Sind die DJB-Wurfprinzipien unvollständig?

Hier geht es um Techniken, deren Ausführung und Beschreibung
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kastow
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Sind die DJB-Wurfprinzipien unvollständig?

Beitrag von kastow »

Hallo,

in den Begleitmaterialien zur Dan-PO werden neun Wurfprinzipien beschrieben (siehe Zitat zum Schluss). Allerdings finde ich kein Prinzip, das Uki-otoshi erklärt (kniende und stehende Ausführung). Sind die DJB-Prinzipien hier unvollständig oder habe ich etwas übersehen?
Begleitmaterialien Dan-PO 2010, Seiten 64 und 65 hat geschrieben:Systematisierung nach Wurfprinzipien
Es gibt in der Sportart Judo eine Vielzahl unterschiedlicher Wurftechniken. Vergleicht man diese untereinander, so lassen sich trotz zahlloser Unterschiede in den Details in den einzelnen Bewegungsphasen prinzipielle Gemeinsamkeiten in den Hauptfunktionsphasen feststellen. Wir sprechen von sogenannten Wurfprinzipien, die sich bei bestimmten Techniken auch vermischen können.
Wir unterscheiden die Wurfprinzipien nach Kriterien spezieller Aktivitäten von Tori in:
1. Sicheln
Ukes Stützpunkt, ein stehendes, belastetes Bein in Richtung von dessen Zehen mit der Beinrückseite oder der Fußsohle wegreißen, sicheln.
2. Fegen
Ukes sich bewegendes Bein wird in Bewegungsrichtung weitergeleitet, gefegt. Der Wurfansatz erfolgt in dem Moment, in dem Ukes Bein gerade abhebt bzw. aufgesetzt wird - es ist noch/schon belastet, aber die Reibung zwischen Fußsohle und Unterstützungsfläche ist schon/noch gering.
3. Blockieren /Stoppen
Ukes vorwärts kommendes oder stehendes Bein wird unterhalb des Körperschwerpunktes mit der Fußsohle oder der Beininnenseite blockiert oder gestoppt. Gleichzeitig wird er oberhalb seines Schwerpunktes über diese Blockade gezogen.
4. Verwringen
Tori stellt mit seiner Hüfte Kontakt zu Ukes Rumpf her. Durch eine starke Verwringung (gleichzeitige Rotation um die Körperquer- und Längsachse) im Oberkörper, verbunden mit einer Kopfdrehung und Armzug wird Uke geworfen.
5. Einhängen
Tori hängt ein Bein blockierend hinter Ukes stehendes und belastetes Bein ein und drückt bzw. schiebt ihn über diese Blockade hinweg.
6. Eindrehen
Tori stellt durch Platzwechsel und eine Drehbewegung im Oberkörper Seite-Bauch-Kontakt oder Rücken-Bauch-Kontakt zu Uke her. Mit diesem Kontakt wird durch Armzug, Weiterdrehen und/oder Ausheben geworfen.
7. Ausheben
Tori stellt bei gebeugten Beinen mit seiner Hüfte Kontakt zu Ukes Rumpf her. Durch Beinstreckung, Hüfteinsatz und Armzug wird Uke ausgehoben und geworfen.
8. Einrollen
Tori rollt sich um einen Arm oder ein Bein ein (Maki-komi) und überträgt durch Weiterrollen die Kraft auf Uke.
9. Selbstfallen
Tori gibt sein Gleichgewicht auf, lässt sich fallen. Unter Ausnutzung der so entstandenen Energie wird Uke mit Armzug zum Teil auch Beineinsatz geworfen.
Herzliche Grüße,

kastow

Since the establishment of Kôdôkan jûdô, jûdô has become something that should be studied not only as a method of self-defence but also as a way of training the body and cultivating the mind. (Jigorô Kanô: MIND OVER MUSCLE)
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Fritz
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Re: Sind die DJB-Wurfprinzipien unvollständig?

Beitrag von Fritz »

Ups, da sind dann plötzlich zwei mehr, als in der alten Dan-PO...

