellenangebot bei der Polizei gerade recht. Übers Laufen, Fußball, Ringen und Boxen fand er schließlich den Weg zum Judo, bei seinem ersten Verein Dynamo Neustrelitz. "Ich habe mich so gut dabei gefühlt, mich endlich wehren zu können", berichtete Gruschinski aus der Zeit. Auch an seinen ersten Wettkampf erinnert er sich noch. Das war ein DDR-offenes Turnier im pädagogischen Institut in Güstrow. "Da belegte ich den zweiten Platz, das war natürlich Ansporn."
Die wilde Zeit
Es begann eine wilde und beruflich unstete Zeit, die ihn zunächst zu Dynamo Schwerin brachte, wo er seinen 5. Kyu erhielt und erste Schritte als Übungsleiter machte. Danach zog es ihn als Straßenbahnfahrer nach Berlin. Dort war er beim SC Dynamo und Dynamo Friedrichshain aktiv und rief den Verein Dynamo Lichtenberg ins Leben.
Eines verlor Gruschinski auch in seinem wechselvollen beruflichen Leben nicht aus den Augen: den Judosport. Er errang als Aktiver mehrere Bezirksmeisteritel einzeln und mit der Mannschaft, bestritt Aufstiegskämpfe zur DDR-Oberliga und nahm an Deutschen Einzelmeisterschaften teil. 16 Titel als Bezirksmeister und zwei Vize-DDR-Meistertitel stehen dabei zu Buche. 1965 erlitt er während seiner Arbeit im PCK Schwedt einen schweren Unfall. Das schmälerte bedeutend seine Aussichten, den Weg zur Judo-Weltspitze zu schaffen.
Als Übungsleiter sammelte er Medaillen bei den DDR-Spartakiaden, davon allein 1970 zweimal Gold und Bronze mit seinen Schützlingen. Höhepunkte waren die Europameisterschaften im damaligen Leningrad und in Neapel, wo er mit Wolfgang Zernikow jeweils den Titel holte. "Ich war in der Zeit verrückt nach Judo", gab Gruschinski zu, der dem alles im Leben unterordnete.
Über eine Weltmeisterschaft der Senioren sprach Gruschinski besonders gern. "Das war in Toronto 2006. Da gab es einen ganz engen Kampf im Finale und obwohl ich den italienischen Kämpfer aus dem Turnier geworfen hatte, haben die mich alle angefeuert. Du bist einer von uns haben sie gesagt und tatsächlich soll ja italienisches Blut in meinen Adern fließen", sagte Gruschinski mit einem Funkeln in den Augen.
Heimliche Liebe Ju-Jutsu
1992 zog es ihn zum Ju-Jutsu "Das war und ist meine heimliche Liebe, aber zu DDR-Zeit gab es das ja nicht", erklärte er. Immer noch fühlt er sich mit diesem Sport verbunden und trainiert auch darin den Nachwuchs.
Ein weiteres Steckenpferd ist seine Internetseite willi-gruschinski.de. Stationen seines Lebens sind dort aufgeführt wie auch eine Chronik des Judosports der DDR und hierzulande. Fast 5000 Din A4-Seiten sind so zusammengekommen "…und da ist noch eine ganze Menge offen", schätzte Gruschinski ein.
Fast noch schneller als der 78-Jährige beim Trainingskampf seine Schützlinge immer noch auf die Matte legt, um anschaulich Techniken zu erklären, wandern seine Augen unablässig hin und her. "Mach das richtig, richtig runter mit Dir", ruft er bei den Liegestützen im Training einem jungen Kämpfer zu. Gleich beim Nächsten sieht er einen technischen Fehler beim Kampf und weist ihn sofort zurecht. Auch mit seinen 78 Jahren lebt er Judo.
"Willi ist ein wichtiges Mitglied in unserem Trainerteam. Würde er aufhören, würde es eine große Lücke reißen. Er ist trotz seiner 78 Jahre topfit und bleibt uns hoffentlich noch lange erhalten", sagt der Vereinsvorsitzende der Eberswalder Judoka, Ronald Kühn, über Gruschinski.
Der große Wunsch
Einen großen Wunsch hat der Eberswalder Judo-Oldie noch: "Ich würde gern den 7. Dan bekommen." Bis zum 5. Dan legt man Prüfungen ab, aber ab dem Sechsten erfolgt eine Verleihung aufgrund hervorragender Leistungen. Und die hat Willi Gruschinski erbracht, ist sich sein Verein sicher.