Verhältnis Kodokan - Kempeitai

Hier geht es um die Geschichte und um Traditionen des Judo
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wujing
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Verhältnis Kodokan - Kempeitai

Beitrag von wujing »

Hallo zusammen! :-)

Ich hätte eine geschichtliche Frage:

Kennt sich jemand mit dem (Spannungs-)Verhältnis zwischen Kodokan und Kempeitai aus?

Der Kodokan war ja z. B. bei den Marineakademien sehr involviert in der Judo-Ausbildung. Dazu gab es anscheinend verschiedene Zweige bei der Marine, die trad. koryu jujutsu unterrichteten. Ganz andere Dinge habe ich über das Training der Kempeitai gehört.
Die Herrschaften sind anscheinend aus dem Kodokan geflogen und haben sich danach eher dem Aikido / Aikijutsu zugewendet. Ueshiba und Tomiki trainierten durch versch. Lehrgänge Teile der Kempeitai u. a. in der Mandschurai! Tomiki hat auch für die Kempeitai ein kleines Handout mit dem Namen "Ein Kurs im Aikijutsu" erstellt. Auf der Grundlage dieses Handbuchs (und etlichen späteren Shotokan Karate und Judo-Einflüssen) wurden später (50er / 60er Jahre) Teile der US Air force und der sog. Air Police trainiert.

Weiß jemand, warum die Kempeitai Schwierigkeiten mit dem Kodokan hatte?

Vielen Dank im Voraus!

Gruß

Wujing
tutor!
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Re: Verhältnis Kodokan - Kempeitai

Beitrag von tutor! »

Hallo Wujing,

erst einmal willkommen im Judoforum. Für alle, die nicht wissen, was die Kempeitai ist, hier der Link zur englischen Wikipedia, wo ein ausführlicher Artikel zu finden ist:
http://en.wikipedia.org/wiki/Kempeitai

Es gibt einige Quellen im Internet und ich habe Kontakt zu einigen Leuten, die mehr darüber wissen. Im Groben zunächst einmal: Kanos Ideen von einer menschlichen Gesellschaft und die Praxis der Kempeitai passten - vorsichtig ausgedrückt - nicht zusammen (z.B. weit verbreitete Folterpraxis). Einer seiner Söhne wurde z.B. Anfang der 30er Jahre aus politischen Gründen (Angebliche Kontakte/Unterstützung von linksgerichteten Organisationen) verhaftet.

Kano wehrte sich vehement dagegen, dass der Kodokan wie der Butokukai unter die Kontrolle der Ultra-Nationalen kam. Die politische Rolle der Aikido-Leute in den 30ern ist dagegen arg im Dunkeln.

Hast Du genauere Anhaltspunkte oder präzise Fragen? Dann würde ich weiter recherchieren. Du wirst aber auch im englischen Forum fündig.
I founded a new system for physical culture and mental training as well as for winning contests. I called this "Kodokan Judo",(J. Kano 1898)
Techniques are only the words of the language judo (Cichorei Kano, 24.12.2008)
wujing
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Re: Verhältnis Kodokan - Kempeitai

Beitrag von wujing »

Danke für die interessante Antwort! Das mit seinem Sohn wußte ich nicht. Dann ist ja eigentlich klar, warum es "gewisse Differenzen" zwischen ihm und dem Militär gab. Warum hat er aber dann etliche von seinen Lehrern als Ausbilder für die Marineakademie bzw. Toyama Akademie (ja auch dort wurde Judo unterrichtet!) "abgestellt"? Wurde das damals so erwartet? Hatte er keine andere Wahl? Oder standen diese Kodokan-Lehrer gar nicht unter seiner "Fuchtel"?


Gruß

Wujing
tutor!
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Re: Verhältnis Kodokan - Kempeitai

Beitrag von tutor! »

Kempeitai war beides - Militärpolizei und Geheimpolizei. Sein Sohn wurde auch nicht vom Militär verhaftet. Die genauen Umstände müsste ich aber auch recherchieren.

Kano sagte einmal sinngemäß, dass Verteidigung aus Gründen der Menschlichkeit niemals von einem einzelnen oder einer Gesellschaft vernachlässigt werden dürfe. Er war kein grundsätzlicher Gegner des Militärs - aber er war ein erklärter Gegner der Kriegstreiberei, der ethnischen Diskriminierung und von Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele. Dies ist auch ein wesentliches Element seines Engagemants für die olympische Bewegung - Völkerverständigung! Kano war sehr strikt, wenn es darum ging, Judo zu missbrauchen.