Für die Tachi-Waza-Otoshi würde ich am ehesten noch "Verwringen" zuordnen, allerdings ist dann die Definition mit "Hüftkontakt" Quatsch.
Aber wozu in eins dieser Prinzipien pressen: Es sind Te-Waza, das sollte als Prinzip doch eigentlich reichen ;-)

"Ausheben" finde ich als Prinzip mittlerweile auch "bescheuert" benannt, besser wäre "Kippen" ;-)
Mit freundlichem Gruß

Fritz
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kastow
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Re: Sind die DJB-Wurfprinzipien unvollständig?

Beitrag von kastow »

Fritz hat geschrieben:Für die Tachi-Waza-Otoshi würde ich am ehesten noch "Verwringen" zuordnen, allerdings ist dann die Definition mit "Hüftkontakt" Quatsch.
Das hatte ich auch zuerst gedacht. Allerdings trifft "Verwringen" auf den geknieten Uki-otoshi nicht zu. Toris Wirbelsäule wird dort, wenn überhaupt, nur lotrecht aber nicht waagerecht gedreht.
Fritz hat geschrieben:Aber wozu in eins dieser Prinzipien pressen: Es sind Te-Waza, das sollte als Prinzip doch eigentlich reichen ;-)
Ich arbeite gern mit beiden Prinzipien-Kategorien. Te-waza bescheibt den Körperteil, der primär den Wurf erarbeitet, das DJB-Prinzip ergänzt sehr schön die Bewegungsart. Benutze ich beide Kategorien, kann ich eine Technik sehr schön beschreiben - gerade als Übungsleitung im Erwachsenen-Training. Aber Uki-otoshi fällt aus dem Rahmen. :(
Fritz hat geschrieben:"Ausheben" finde ich als Prinzip mittlerweile auch "bescheuert" benannt, besser wäre "Kippen" ;-)
Oder anheben - soviel als nötig, so wenig als möglich - seiryoku-zen'yô ;) Sonst benötigten wir noch ein weiteres Prinzip beispielsweise für Ushiro-goshi und Utsuri-goshi.
Herzliche Grüße,

kastow

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Jupp
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Re: Sind die DJB-Wurfprinzipien unvollständig?

Beitrag von Jupp »

Für die neue Dan-Po hat die Experten-Kommission zwei neue Prinzipien hinzugefügt und aus dem alten "rotieren lassen" jetzt "verwringen" gemacht.

Allerdings sind die Prinzipien nicht durchgehend einheitlich in ihrer Funktionsbeschreibung. Während sich einige Prinzpien eindeutig auf die Aktivität Toris beziehen, wie
Selbstfallen
Verwringen
Eindrehen,

und andere sich auf Aktivitäten von Uke und Tori beziehen lassen (aktiv bzw. passiv verstanden werden können, z.B. im Sinne von Tori fegt, Uke wird gefegt), wie
Sicheln
Fegen
Blockieren/Stoppen
Ausheben (was eventuell besser "aushebeln" hieße)
Einrollen,

ist es bei anderen nicht ganz klar, wie z.B. bei
Einhängen (kann Uke eingehängt werden?).

Die japanischen Begriffe
gari
barai/harai
sasae
gake
makikomi
sutemi
(für verwringen, Eindrehen, Ausheben habe ich nichts entsprechendes gefunden)
beziehen sich nach meinem Verständnis stets auf die Aktivität von Tori.

Jupp
tom herold
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Re: Sind die DJB-Wurfprinzipien unvollständig?

Beitrag von tom herold »

Kanô gab 5 Wurfkategorien vor. Ich hoffe, ich irre mich da nicht ...
In diese 5 Wurfkategorien werden die 40 Wurf-Prinzipien der Gokyô eingeordnet.

"Uki-Otoshi" ist ein Prinzip der Handwürfe.

Offenbar kann man nun den Uki-Otoshi nicht in die "DJB-Prinzipien" einordnen.
Den Kata-Guruma übrigens auch nicht - soweit mir bekannt, träfe nach den Begleitmaterialien das "Ausheben" nicht zu, denn dort steht ja:
Tori stellt bei gebeugten Beinen mit seiner Hüfte Kontakt zu Ukes Rumpf her.
Hüftkontakt zu Ukes Rumpf ist doch aber ein Merkmal der Wurfkategorie "Koshi-Waza", oder irre ich mich da?
Wo also wird der Kata-Guruma denn nun eingeordnet, wenn man jene bei Gleeson entlehnten "DJB-Prinzipien" zu Grunde legt?

Beim "Sicheln" gewiß nicht. Beim "Fegen" auch nicht.
Und auch nicht beim "Blockieren/Stoppen", denn dort steht:
Ukes vorwärts kommendes oder stehendes Bein wird unterhalb des Körperschwerpunktes mit der Fußsohle oder der Beininnenseite blockiert oder gestoppt
"Verwringen" kann's auch nicht sein:
Tori stellt mit seiner Hüfte Kontakt zu Ukes Rumpf her
"Einhängen" scheidet ebenfalls aus, "Einrollen" auch - und "Selbstfallen" beschreibt den Kata-Guruma eigentlich auch nicht ...

Na ja, und "Ausheben" nach der hier vorliegenden Definition eben auch nicht ...
Wo also ist er nach diesen "Prinzipien" anzusiedeln, der Kata-Guruma?
Für die neue Dan-Po hat die Experten-Kommission zwei neue Prinzipien hinzugefügt
"Neue Prinzipien" ...?

@Kastow: Interessante Frage, die du da aufgeworfen hast ...
;)
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Fritz
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Re: Sind die DJB-Wurfprinzipien unvollständig?

Beitrag von Fritz »

Tja... ich würde als Prinzip so etwas wie "plötzliche Richtungsänderung" für den Uki-Otoshi definieren.
Resultierend in der guten "alten" Rotation, welche ja jetzt laut Jupp im Verwringen steckt.
Damit hätte man auch gleich den Kata-Guruma mit "erschlagen" ...

Ansonsten wies Tom schon drauf hin, daß die Aufzählung von Körperteilen in den DJB-Wurfprinzipien nicht
ganz so glücklich ist, da diese ja eigentlich schon in der Einteilung in Wurfkategorien (Fuß-, Hüft-, Hand- usw. Würfe)
steckt... Ohne dies käme beim Kata-Guruma dann noch Kippen mit dazu...

Ups, das ist es doch, "Ausheben" durch "Kippen" ersetzen, dann wäre Uki-Otoshi ein Nachvornkippen des Uke, diesmal
nicht über ein Körperteil von Tori (wie Hüfte oder Schultergürtel) sondern halt direkt über Ukes Bein.
Mit freundlichem Gruß

Fritz
tutor!
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Re: Sind die DJB-Wurfprinzipien unvollständig?

Beitrag von tutor! »

Zunächst einmal sollte man überlegen, welcher Anspruch mit der Formulierung dieser "Wurfprinzipien" verbunden ist. Was soll damit abgebildet werden? Soll überhaupt etwas damit abgebildet werden? Sollen wirklich alle Wurftechniken erfasst werden? Falls ja: mit welchem Ziel?

Ehrlich gesagt, ich kann diese Fragen nicht wirklich beantworten. Im Kontext Prüfung kann ich zwar gut damit leben, dass ein Prüfling je "Wurfprinzip" zwei verschiedene dazu passende Techniken herausnimmt und mir dann erklärt, wie diese Techniken funktionieren. Aber mir fällt da weit Sinnvolleres ein.

Jedoch wird ja der Anschein erweckt, dass es sich hier um eine Systematisierung von Techniken nach etwas "Gemeinsamen" geht: Schubladen bilden, Techniken rein und fertig ist die Ordnung. Dafür taugen diese formulierten Prinzipien nicht und zwar aus mehreren Gründen:

1. Kein durchgängiges Systematisierungskriterium vorhanden.
Jupp hat oben schon darauf hingewiesen, dass bei der Definition einiger "Prinzipien" betrachtet wird, was Tori macht und bei anderen was mit Uke passiert. Damit kommt es automatisch zu möglichen Doppeleinteilungen, z.B. Yoko-gake (wie Nage-no-Kata) kann man unter "Selbstfallen" und unter "Sicheln"(!) einordnen. Damit hätten wir den nächsten Schwachpunkt.