Ein Militär, das - im heutigen Jargon - "friedenssichernde" Aufgaben wahrnimmt, war Kano, was man aus dem Zitat herauslesen kann, wichtig. Es gab für Kano also keinen Grund, Militär und Marine grundsätzlich vom Judo-Training auszunehmen, genauso wenig wie die Polizei. Die japanische Marine war im Vergleich zur Armee auch deutlich zurückhaltender und nicht in gleicher Weise von den Ultranationalisten durchsetzt, wobei sich das ja alles erst in den letzten Jahren vor dem Krieg zugespitzt hat.

Kano war übrigens auch familiär mit der Marine verbunden, deren Vize-Admiral Jiro Nango Kanos Neffe war und auch nach Kanos Tod 1938 bis 1946 die Leitung des Kodokan übernahm.

Das ist die große Linie. In diese Linie passt eine deutliche Distanz zu Folterknechten, Geheimpolizei und Kriegstreibern. Zu konkreten Einzelheiten in Bezug auf Kempeitai (Namen, Daten usw.) kann ich ohne weitere eigene Nachfragen aber nichts sagen.
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HBt

Interessant

Beitrag von HBt »

Ups; wieder Neues erfahren. Danke.
Tutor! hat geschrieben:Kano war sehr strikt, wenn es darum ging, Judo zu missbrauchen.
Ich würde gerne ein Interview mit Prof. J. Kano führen und ihn zu den heutigen Entwicklungen befragen, auch zum
Feldenkrais Statement: "Kano würde sofort sterben, wenn er heute(!) sehen würde was wir (weltweit) aus seinem Judo gemacht haben". Ich habe es nur sinngemäß wiedergegeben, also Vorsicht. Was hat Moshe Feldenkrais gemeint, warum hat er sich in einem Interview mit Dennis Leri derartig krass über die Entwicklung(en) geäußert? Mir fiel dieser Text* besonders hinsichtlich Kanos Vehemenz bzgl. jeglichem Missbrauches wieder ein.

*Feldenkrais im Überblick, ISBN 3-87387-565-9
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Re: Verhältnis Kodokan - Kempeitai

Beitrag von tutor! »

Man muss das Wirken von Menschen immer im historischen Kontext betrachten, in dem die Menschen gelebt haben. Das gilt insbesondere für J. Kano, der dramatische Epochenumbrüche erlebt und auch mit gestaltet hat.

Da ist zum einen die (erzwungene) Öffnung Japans nach außen in Folge der Meji-Restauration und die dramatischen Auswirkungen auf die japanische kulturelle Identifikation. Kano, der eine sehr weitgehend westlich geprägte Bildung erhält, studiert traditionelles japanisches jujutsu, nimmt es auf und kombiniert es mit eher westlichem Gedankengut (v.a. Erziehung und systematische Verbreitung). Er schafft den Spagat zwischen Tradition und Moderne und schafft - verkürzt gesprochen - einen organisatorischen Überbau über die vorhanden Ryuha - den Butokukei.

Japans Politik wird nach außen aggressiver, die Gesellschaft ist stark ethnozentrisch. Kano gründete bereits 1883 eine Schule für chinesische Studenten in Japan...

Kano wird Baron de Coubertain als Ansprechpartner für die Verbreitung der olympischen Idee in Asien genannt. Kano sieht die Chance der olympischen Bewegung zu internationaler Völkerverständigung und wird erstes asiatisches Mitglied im IOC, gründet auch den japanischen Amateur-Sportverband. Konsequent wendet er sich auch gegen jede Form der Kommerzialisierung der olympischen Spiele und der nationalen Selbstdarstellung durch sportliche Ergebnisse und bleibt deswegen auch - wenn mich meine Erinnerung nicht trügt - 1924 den Spielen fern.

Kano war ein Idealist, der in Zeiten dramatischer internationaler Veränderung seinen Beitrag zum Aufbau einer friedlichen Gesellschaft leisten wollte - und leider wie jeder andere auch in jener Zeit - die Katastrophe nicht verhindern konnte.

Wie er heute zum Zustand des Judo und zum Zustand des internationalen Sports im Kontext der heutigen Gesellschaft stehen würde, können wir nicht mit allerletzter Sicherheit sagen. Eines aber können wir mit Sicherheit sagen: es gibt keinen anderen "Exportartikel" Japans, der auch nur annähernd so viele Menschen in der Welt erreicht und damit Japan und seine Kultur ins Bewusstsein gebracht hat. Auch wenn Kanos Ideen über Erziehung allzu optimistisch waren (wie die aller führender Pädagogen seiner Zeit) - letzten Endes ist aber doch sehr viel von seiner Saat aufgegangen.
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