2. Einige dieser Prinzipien sind an Namensbestandteilen von Wurftechniken orientiert...
... wie z.B. sicheln (gari), fegen (harei), einhängen (gake). Dumm ist dabei nur, dass es Ausführungen von Techniken gibt, die nicht mehr in das entsprechende formulierte Prinzip passen: Ko-uchi-gari (laut Kodokan) kann entweder "sicheln", "fegen" oder "einrollen" sein.... der Kodokan unterscheidet bekanntlich nicht zwischen Ko-uchi-gari, Ko-uchi-barei und Ko-uchi-maki-komi. Yoko-gake in der Nage-no-Kata ist ein weiteres Beispiel: hier wird Ukes Fuß eindeutig "gesichelt" nach der DJB-Definition.

3. Einige Definitionen sind ausgesprochen schlampig, weil Körperteile explizit benannt sind...
... hierdurch fallen einige Techniken aus den "Prinzipien" heraus, wo sie doch eigentlich - wenn man sich mit dem Gedanken überhaupt anfreunden kann - auch hingehören. Auf diese Weise ist Kata-Guruma keine Aushebetechnik oder ein Ashi-guruma entspricht nicht dem Prinzip "Stoppen/Blocken" und weil kein Rücken- bzw. Seite/Bauch-Kontakt hergestellt wird, ist es auch kein "Eindrehen"

4. "Einrollen" ist eine Sonderform von "Selbstfallen"
... weil ich definitionsgemäß beim Einrollen immer auch mein Gleichgewicht aufgeben muss.... Ein Prinzip beinhaltet ein anderes also vollständig!

In der Summe muss man leider sagen, dass:
  • nicht alle Techniken erfasst sind
  • einige Techniken mehrfach zuzuordnen sind
  • kein durchgängiges Systematisierungskriterium angewendet wurde
  • die Benennung nicht den Technikdefinitionen des Kodokan entsprechen.
Dabei wäre es so einfach eine Prüfungsaufgabe für den 4. Dan zu formulieren:

Demonstration und Erläuterung der Wurfprinzipien aller 67 Wurftechniken des Kodokan-Judo.
Ok... weil es nur der 4. Dan ist, können wir auch mit den 40 Techniken der Gokyo zufrieden sein. Das Prüfungsverfahren ist auch ganz einfach. Die Prüfer wählen je drei Te-waza, Koshi-waza, Ashi-waza und Ma/Yoko-sutemi-waza aus. Und für den 5. Dan erweitern wir das Ganze dann auf alle 67....
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mcdüse
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Re: Sind die DJB-Wurfprinzipien unvollständig?

Beitrag von mcdüse »

Ich denke, wir sollten uns nicht an irgendwelchen nachträglichen Versuchen der Kategorisierung oder Definition von Wurfprinzipien hochziehen.
die fünf Gruppen der Nage No Kata sagen doch alles aus. Das haben ja hier auch schon einige angemerkt.
Den Ansatz eine Gruppierung aus dem Bewegungsprinzip abzuleiten, halte ich für kontraproduktiv, da ein guter / flexibler Judoka aus fast jeder Situation noch etwas machen können sollte und zwar gerade durch die variable Nutzung der unterschiedlichsten Bewegungsrichtungen/ -prinzipien. Eine Reduzierung auf eine Anzahl x-Bewegungsprinzipien per Definition halte ich daher für wenig förderlich. Es wird dann immer Techniken geben, die da nicht reinpassen.
Gruß

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Re: Sind die DJB-Wurfprinzipien unvollständig?

Beitrag von tutor! »

mcdüse hat geschrieben:Ich denke, wir sollten uns nicht an irgendwelchen nachträglichen Versuchen der Kategorisierung oder Definition von Wurfprinzipien hochziehen.
(...)
Eine Reduzierung auf eine Anzahl x-Bewegungsprinzipien per Definition halte ich daher für wenig förderlich. Es wird dann immer Techniken geben, die da nicht reinpassen.
Das sehe ich genauso. Wir haben "offiziell" im Kodokan-Judo 67 Nage-waza, die in zwei große Gruppen (tachi-waza und sutemi-waza) und diese wiederum in die bekannten fünf Gruppen (te-, koshi-, ashi-, ma-sutemi-, yoko-sutemi-waza) unterteilt sind.

Andere Systematisierungsansätze können für bestimmte Zwecke hilfreich sein. Es dürfte aber nie wirklich ganz "aufgehen", sondern immer nur für einen bestimmten Zweck mehr oder weniger "passen". Insofern sollten diese alternativen Systematisierungen mit einer gewissen Gelassenheit betrachtet werden ohne sie an einem Absolutheitsanspruch zu messen, den sie gar nicht haben und von vorne herein nicht erfüllen können.

Bezogen auf die "Prinzipien" in der Dan-PO ist der Zweck für mich nicht wirklich erkennbar - von daher stellt sich mir die Frage, wofür sie hilfreich sein sollen?
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Fritz
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Re: Sind die DJB-Wurfprinzipien unvollständig?

Beitrag von Fritz »

Ich habe kein Problem mit einer zusätzlichen der Klassifizierung von Würfen hinsichtlich
der physikalischen Wirkprinzipien.
Es kann die Beschreibung beim Lehren/Lernen vereinfachen und damit das Verständnis erhöhen.
Z.B. erkläre ich immer unsren Anfängern, daß ein Unterschied zwischen O-Goshi und Uki-Goshi eben im
Kippen über die Hüfte und Schleudern um die Hüfte besteht.

Ob nun die Prinzipien aus der PO nun so sinnvoll gewählt sind, steht auf einem anderen Blatt, aber
gerade die Idee, daß man mehrere solcher Prinzipien zur Erklärung eines Wurfes benutzen kann,
ist m.M.n. nicht verkehrt: Nehmen wir Ashi-Guruma oder O-Guruma: Blockieren + Verwringen...
Dazu noch die Kontaktpunkte und das "Wie" und schon klappen die Würfe und der Übling weiß:
Aha, die Dinger funktionieren ähnlich, und er weiß, worauf er beim Üben zur Eigenkontrolle achten kann und
wann es beginnt, ein schlechter Harai-Goshi zu werden ;-)
Bezogen auf die "Prinzipien" in der Dan-PO ist der Zweck für mich nicht wirklich erkennbar - von daher stellt sich mir die Frage, wofür sie hilfreich sein sollen?
Solcherart Abstraktionen macht es in meinen Augen schon etwas leichter, zum Wesen eines Wurfes vorzustoßen
und ihn in entsprechende methodische Reihen einzuordnen...
Wie gesagt, letztendlich sind sie Hilfsmittel der Beschreibung u. da ist es schon eine vernünftige Idee, wenn
Dan-Inhabern ein paar Hilfsmittel zur Kommunikation in die Hand gegeben werden ;-)
Mit freundlichem Gruß

Fritz
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kastow
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Re: Sind die DJB-Wurfprinzipien unvollständig?

Beitrag von kastow »

Wenn ich ehrlich bin, ist mir nicht einmal aufgefallen, wie häufig die Körperteile in den Beschreibungen vorkommen. Das ist natürlich wirklich überflüssig da redundant.

Allerdings finde ich den Ansatz, zusätzlich zu den fünf Gruppen noch weitere Unterscheidungskriterien zu beschreiben, sehr sinnvoll. So verfüge ich als Übungsleitung und auch als Übling über einfache Beschreibungsmerkmale, die nicht so allgemein wie die fünf Gruppen sind und dennoch Gemeinsamkeiten verdeutlichen (methodische Reihen). Eine weitere entsprechende Unterscheidungshilfe sind für mich die Kontaktpunkte.

Ich gehe gerne so vor, dass ich zur Erläuterung einer Technik zunächst die Zuordnung in die fünf Gruppen nenne und die entsprechenden Kontaktpunkte erläutere. Anschließend beschreibe ich die DJB-Wurfprinzipien (bisher und wohl auch zukünftig, - ohne die in meinem Zitat aufgeführten Körperteile zu beachten, da bereits in den fünf Gruppen und den Kontaktpunkten enthalten.) Allerdings fallen bei dieser Vorgehensweise eben Uki-otoshi und auch dessen Geschwisterwurf Sumi-otoshi heraus.

Kata-guruma war übrigens deshalb für mich nie problematisch. Kata-Ausführung: Handtechnik mit Kontakt im Schulter-Nacken-Bereich, Bewegung Anheben und leichtes Verwringen.


*** Ich sehe gerade, Fritz war schneller und geht didaktisch ähnlich wie ich vor :D . Ich lasse meinen Beitrag aber dennoch ungekürzt stehen.
Herzliche Grüße,

kastow

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Fritz
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Re: Sind die DJB-Wurfprinzipien unvollständig?

Beitrag von Fritz »

Das ist natürlich wirklich überflüssig da redundant.
Es ist gefährlich... Weil ich genug Leute kenne, die das dann als alleinseligmachende Wahrheit nehmen und
zack, schon hat man 'nen "Tai-Otoshi" mit Hüft- oder Fußkontakt als "Pflichtprogramm" in ner Prüfung...
Allerdings fallen bei dieser Vorgehensweise eben Uki-otoshi und auch dessen Geschwisterwurf Sumi-otoshi heraus.
Wie gesagt, ersetze dieses irreführende "Ausheben" durch "Kippen" (was ja z.B. beim O-Goshi gern durch
den eher gewichtsklassen-sportlich orientierten Judoka durch eine Aushebebewegung ausgelöst werden kann,
wenn es unbedingt sein muß ;-)) und du hast ein Prinzip, was für Tai/Uki/Sumi-Otoshi
perfekt paßt. Und auch auf viele Sutemi-Techniken...
Mit freundlichem Gruß

Fritz
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kastow
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Re: Sind die DJB-Wurfprinzipien unvollständig?

Beitrag von kastow »

"Kippen" gefällt mir persönlich nicht so, da Uke letztendlich bei so vielen Würfen kippt. Ich weiß, was du damit meinst, suche aber einen noch passenderen Begriff, der das "Kippen über den Fuß" kurz und prägnant in Verbform beschreibt.
Herzliche Grüße,

kastow

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Fritz
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Re: Sind die DJB-Wurfprinzipien unvollständig?

Beitrag von Fritz »

Sich überschlagen lassen...

Oder wie wäre es mit "plötzlicher Richtungsänderung"?
Mit freundlichem Gruß

Fritz
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mcdüse
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Re: Sind die DJB-Wurfprinzipien unvollständig?

Beitrag von mcdüse »

Ich nutze diese Beschreibungen wie "kippen", "schleudern", "heben" ... auch gerne zur Beschreibung und Verdeutlichung von Gemeinsamkeiten.
Jedoch ist das für mich keine Kategorisierung und erhebt damit auch gar nicht den Anspruch auf Vollzähligkeit. Dann beschreibe ich einen Uki-Otoshi halt anders. Dafür brauche ich die PO-Wurfprinzipien aber nicht.
Als Ausbildungsvokabular finde ich die Begriffe sehr wertvoll.

Ansonsten bin ich voll bei tutor!:
tutor! hat geschrieben:Bezogen auf die "Prinzipien" in der Dan-PO ist der Zweck für mich nicht wirklich erkennbar - von daher stellt sich mir die Frage, wofür sie hilfreich sein sollen?
Was sollen diese Prinzipien in der PO? In einem Ausbildungsleitfaden oder einer Ausbildungshilfe wären sie besser aufgehoben.
kastow hat geschrieben: "Kippen über den Fuß"
Ich finde das absolut kurz und prägnant. Das trifft doch den Kern.
Zuletzt geändert von Fritz am 05.07.2010, 16:52, insgesamt 1-mal geändert.
Grund: 2 Beiträge vereint
Gruß

McDüse

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Jupp
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Re: Sind die DJB-Wurfprinzipien unvollständig?

Beitrag von Jupp »

Fritz schreibt:
Solcherart Abstraktionen macht es in meinen Augen schon etwas leichter, zum Wesen eines Wurfes vorzustoßen
und ihn in entsprechende methodische Reihen einzuordnen...
Wie gesagt, letztendlich sind sie Hilfsmittel der Beschreibung u. da ist es schon eine vernünftige Idee, wenn
Dan-Inhabern ein paar Hilfsmittel zur Kommunikation in die Hand gegeben werden.
und McDüse schreibt:
Als Ausbildungsvokabular finde ich die Begriffe sehr wertvoll.
In diesem Sinne haben sowohl Hofmann als auch die Expertenkommission die "Prinzipien" formuliert und zusammengestellt. Sie dienen in erster Linie dazu, die Wurftechniken (auch!) von einem anderen Standpunkt her zu kategorisieren (wenn auch nicht immer eindeutig und vollständig).

An anderer Stelle habe ich einmal geschrieben, dass Systematisieren (also etwas nach einem oder mehreren Kriterien auszuwählen) einen didaktischen Aspekt hat (i.d.S. also eine Auswahl von Inhalten) und einen methodischen Aspekt (also eine Reihung von Inhalte nach z.B. Schwierigkeitsgrad bei der Wurfausführung für Tori).

Die genannten "Wurfprinzipien" helfen, über diese beiden Aspekte im Zusammenhang mit dem Unterrichten von Wurftechniken nachzudenken. Wenn dabei so viele differenzierte und auch widersprüchliche Gedanken entwickelt werden, wie in diesem Faden, dann ist das Ziel für die Qualifikation zum 4. Dan durchaus erreicht.

Denn dann hat sich das Problembewußtsein im Hinblick auf Systematisierungsmöglichkeiten von Wurftechniken geschärft und die Auswahl "geeigneter" methodischer Reihungen von Würfen vermehrt - genau das, was man von einem fortgeschrittenen Judomeister erwarten sollte.

Jupp
HBt.

Wurfketten vs. Methodischen Reihen ...

Beitrag von HBt. »

Jupp hat geschrieben: (..)
Die genannten "Wurfprinzipien" helfen, über diese beiden Aspekte im Zusammenhang mit dem Unterrichten von Wurftechniken nachzudenken. Wenn dabei so viele differenzierte und auch widersprüchliche Gedanken entwickelt werden, wie in diesem Faden, dann ist das Ziel für die Qualifikation zum 4. Dan durchaus erreicht.

Denn dann hat sich das Problembewußtsein im Hinblick auf Systematisierungsmöglichkeiten von Wurftechniken geschärft und die Auswahl "geeigneter" methodischer Reihungen von Würfen vermehrt - genau das, was man von einem fortgeschrittenen Judomeister erwarten sollte.

Jupp
Methodische Reihungen von Würfen = den methodischen Reihen innerhalb der Gokyo =! Wurfkettenmodell

Lieber "Jupp",
bisher hast Du derartigen Thesen immer widersprochen, glaube ich. War das nicht im Gokyo-Faden :dontknow ?

Kastows Frage ist eindeutig mit JA beantwortet. Vielleicht ist ein neuer Faden mit den "Neuen Prinzipien" und ein Faden mit den "methodischen Reihen der Gokyo oder des Daigo67" angezeigt?
Zuletzt geändert von Fritz am 06.07.2010, 23:26, insgesamt 2-mal geändert.
Grund: Klarname durch Forennick ersetzt
tutor!
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Re: Sind die DJB-Wurfprinzipien unvollständig?

Beitrag von tutor! »

Auf Anhieb fallen mir sicherlich ein halbes Dutzend Möglichkeiten ein, Techniken in eine für das Lernen methodisch sinnvolle Reihenfolge zu bringen, ob der Ansatz hierzu nun "Bewegungsverwandtschaften", "Verteidigungsverhalten". "(Funktions-)Prinzipien" oder was auch immer sind.

Dazu kann ich nahezu beliebig(e) Techniken aus der Goyko (oder auch aus den anderen 27 Wurftechniken Techniken) einbauen. Was Jupp schlicht und einfach meint ist, dass je mehr Kriterien jemand kennt, wie Techniken in Beziehung zueinander stehen können, desto größer ist die Chance, dass es gelingt, für eine konkrete Trainingssituation eine gute Wahl zu treffen.

Und damit hat er vollkommen recht. Auch damit, dass alternative Kategorisierungen für diese Zwecke erdacht wurden und dafür sinnvoll sind.

Meine persönliche Kritik ist auf einer ganz anderen Ebene (s.o.).

Aber es gibt ja das Fach Theorie zum 5. Dan: "grundlegende Gedanken zur Entwicklung des Judo und zum Selbstverständnis des Judoka"

Hier heißt es im Kommentar: "Der Prüfling soll einen Standpunkt zu einer diesbezüglichen aktuellen Entwicklung einnehmen und umfassend begründen können."

Unter dem Gesichtspunkt kann man ja darstellen, warum die aktuelle Entwicklung der Dan-PO im Ganzen oder in Teilen a) gut ist oder b) schlecht ist - ganz nach persönlicher Meinung und diese begründen.
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Re: Sind die DJB-Wurfprinzipien unvollständig?

Beitrag von Fritz »

Hier heißt es im Kommentar: "Der Prüfling soll einen Standpunkt zu einer diesbezüglichen aktuellen Entwicklung einnehmen und umfassend begründen können."

Unter dem Gesichtspunkt kann man ja darstellen, warum die aktuelle Entwicklung der Dan-PO im Ganzen oder in Teilen a) gut ist oder b) schlecht ist - ganz nach persönlicher Meinung und diese begründen.
Aber wie lange ist die "Entwicklung der Dan-PO" noch aktuell? ;-)
HBt. hat geschrieben:Lieber "Jupp",
bisher hast Du derartigen Thesen immer widersprochen, glaube ich. War das nicht im Gokyo-Faden :dontknow ?
Jupps Kernaussage war "damals", daß er keinen methodischen Sinn in der Anordnung der Würfe in der Gokyo sehen kann.
Dabei geht es ihm wohl wie Geesink und wohl noch einigen anderen ;-)
Daß innerhalb von ausreichend großen Technik-Sammlungen immer "methodische Reihen" zwischen Techniken aufgezeigt werden können
und daß methodische Reihen für die Vermittlung gut sind, hat Jupp meines Erachtens nie bestritten, im Gegenteil,
die Versuche mit den Kyu-/Dan-POs zeigen ja ein gewisses Bestreben, Methodiken zu etablieren...
Jupps Kritik gilt der Anordnung der Würfe in der Gokyo, nicht der Existenz von Reihen an sich, er sieht halt keine solche
Reihen in der Gokyo-Anordnung.
Und ich denke, der Grund liegt sehr wohl darin, daß sich die methodischen Reihen der Gokyo erst dann erschließen,
wenn Techniken auf entsprechende (alte) Weise (hinsichtlich Kuzushi, Tsukuri) ausgeführt werden - daß dies heutzutage in der Regel
nicht geschieht, kann man mit Fug und Recht der Versportlichung des Massen-Judos zuschreiben...
Damit geht dann einher, daß methodische Reihen "neu erfunden" werden...
Ein Indiz dafür, daß an heutigen verbreiteten Technikauffassungen etwas nicht stimmen kann, ist immer, wenn man das Stutzen von
Leuten bemerkt, die beginnen, sich mit der Nage-No-Kata zu beschäftigen - mein Hochlicht: "Sasae-Tsuri-Komi-Ashi geht ja hier wie Hiza-Guruma",
oder das Erstaunen, zu sehen, daß bei der Seoi-Nage der Arm über die Schulter geht und nicht irgendwie am Oberarm geklemmt wird und der gleichen
mehr...
Mit freundlichem Gruß

Fritz
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